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Rede von Sigrid Hupach am 22.09.2016

Rede von Sigrid Hupach,

SigridHupachDIE LINKESigrid Hupach (DIE LINKE): Dass die Neuregelung des Archivgesetzes zu so später Stunde aufgesetzt ist, befördert leider das gängige Klischee der verstaubten Akten, die sich in stickigen Kellern stapeln und für die sich bis auf ein paar wenige Archivare niemand interessiert. Diese Sicht verkennt jedoch, welche Bedeutung Archive haben und wie weitreichend das Bundesarchivrecht ist. Archive tragen für die Überlieferung all dessen Verantwortung, worauf kommende Generationen ihre Interpretationen unserer Zeit, unseres Tuns gründen. Und nicht zuletzt ermöglichen Archive auch die Kontrolle von Regierungs- und Verwaltungshandeln.

Welche Fragestellungen in 30, in 50, in 100 Jahren relevant sein werden, das kann heute niemand wissen. Daher ist es umso wichtiger, dass es qualifiziertes Personal an einer unabhängigen Stelle gibt, das die Bewertung der verschiedensten Unterlagen neutral vornehmen und entscheiden kann, was im Archiv verbleibt und was kassiert wird. Für diese verantwortungsvolle Arbeit braucht es eine gute Ausbildung und es braucht vor allem Unabhängigkeit, insbesondere von den Stellen, die die Unterlagen produziert haben.

Dass die Novellierung des Archivgesetzes aus dem Jahr 1988 nun endlich angegangen wird, ist überfällig, erst recht im digitalen Zeitalter. Die Digitalisierung bietet ja nicht nur eine größere Benutzerfreundlichkeit, da die Bestände der Archive leichter zugänglich sind. Sie hat vor allem auch die gesamte Kommunikation beeinflusst und somit das Entstehen von Unterlagen, die in vielen Fällen nur noch digital vorliegen. Der Anpassungsbedarf ist hier also besonders groß und besonders vielfältig. Nur zwei Aspekte sollen diese Breite umreißen:

Ins Bundesarchivgesetz gehört für uns ein expliziter Auftrag zur Digitalisierung von Inhalten – und das gehört eingebettet in eine gesamtstaatliche Digitalisierungsstrategie, wie wir Linken sie seit langem fordern.

Aber auch für den Datenschutz stellen sich durch die Digitalisierung neue Herausforderungen: Wir sind heute selbst sehr darauf bedacht, mit unseren persönlichen Daten zurückhaltend umzugehen. Das sollten wir auch im Umgang mit personenbezogenen Daten aus vergangener Zeit tun – erst recht, da sich durch die Digitalisierung ganz andere Möglichkeiten bieten, Informationen miteinander zu verknüpfen. Gerade in der pädagogischen Arbeit hat es sich bewährt, anhand einzelner Schicksale die Dimension der NS-Verfolgung ganz konkret zu machen und den Opfern ihren Namen zurückzugeben. Jedoch heißt das nicht, dass man von der Person alles Private öffentlich machen darf, was in den zugänglichen Akten zu finden ist. Hier brauchen wir gerade auch für die vielen ehrenamtlichen Engagierten eine fundierte Begleitung durch ausreichend Personal in den Archiven.

Maßgeblich ist, dass das neue Gesetz den Zugang zu den Akten erleichtert – im Sinne von mehr Transparenz und erst recht für wissenschaftliche Zwecke. Jedoch erweist sich der vorliegende Gesetzentwurf an so mancher Stelle eher als forschungshemmend. Problematisch sind zum Beispiel die fehlende Definition der „Dritten“, so schwammige Formulierungen wie „Entstehung der Unterlagen“ oder „Menschenrechtsverletzung“ bei den Schutzfristenregelungen oder aber auch die Tatsache, dass die abgebende Stelle weiterhin mitreden darf, ob eine Sperrfrist verkürzt wird oder nicht.

In den vergangenen 30 Jahren sind die Ansprüche an Transparenz und Informationsfreiheit enorm gewachsen, denen ein neues Bundesarchivgesetz genügen muss. Genau das aber tut es in der vorliegenden Fassung nicht. Mit der Einführung des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) wurde auch das Bundesarchivgesetz entsprechend geändert, indem eine Ausnahme von der Schutzfrist formuliert wurde für Unterlagen, die bereits einem Informationszugang nach IFG offengestanden haben. Im Unterschied dazu bezieht sich der vorliegende Entwurf nun nur auf diejenigen Unterlagen, für die die Einsicht auch gewährt worden ist. Das heißt also, dass Unterlagen, für die das Recht auf Informationsfreiheit noch nicht genutzt wurde, nach Überführung ins Archiv 30 Jahre lang unzugänglich bleiben. Das darf im Sinne von mehr Transparenz auf keinen Fall so bleiben!

