Zum Hauptinhalt springen

Rede von Heidrun Bluhm zu Protokoll gegeben am 29.06.2017

Rede von Heidrun Bluhm-Förster,

Die Verkleinerung des Unterschieds zwischen Stadt und Land, die Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Regionen wird eine der großen Herausforderungen der Politik auf allen Ebenen in den nächsten Jahren, auch wenn viele von uns diese Herausforderung erst langsam wahrnehmen.

Ich bin froh, dass wir diesen herausragenden Baukulturbericht heute debattieren. Ich möchte ausdrücklich allen Beteiligten der Bundesstiftung „Baukultur“ für die qualifizierte Arbeit danken, die mit diesem Bericht geleistet wurde. Er ist aus meiner Sicht der umfassendste und qualifizierteste Lagebericht, den es zu diesem Thema derzeit gibt.

„Eine Zukunftsperspektive für das Land durch Baukultur“ ist ein Leitgedanke dieses Berichtes. Dieser Intention kann ich nur zustimmen. Und diese Forderung, oder besser: Feststellung belegt: Die Entwicklung des ländlichen Raumes darf durch die unterschiedlichen Ressorts nicht isoliert betrachtet werden. Agrarstrukturelle Aspekte spielen eine ebenso große Rolle wie soziale, wirtschaftliche und baukulturelle. Alle Ressorts stehen bei der Entwicklung des ländlichen Raumes in der Pflicht, vor allem aber das Ressort Landwirtschaft. Aber ausgerechnet im Landwirtschaftsausschuss ist der Baukulturbericht nicht beraten worden. Ein großes Versäumnis, das sich aber in der kommenden Legislatur heilen lässt.

Wir wollen eine ressortübergreifende Gesamtstrategie zur Entwicklung des ländlichen Raumes, eine Politik aus einem Guss und eine Förderarchitektur, die den ländlichen Raum gegenüber den Metropolen nicht benachteiligt. Wir brauchen eine solide und verlässliche Förderung des ländlichen Raumes statt eines Förderdschungels und vieler Modellprojekte. Der ländliche Raum muss ein eigenständiges Politikfeld werden und darf kein Nebenprodukt der Agrarpolitik bleiben.

Wir legen hier heute einen Entschließungsantrag vor, der viele Aspekte des Baukulturberichtes aufnimmt und darüber hinaus in einem „A–Z“ darstellt, wie wir uns als Linke eine gute Politik für den ländlichen Raum vorstellen: Stopp des Flächenverbrauchs zugunsten aktiver und multifunktionaler Ortszentren, interdisziplinäres ressort­übergreifendes Handeln, eine integrierte Politik für den ländlichen Raum, auch eine integrierte ländliche Entwicklung vor Ort, interkommunale Zusammenarbeit zur gemeinsamen Bedarfsabstimmung, aktive Bodenpolitik. Diese Punkte fordern wir in unserem Entschließungsantrag ein. Und der Baukulturbericht belegt und unterstützt unsere Positionen.

Wir sprechen darin noch viele weitere Punkte an, die die Koalition in ihren bisherigen eigenen Initiativen nicht berücksichtigt hat. Denn heute ist auch ein Moment, um Bilanz zu ziehen. Wir müssen feststellen: Statt realer Politik, die die Lebensbedingungen der Menschen im ländlichen Raum verbessern würde: Placebos, Modellprojekte, Scheininitiativen, Aktionismus und Sonntagsreden. Es stellt sich die Frage: Was haben Sie in den jetzt vergangenen vier Jahren Regierungszeit erreicht?

Erstens. Das GAK-Gesetz ist nicht im notwendigen Umfang reformiert worden. Damit wäre eine moderne vielseitige Förderung des ländlichen Raumes möglich gewesen. Eine echte Reform der Gemeinschaftsaufgabe hin zu einer Gemeinschaftsaufgabe für die ländliche Entwicklung wäre eine wirkliche Chance gewesen.

Zweitens. Auch die Mittelaufstockung der Gemeinschaftsaufgabe hat nicht im nötigen Umfang stattgefunden. Wir fordern mindestens 200 Millionen Euro mehr für die ländliche Entwicklung, um zumindest die drängendsten Probleme angehen zu können. Auch wenn die Mittel für einige Programme des Bundes erhöht wurden, erhält der ländliche Raum noch immer zu wenig Mittel, wenn wir den Vergleich zur Städtebauförderung ziehen oder zu dem, was durch andere Förderprogramme in die Städte fließt.

Drittens. Wir sehen auch keine „Politik aus einem Guss“, wie es Landwirtschaftsminister Schmidt einmal angekündigt hat. Es gibt immer noch eine starke sektorale Zersplitterung.

Ein kleines Beispiel: Aus allein drei Ministerien wird der Breitbandausbau im ländlichen Raum gefördert. Es gibt keine Koordination und Bündelung von Kompetenzen. Schmidt und Hendricks befinden sich mitten im Kompetenzgerangel. Die ganze Bundesregierung scheint weitestgehend planlos bei der ländlichen Entwicklung. Wir wollen ein eigenes Politikfeld für den ländlichen Raum und eine tragfähige, ressortübergreifende Strategie.

An anderen Stellen hat die Bundesregierung sogar Politik gegen eine positive Entwicklung des ländlichen Raumes gemacht. Statt den Flächenverbrauch zu stoppen, wird dieser mit der letzten BauGB-Novelle sogar noch befördert und die Ausweisung neuer Wohngebiete damit erleichtert. Das ist Politik gegen die Ortskerne und damit gegen attraktive ländliche Orte und auch gegen den Erhalt wertvoller landwirtschaftlicher Nutzfläche.

Auch die kommunalen Haushalte werden weiter belastet. Wenn Gemeinden besonders in ländlichen Regionen aber nicht handlungsfähig sind, können sie nicht in die Zukunft investieren und vor allem keine eigenständigen Entscheidungen mehr treffen. Dann wird nur noch Mangel verwaltet statt Zukunft gestaltet. So wundert es uns jedenfalls nicht, dass Populisten und Rechte den ländlichen Raum entern können.

Wir alle müssen Grundprobleme, wie den lahmenden Breitbandausbau und die schlechte kommunale Finanzausstattung, endlich angehen. Sonst hilft die beste Politik für den ländlichen Raum nicht.

Nur wir Linken stellen die Eigentumsfrage mit der nötigen Konsequenz: Wem gehört das Land? Diese Frage ist entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raumes. Die Privatisierung öffentlicher Flächen der BVVG und auch kommunaler Liegenschaften muss gestoppt werden. Nicht die renditeorientierten überregionalen Investoren sollen Zugang zu landwirtschaftlichen Böden und Betrieben haben. Die Spekulation mit Landwirtschaftsflächen muss unterbunden werden. Öffentliche Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge dürfen nicht weiter privatisiert werden. Kommunale, gemeinnützige und genossenschaftliche Unternehmen müssen stattdessen gefördert und unterstützt werden.

Dieser Hintergrund zeigt: Die ländliche Entwicklung ist vor allem eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und eine Verteilungsfrage. Ohne dieses Bewusstsein kann keine nachhaltige Politik für den ländlichen Raum gelingen.