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Was Wissenschaft ist, entscheidet nicht die AfD

Rede von Nicole Gohlke,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD beantragt heute, Wissenschaften mit ideologischer Agenda evaluieren zu lassen. Ich muss schon sagen: Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Fraktion, die in der vergangenen Wahlperiode ja in ihren Reihen eine Hellseherin beschäftigt hat, nun die Wissenschaft retten will.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist schon ein ganz besonderes Schmankerl, muss ich sagen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Kolleginnen und Kollegen, Wissenschaft trägt immer auch die Spuren der gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie produziert wird. Insofern ist die Behauptung der AfD, es gebe ideologische Agendawissenschaft auf der einen und die vollkommen objektive Wissenschaft auf der anderen Seite, falsch und auch anmaßend.

Die AfD macht es sich mit der Frage der Wissenschaftlichkeit ja auch recht leicht; denn für die AfD ist weder wichtig, ob sich eine Theorie wissenschaftlich überprüfen lässt,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das tun die Gender Studies nicht!)

noch, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Forschung gewonnen wurden, und auch nicht, ob sich in der Wissenschaft ein Konsens zu einer wissenschaftlichen Theorie herausbildet. Nein, für die AfD ist einfach alles unwissenschaftlich oder Ideologie oder Agendawissenschaft, was sie selbst politisch ablehnt und bekämpft,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wir fordern doch nur eine Evaluierung! Es soll nichts verboten werden!)

also zum Beispiel die Geschlechterforschung, die Klimaforschung oder die Erforschung der Kolonialgeschichte.

Diese politische Ablehnung – und das muss man hier ganz deutlich sagen, weil das, glaube ich, der Kernpunkt ist, um den es hier geht – ist nicht nur eine abstrakte Haltung, sondern es geht hier um gesellschaftliche Auseinandersetzungen mit ganz konkreten Auswirkungen auf Menschen und auch auf das gesellschaftliche Klima.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Stephan Seiter [FDP])

Wenn die AfD die Geschlechterforschung als Agendawissenschaft bezeichnet, greift sie den darin enthaltenen Impuls von Ermächtigung und Selbstbestimmung für all die Personengruppen an, die eben keine Cis-Hetero-Männer sind. Wenn die AfD der Klimaforschung die Wissenschaftlichkeit abspricht, dann geht es ihr vor allem darum, weiterhin an einer Gesellschaft festzuhalten, die auf der Ausbeutung von Mensch und Natur beruht, und darum, diesen Status gegen Veränderungen zu verteidigen. Und wenn die AfD die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus als ideologisch bezeichnet, dann geht es ihr schlicht darum, die verbrecherische Geschichte des Kolonialismus zu unterschlagen und in der Tradition des Kolonialismus an einer Geschichtsschreibung festzuhalten, in der der Großteil der Weltbevölkerung nur als Unmündige und Objekte der Unterwerfung vorkommen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Marlene Schönberger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Worum es der AfD also im Kern geht, ist, selbst und anstelle von Wissenschaft zu entscheiden, was zu Wissenschaft zählen soll und was nicht. Es ist kein Kampf gegen Agendawissenschaften; es ist ein Kampf gegen eine Wissenschaft, die nicht ihrer Agenda folgt.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Es geht um Evaluierung!)

Und damit, Kolleginnen und Kollegen, geht es zwar auch um Wissenschaft; aber es geht noch viel mehr um Hegemonie und um Herrschaft.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Damit kennt ihr euch aus!)

Und weil wir aus der Geschichte wissen, dass dieser Herrschaftsanspruch nicht bei der Evaluation missliebiger Wissenschaften haltmachen wird, gilt es, ihm hier und auch überall sonst in der Gesellschaft entgegenzutreten.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was vergleichen Sie denn jetzt?)

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)