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Erinnern heißt handeln!

Rede von Petra Pau,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Es war und bleibt richtig, dass wir im Bundestag an den 9. November 1938, die Reichspogromnacht, erinnern. Danach beschlossen die Nazis den systematischen Mord an allen Jüdinnen und Juden, und es folgte ein unsägliches Menschheitsverbrechen. Deshalb sage ich auch: Wer diese furchtbare Zeit und diese Vorgänge als Vogelschiss deutscher Geschichte verharmlost, macht sich nachträglich mitschuldig.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der nötige Rückblick ersetzt aber nicht den aktuellen Draufblick, und die pünktliche Debatte im Bundestag darf nicht das alltägliche Dilemma ausblenden. Antisemitismus ist präsent und bedroht Jüdinnen und Juden hierzulande, weil sie Jüdinnen und Juden sind. Das ist wider den Anspruch des Grundgesetzes, aber es ist vor allen Dingen auch eine Gefahr für Leib und Leben und deshalb nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Einmal im Quartal frage ich die Bundesregierung, wie viele Straf- und Gewalttaten sie mit antisemitischem Hintergrund registriert hat. Die Zahlen sind hoch und steigend. Das ist schlimm. Zugleich stapeln sie tief; denn Antisemitismus erfahren Jüdinnen und Juden auch im Alltag. Viele wagen es bereits nicht mehr, sich öffentlich jüdisch zu bekennen. Deshalb reicht es nicht, an 1938 und die Nazizeit zu erinnern. Der Bundestag, die Politik, die Gesellschaft müssen sich verstärkt gegen aktuellen Antisemitismus engagieren. Das Kontra zum Antisemitismus bedarf aber eines Pro zum jüdischen Leben. Das beginnt in der Schulzeit. Schülerinnen und Schüler erfahren allzu oft im Unterricht erstmals etwas über Juden, wenn es um den Holocaust geht. Danach sind Juden dann vor allen Dingen Opfer. Über jüdische Kultur, jüdisches Leben in der Geschichte und in unserer Gesellschaft erfahren sie kaum etwas, und das muss sich dringend ändern. Die Nobelpreisträger, die Künstlerinnen und Künstler, die erfolgreichen Sportler, überhaupt Jüdinnen und Juden gehören in die Lehrpläne und in das alltägliche Leben.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Noch ein aktuelles Thema: Natürlich sind die christlichen Feiertage aus unserem Jahreskalender nicht wegzudenken. Was ist eigentlich mit jüdischen Feiertagen oder wenigstens dem Respekt vor der Religionsausübung, sei es bei der Terminierung von Prüfungen oder bei der Organisation in den Hochschulen oder im Arbeitsleben? Auch hier ist noch viel Handlungsbedarf.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ein letzter Punkt – es wurde schon erwähnt –: Wir haben heute Vormittag im Innenausschuss mit dem Beauftragten für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus über die im Moment in Entwicklung befindliche nationale Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus gesprochen. Ich hoffe sehr – die Bundesregierung ist ja hier nahezu vollständig vertreten –, dass Sie Ende des Monats diese Strategie verabschieden und dass wir uns gemeinsam der Umsetzung und der Verbreitung derselben bis in die letzte Kommune annehmen und uns entsprechend engagieren.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)