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Rede von Klaus Ernst im Deutschen Bundestag: "Lohndumping verhindern - Leiharbeit begrenzen"

Rede von Klaus Ernst,

”Immer mehr Arbeitnehmer in Leiharbeitsfirmen sind Aufstocker, so auch bei der Firma Schlecker.” kritisierte Klaus Ernst das Lohndumping durch Leiharbeit. ”Wir finanzieren mit Steuergeldern die billigen Löhne und den Reichtum von Anton Schlecker.” - mit diesen Worten führte der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion DIELINKE den Antrag ”Lohndumping verhindern - Leiharbeit begrenzen” ein.

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal debattieren wir im Deutschen Bundestag über die Leiharbeit. Anlass ist dieses Mal die Firma Schlecker.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ganz schlechte Presse für Sie heute!)

Warum? Bei der Firma Schlecker wird den Verkäuferinnen gekündigt; dann wird ihnen angeboten, bei den neuen XL-Märkten als Leiharbeiterinnen wieder anzufangen. Etwa 4 300 Leute sind betroffen. Ihnen wird gesagt, sie könnten dort für die Hälfte des Lohnes arbeiten, ohne Weihnachts- und Urlaubsgeld, bei weniger Urlaubstagen. Bereits 1 000 der kleinen Filialen der Firma Schlecker wurden geschlossen. Das Problem dabei ist: All das, was die Firma Schlecker hier macht, ist vollkommen legal.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Das ist das Schlimme!)

Für die betroffenen Schlecker-Beschäftigten heißt das: Inzwischen werden Stundenlöhne von nur 6,50 Euro bezahlt. Der Tariflohn wäre 12,70 Euro. Die Leiharbeitsfirma Meniar, für die die Arbeitnehmer letztendlich arbeiten müssen, hat einen Tarifvertrag mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit, CGZP, abgeschlossen.

Was sind die Folgen für die Beschäftigten? Inzwischen dürfte es sich herumgesprochen haben; der Stern hat in seiner Ausgabe vom letzten Donnerstag in einer sehr deutlichen Sprache vom „Geschäftsmodell Ausbeutung“ gesprochen. Die Menschen leben in Angst vor Kündigung, werden gezwungen, unbezahlte Überstunden zu machen, schuften bis zu 60 Stunden in der Woche für einen Hungerlohn usw.

Hier liegt die Situation vor, dass die Menschen bei der Leiharbeitsfirma dieselbe Arbeit machen wie Festangestellte, aber nur die Hälfte des Lohns verdienen. Das ist ein absolut unakzeptabler Zustand.

(Beifall bei der LINKEN)

Er hat mit modernen Arbeitsbedingungen nichts zu tun. Nachdem Sie von den Grünen und der SPD bei diesem Thema inzwischen eine andere Position einnehmen, würde ich mich im Übrigen freuen, wenn Sie darüber nachdenken könnten, was Sie damals eigentlich angestellt haben, als Sie die Leiharbeitsregelungen gelockert haben.

Der Punkt ist: Immer mehr Arbeitnehmer in Leiharbeitsfirmen sind Aufstocker, so auch bei der Firma Schlecker. Sie werden zum Teil aus Steuergeldern bezahlt, während Herr Schlecker, der Eigentümer dieses Unternehmens mit einem geschätzten Vermögen von 2,4 Milliarden Euro, weniger Lohnausgaben hat. Wir finanzieren mit Steuergeldern die billigen Löhne und den Reichtum von Anton Schlecker. Das ist zurzeit der Zustand.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Unerhört!)

Was macht die Bundesregierung? Noch im November hat sie auf Anfrage von Sabine Zimmermann erklärt: ”Die Bundesregierung ist kein Forschungsinstitut, dessen Aufgabe es wäre, solchen Einzelfällen nachzugehen.”

Keine zwei Monate später sehen wir jetzt, dass Frau von der Leyen leider ist sie nicht da inzwischen dieses sehr wichtige Thema aufgreift. In der Sendung Anne Will hat sie am 10. Januar 2010 gesagt - ich zitiere wörtlich - : ”Bei Schlecker gucken wir sehr genau hin, ob da Missbrauch betrieben wird oder ob Gesetze umgangen werden. Wenn das der Fall ist, werden wir diese Schlupflöcher schließen.” Man solle die Leiharbeit insgesamt doch bitteschön nicht verteufeln, das wäre ja offensichtlich sozusagen nur ein Ausreißer.

