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Rede von Richard Pitterle zu Protokoll gegeben am 09.03.2017

Rede von Richard Pitterle,

Aufgaben- und Arbeitsteilung ist schon lange nicht mehr auf Betriebe und einzelne Unternehmen beschränkt. Das Idealbild vom engagierten Einzelunternehmer, der Produkte oder Dienstleistungen eigenverantwortlich entwickelt und vermarktet, ist in allen Branchen ein Auslaufmodell. Wettbewerbsdruck und eine zunehmend komplexe Wirtschaftswelt zwingen Unternehmen dazu, sich Partner zu suchen, mit denen sie gemeinsam an Lösungen arbeiten. Bei der Verbindung von verschiedenen Unternehmen sind der Phantasie in der Praxis keine Grenzen gesetzt. Die Verflechtungen reichen von der einfachen Kapitalbeteiligung über die gemeinsame Nutzung von Ressourcen bis hin zu echten Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen, die die zusammenarbeitenden Unternehmen wie ein großes Unternehmen erscheinen lassen. Landläufig werden diese durch Verträge oder Kapitalbeteiligungen verbundenen Unternehmen als Konzern bezeichnet.

Auch wenn verlässliche Statistiken insbesondere durch internationale Verflechtungen schwer zu erstellen sind, lässt sich diese Konzentration in allen Branchen beobachten. In vielen Bereichen dominieren Konzerne den Markt bei Umsatz und Beschäftigten.

Trotz dieser Bedeutung der Konzerne bereitet die rechtliche Behandlung von Konzernstrukturen dem deutschen Recht nach wie vor erhebliche Probleme. Das Gesellschaftsrecht geht grundsätzlich vom sogenannten Trennungsgebot aus: Jedes Unternehmen eines Konzerns ist rechtlich selbstständig. Auch im Steuerrecht gilt der Grundsatz der Individualbesteuerung der einzelnen Gesellschaften, auch wenn mit vielen Sonderregelungen versucht wird, den Konzern insgesamt zu erfassen.

Nun sind es gerade in letzter Zeit international agierende Konzerne, die wiederholt die Öffentlichkeit und Steuerpolitik bewegt haben. Obwohl sie wie ein Unternehmen nach außen in Erscheinung treten, können sie die Aufteilung in verschiedene rechtlich selbstständige Unternehmen ausnutzen, um Gewinne kleinzurechnen, zu verschieben und so ihre Steuern auf ein Minimum zu reduzieren. Erst kürzlich haben wir mit dem Gesetz über Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen erstmalig Regelungen für „multinationale Unternehmensgruppen“ in die Abgabenordnung aufnehmen müssen.

Im Insolvenzrecht, das heute Gegenstand der Beratungen ist, gilt – ich zitiere den geschätzten Kollegen Hirte aus seiner Kommentierung zur Insolvenzordnung –: „Eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz.“ Bisher gibt es in der Insolvenzordnung keine eigenständigen Regelungen, wie bei Konzernen zu verfahren ist, wenn einzelne Teile insolvent werden. Gerade bei stark verflochtenen Unternehmen führt jedoch die Insolvenz einer Gesellschaft häufig zu einem Dominoeffekt, der die anderen Gesellschaften und damit den Konzern insgesamt in den Abgrund reißen kann. Die Insolvenzrichter und Insolvenzverwalter haben es bisher jedoch geschafft, auch Konzerninsolvenzen mit pragmatischen Lösungen zu bewältigen. Wenn derartige Regelungen nun in der Insolvenzordnung aufgenommen werden, ist das prinzipiell zu begrüßen.

Das vorliegende Gesetz wählt einen minimalistischen Ansatz. Konzentration auf ein gemeinsames Insolvenzgericht, ein paar Koordinierungsregeln und die Beschwörung guter Zusammenarbeit der Beteiligten: Fertig ist das „Konzerninsolvenzrecht“. Allerdings halten viele der angehörten Sachverständigen die Regelungen für unpraktikabel.

Wir begrüßen, dass Sie unseren Forderungen gefolgt sind, der Anzahl der Beschäftigten für die Wahl des gemeinsamen Gerichtsstandes Vorrang einzuräumen und auch die Arbeitnehmervertretung im gemeinsamen Gläubigerausschuss sicherzustellen.

Wir hätten uns aber insgesamt einen mutigeren Ansatz gewünscht, der, wie es auch in der betrieblichen Steuerlehre gefordert wird, das Trennungsgebot zugunsten des Einheitsgebotes zumindest bei stark verflochtenen Unternehmen aufgibt. Wenn ein Konzern organisatorisch und betriebswirtschaftlich wie ein Unternehmen agiert, sollte er auch wie nur ein Unternehmen behandelt werden. Oder wie der Volksmund sagt: mitgefangen, mitgehangen.

Das Konzept der sogenannten materiellen bzw. Massekonsolidierung kommt in den USA bei größeren Konzerninsolvenzen regelmäßig erfolgreich zur Anwendung. Gerade aus Gläubigersicht erscheint ein derartiges Verfahren wünschenswert. Geschäftspartner vertrauen auf die Stärke des Konzerns, wenn sie Verträge mit den einzelnen Gesellschaften abschließen. Bei der Insolvenz eines Teiles müssen sie dann aber erkennen, dass das Tafelsilber unerreichbar fern bei der Mutter liegt und die verstoßene Tochter leider nur leere Schubladen vorweisen kann. Mit der Massekonsolidierung steht den Gläubigern dann auch das Tafelsilber der Mutter zur Verfügung. Und wenn der Konzern ohnehin wie ein Unternehmen agiert, lässt sich die Sanierung einzelner Teile in einem einheitlichen Verfahren für den ganzen Konzern effektiver sicherstellen.