Auch sollten wir uns über die Aufgabenbestimmung des Bundesarchivs noch genauer verständigen. Sicher, das Bundesarchiv ist ein Archiv für die Unterlagen des Bundes und seiner Behörden, und es ist gut, dass mit dem Gesetzentwurf klarere Pflichten an die abgebenden Stellen formuliert werden. Auch begrüßen wir, dass die Akten des Auswärtigen Amtes dem Bundesarchivgesetz unterstellt werden.

Abgesehen vom Verwaltungshandeln ist das Bundesarchiv jedoch auch eine Gedächtnisinstitution der gesamten Gesellschaft. So ist es positiv, dass sich in der Gesetzesbegründung auch der Bezug zur Sozial-, Kultur- und Geistesgeschichte findet, also auch Privatpersonen oder nichtstaatliche Organisationen ins Blickfeld rücken. Hierbei brauchen wir aber klare Regeln, welche Stellen ihre Unterlagen abgegeben müssen und welche es lediglich können, wenn sie denn wollen.

Legt man dieses weite Verständnis zugrunde, sind die Aufgaben im Gesetzentwurf jedoch an vielen Stellen zu eng gefasst, zum Beispiel beim filmischen Erbe. Der Film ist ein dem Buch gleichwertiges Kulturgut und das Filmerbe ein zentraler Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Daher fordern wir Linke seit Jahren eine Pflichtexemplarregelung ähnlich wie für Bücher bei der Deutschen Nationalbibliothek. Schon in der letzten Legislatur haben wir das thematisiert und auch in diesem Jahr in unseren beiden Anträgen zur Filmförderung und zur Sicherung des Filmerbes. Mit der Novellierung des Bundesarchivgesetzes sollten wir die Chance nun endlich nutzen, den Film so wie das Buch zu schützen und den Zugriff auf alle öffentlich aufgeführten Filme, seien es nun Kurz- oder Spielfilme, Kultur- oder Dokumentarfilme, Animations- oder Werbefilme, mit Hilfe einer Hinterlegungspflicht zentral im Bundesarchiv zu ermöglichen.

Im vergangenen Jahr hatte sich auch die Expertenkommission zur Zukunft der Stasiunterlagenbehörde ausführlich mit den Anforderungen an ein neues Bundesarchivgesetz beschäftigt. Es ist sehr bedauerlich, dass die Koalition deren Empfehlungen sang- und klanglos in der Schublade hat verschwinden lassen. Mit der Überführung ins Bundesarchiv hätten sich die Akten gerade nicht geschlossen, sondern wären vielmehr einer umfassenden Analyse im Gesamtkontext der Überlieferung zur SBZ/DDR erst geöffnet worden.

Zuletzt noch zu einer Neuregelung, die wir Linke für unnötig und hoch problematisch halten und die das eingangs beschriebene Gebot zur Unabhängigkeit konterkariert, nämlich die Fachaufsicht der Beauftragten für Kultur und Medien. Im Entwurf ist nämlich nicht eindeutig geklärt, dass diese Fachaufsicht keinen Einfluss auf die Bewertungsentscheidungen im Bundesarchiv haben wird. Diese Neuregelung bekommt außerdem ein besonderes Geschmäckle, wenn man sie in Beziehung zu den Ausnahmeregelungen für die Abgabe von Unterlagen der Nachrichtendienste setzt. Nachdem die Unabhängige Historikerkommission zur Geschichte des BND ihre Arbeit abgeschlossen hatte, sollten die Akten aus der Frühzeit des BND eigentlich ins Bundesarchiv überführt werden. Nun wird im Gesetz aber formuliert, dass die Unterlagen der Nachrichtendienste dem Bundesarchiv nur anzubieten sind, wenn dem keine schutzwürdigen Interessen der bei den Nachrichtendiensten beschäftigten Personen entgegenstehen. Diese sehr dehnbare Formulierung stellt einen verhängnisvollen Rückschritt dar und leistet der schon viel zu lange währenden Geheimhaltungstaktik auch noch Vorschub. Gerade angesichts des vielfältigen Versagens der Nachrichtendienste bei der Aktenführung und Archivierung, wie es zuletzt auch im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex zutage getreten ist, ist diese Ausnahmeregelung völlig inakzeptabel. Wir brauchen endlich eine gesetzliche Regelung, die die Akteneinsicht nach 30 Jahren auch bei Unterlagen der Nachrichtendienste sicherstellt.

Im parlamentarischen Prozess sind also noch einige hochspannende Fragen zu klären.