Ich kann nur sagen: Schlecker ist kein Einzelfall. Wenn man so tut, als wäre dies ein Einzelfall, dann will man die Leiharbeit offensichtlich generell nicht regeln, sondern dann will man das nur auf einen Einzelfall schieben. Das werden wir nicht zulassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte einige Beispiele aus der Realität der Bundesrepublik Deutschland aufzeigen:

Bei dem Unternehmen BMW in Leipzig arbeiten rund 30 Prozent der Beschäftigten als Leiharbeitnehmer. Das hat im Übrigen überhaupt nichts mehr mit Auftragsspitzen zu tun, wie oft argumentiert wird. Es müsste sich ja schon um eine Hochebene handeln, wenn 30 Prozent der Arbeitnehmer Leiharbeiter sind. Auftragsspitzen in Höhe von 30 Prozent sind keine Spitzen mehr.

Bei dem Siemens-Schaltwerk in Berlin waren von 2 200 Beschäftigten 600 Leiharbeitnehmer.

Die Braunschweiger Zeitung beschäftigt Leiharbeitnehmer, wobei diese Angestellte der eigens dafür gegründeten Druck- und Verlags-Service GmbH sind. Deren einziger Kunde ist die Braunschweiger Zeitung. Der Lohnunterschied zu den Festangestellten beträgt 1 000 bis 1 500 Euro im Monat. Die Leute dort haben weniger Urlaubstage, sie erhalten weniger Zuschläge, sie haben keine Freischicht usw.

Bei der Schmitz Cargobull AG in Altenberge kamen auf 440 Beschäftigte mit einer Festanstellung in der Spitze bis zu 600 Leiharbeitskräfte. Nach Protesten der IG Metall und der Belegschaft ist die Quote nun auf etwa 30 Prozent abgesenkt worden.
Ich könnte diese Liste beliebig lange fortsetzen. Wer bei dieser Situation und bei dieser Realität noch sagt, es handele sich bei der Leiharbeit um ein Einzelproblem, der verkennt die Realität und der will das Problem verschleiern. Das ist die Realität.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Sinn der Leiharbeit ist inzwischen nicht mehr, Auftragsspitzen abzudecken, der Sinn ist auch nicht mehr, wegen Krankheit oder aus anderen Gründen kurzfristig Personal auszugleichen, sondern der Sinn der Leiharbeit ist ganz einfach erstens eine Lohnsenkung für die Beschäftigten und zweitens eine Disziplinierung der Arbeitnehmer, die nicht in Leiharbeit beschäftigt, sondern im selben Unternehmen wie die Leiharbeiter fest angestellt sind.
Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können, aber was glauben Sie eigentlich, wie es wirkt, wenn zwei Leute nebeneinander dieselben Tätigkeiten ausüben, wobei der eine 30 oder 40 Prozent weniger Lohn erhält? Das ist offensichtlich das, was der eine oder andere hier unter Motivation versteht. Glauben Sie denn wirklich, dass unter solchen Bedingungen tatsächlich eine Belegschaft vorhanden ist, die sich bemüht und richtig motiviert den Betrieb voranbringt? Ich denke, das glauben Sie selber nicht.

Wir haben das Problem - das ist ein anderer Gesichtspunkt bei der Leiharbeit - , dass dadurch auch das Beschäftigungsrisiko weg von den eigentlichen Arbeitgebern hin zu den Beschäftigten verlagert wird. Der Gewinn wird oft auch als Risikozuschlag bezeichnet. Ich sage Ihnen: Wenn nicht mehr der Arbeitgeber, sondern letztendlich die Beschäftigten das Risiko tragen, weil sie sofort entlassen werden, wenn irgendetwas kracht, dann ist letztlich auch der Gewinn des Unternehmens infrage gestellt. Wenn der Gewinn der Risikozuschlag ist, das Risiko aber die Arbeitnehmer tragen, dann müssten sie letztendlich auch den Gewinn erhalten. So einfach ist die Lage.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich brauche Ihnen die Daten nicht weiter aufzuzählen und nenne nur einige Punkte: Zwischen 1997 und 2007 betrug die Zunahme bei der Leiharbeit 235 Prozent, zwischen 2003 und 2009 kamen über eine halbe Million Beschäftigte in der Zeitarbeitsbranche neu hinzu usw. Ich glaube, wenn man hier noch von Einzelproblemen redet, dann verkennt man die Realität wirklich.
Wie konnte es dazu eigentlich kommen? Warum haben wir das Problem? Unter Rot-Grün wurde die Leiharbeit 2002 im Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt in einer Weise dereguliert und hoffähig gemacht, dass man sich heute nicht wundern muss, dass diese Leiharbeit auch in der Form praktiziert wird, wie sie praktiziert wird.

Was ist passiert? Das Befristungsverbot bei der Leiharbeit ist aufgehoben worden. Das Synchronisationsverbot bei der Leiharbeit, wonach ein Leiharbeiter nur genau so lange eingestellt werden darf, wie er verliehen wird, ist aufgehoben worden. Das Wiedereinstellungsverbot bei der Leiharbeit ist aufgehoben worden. Die Beschränkung der Überlassungsdauer auf zwei Jahre ist aufgehoben worden. Es gab ursprünglich eine Begrenzung der Überlassungshöchstdauer bei Leiharbeit auf drei Monate, die inzwischen aufgehoben worden ist. Dafür hat man im Gesetz den Gleichstellungsgrundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, Equal Pay, verankert, der aber durch Tarifverträge ausgehebelt werden kann. Im Ergebnis haben wir die Billigtarifverträge der Christlichen Gewerkschaften.

Diejenigen, die dieses Gesetz damals gemacht haben, hätten wissen müssen, dass dies passieren wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Erstens haben die Gewerkschaften damals davor gewarnt, das Gesetz so zu verabschieden.

(Anette Kramme (SPD): Das stimmt doch gar nicht! Die haben mit am Verhandlungstisch gesessen!)

Auch Rot-Grün ist gewarnt worden.

(Widerspruch des Abg. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

- Ich kann Ihnen gerne vorlesen, Herr Kuhn, auch das, was Sie bzw. Ihre Fraktion damals gesagt hat.

Zweitens wollten Sie mit diesem Gesetz bewusst dazu beitragen, dass die Löhne gesenkt werden. Aus den Protokollen geht hervor, dass durchaus zur Debatte stand, Tarifverträge abzuschließen, die unter dem Niveau des Equal-Pay-Grundsatzes lagen. Das war die damalige Situation.

Heute sagt die SPD, sie wolle alles anders machen. Ich will aber festhalten, dass auch Klaus Brandner, Hubertus Heil, Elke Ferner, Olaf Scholz und Anette Kramme damals dieser Liberalisierung der Leiharbeit zugestimmt haben. Ich halte das für eine Sauerei.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Aha! Anette Kramme ist also schuld!)

Klaus Brandner hat am 15. November 2002 im Bundestag gesagt:
Mit den neuen Bestimmungen holen wir die Leiharbeit insgesamt aus der Schmuddelecke.

Auf dem SPD-Parteitag am 13. November 2009 hingegen hat Herr Gabriel gesagt - ich zitiere - : ”Was wir aber falsch gemacht haben, ist Folgendes: Wir haben das Scheunentor für Scheintarifverträge mit Scheingewerkschaften so aufgemacht, dass für viele Leih- und Zeitarbeit der Regelfall geworden ist und dass sie mit Armutslöhnen zu leben haben, liebe Genossinnen und Genossen.”

Mich wundert, dass euch das immer erst in der Opposition einfällt statt dann, wenn ihr regiert und es ändert könntet, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen.

(Beifall bei der LINKEN - Anette Kramme (SPD): Schauen Sie doch mal auf die Beschlüsse des Parteitages! - Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Ihr habt das Gesetz gemacht!)

Deshalb fordern wir Linken - Sie können beweisen, dass Sie es mit der Regelung der Leiharbeit ernst meinen; denn wir haben einen entsprechenden Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht - : Erstens darf der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht unterlaufen werden, auch nicht durch Tarifverträge. Es war Ihr großer Fehler, dass Sie das ins Gesetz aufgenommen haben.
Zweitens müssen Leiharbeitnehmer wie in Frankreich besser gestellt werden als die normalen Arbeitnehmer, weil sie besonders flexibel sein müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb fordern wir eine Zulage in Höhe von 10 Prozent des Bruttolohns für Leiharbeitnehmer in den Betrieben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Überlassungshöchstdauer muss wieder auf drei Monate begrenzt werden, und vor allen Dingen brauchen wir wieder mehr Mitbestimmungsrechte für die Betriebsräte.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer weiß besser, ob reguläre Arbeitsverhältnisse zugunsten von Leiharbeit beendet werden sollen, als die Betriebsräte? Sie können beurteilen, ob Leiharbeitnehmer dazu benutzt werden, die Zahl der Stammbeschäftigten abzubauen.

Sie haben Gelegenheit, unserem Antrag zuzustimmen. Dann werden wir die Ernsthaftigkeit Ihrer gegenwärtigen Debatte überprüfen können.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)