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Rede von Harald Petzold zu Protokoll gegeben am 15.12.2016

Rede von Harald Petzold,

Der uns vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass das seit 1964 bestehende Verbot von Ton-, Fernseh- und Rundfunkaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung moderat gelockert werden soll. Damit trägt der uns vorliegende Gesetzentwurf den gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen in Bezug auf moderne Kommunikationsmittel in der Gesellschaft Rechnung, der sich die Justiz nicht verschließen sollte.

Nun steht zu befürchten, dass die von Justizminister Heiko Maas geplante Änderung des § 169 GVG dazu führt, dass der Gerichtssaal zur Showbühne verwandelt und die Unabhängigkeit der Justiz durch einen erhöhten medialen Druck gefährdet wird. Für meine Fraktion bleibt es ein Grundprinzip, dass Gerichtsverfahren IN der Öffentlichkeit, aber nicht FÜR die Öffentlichkeit stattfinden. Die geplanten Änderungen des § 169 GVG tragen dem nach Auffassung meiner Fraktion Rechnung. Sie sind moderat und verfolgen lediglich das Ziel, die Gerichtsverfahren IN der Öffentlichkeit besser wahrnehmbar zu machen. Einer medialen Massenverwertung wird durch die geplanten Änderungen des § 169 GVG nicht Tür und Tor geöffnet.

Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen – EMöGG – beinhaltet im Wesentlichen Folgendes:

Erstens Medienübertragung: Entscheidungsverkündungen oberster Bundesgerichte sollen grundsätzlich von Medien übertragen werden können.

Zweitens gerichtsinterne Übertragung: Die Einrichtung von Arbeitsräumen für Medienvertreterinnen und -vertreter mit Tonübertragung soll für Verfahren mit einem erheblichen Medieninteresse gesetzlich geregelt werden.

Drittens Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung: Eine audio-visuelle Dokumentation von Gerichtsverfahren, die eine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung besitzen, soll bei näherer Bestimmung der Voraussetzungen und der Festlegung von Regelungen für eine begrenzte Verwendung ermöglicht werden.

Gegen eine ausschließliche Übertragung von Urteilen oberster Bundesgerichte durch die Medien ist aus Sicht meiner Fraktion Die Linke nichts einzuwenden. So werden auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bereits jetzt von den Medien übertragen, ohne dass dies die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts bislang gefährdet hätte oder das Bundesverfassungsgericht zu einer Showbühne verkommen wäre. Eine Übertragung von Entscheidungen oberster Bundesgerichte ist auch deshalb gerechtfertigt, weil derartige Entscheidungen nur einen Bruchteil aller Gerichtsentscheidungen ausmachen, sie jedoch meist eine hohe gesellschaftliche Bedeutung haben und dadurch auf ein öffentliches Interesse stoßen. Die Übertragung von Entscheidungsverkündungen oberster Bundesgerichte von den Medien stellt auch keinen erheblichen Eingriff in die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege dar. Denn die eigentliche Gerichtsverhandlung findet nach wie vor unter Ausschluss von Bild- und Tonaufnahmen statt. Ebenso sind nach wie vor keine Bild- und Tonaufzeichnungen für Gerichtsverfahren unterhalb der Bundesgerichte vorgesehen. Sollte es die Bundesregierung zukünftig anstreben, eine Medienübertragung auf andere Gerichte oder das Gerichtsverfahren vor der Urteilsverkündung auszudehnen, wird sich meine Fraktion klar dagegen aussprechen.

Auch gegen eine gerichtsinterne Übertragung von Gerichtsverhandlungen bei erheblichem Medieninteresse, das heißt eine Einrichtung von Arbeitsräumen für Medienvertreterinnen und -vertreter in demselben Gerichtsgebäude, ist aus Sicht meiner Fraktion Die Linke nichts einzuwenden. Der NSU-Prozess in München hat eindrucksvoll aufgezeigt, dass das Medieninteresse durchaus – und berechtigterweise – beträchtlich sein kann. Um zu vermeiden, dass Teile der interessierten Öffentlichkeit ausgeschlossen werden – zum Beispiel bei Losverfahren, wie sie beim Landgericht München im NSU-Prozess praktiziert wurden –, ist die gerichtsinterne Übertragung von Gerichtsverhandlungen bei erheblichem Medieninteresse ein legitimer Weg.

Der Ermöglichung von audiovisuellen Dokumentationen von Gerichtsverfahren, die eine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung besitzen, kann aus Sicht meiner Fraktion Die Linke nur dann zugestimmt werden, wenn dies in engen Grenzen erfolgt. Denn eine audiovisuelle Aufzeichnung des gesamten Prozessverlaufes kann durchaus Auswirkungen auf das prozessuale Verhalten von Verfahrensbeteiligten haben. Daher ist es unabdingbar, genau zu definieren, wann eine „herausragende geschichtliche Bedeutung“ zu bejahen ist und von wem sowie wofür genau die Aufzeichnungen verwendet werden dürfen.

Meine Fraktion begrüßt, dass mit den geplanten Änderungen und Ergänzungen ein wichtiger Schritt zur Umsetzung von Artikel 13 Absatz 1 UN-Behindertenrechtskonvention unternommen wird, was insbesondere durch die geplante Übernahme der Übersetzungskosten für das gesamte Verfahren – und nicht nur, wie bisher, für die Hauptverhandlung – zum Ausdruck kommt. Nichtsdestotrotz sind die geplanten Regelungen im Hinblick auf hör- und sprachbehinderte Personen nicht weitreichend genug und hinsichtlich anderer Behinderungsarten lückenhaft. Das beabsichtigte Gesetz muss dazu genutzt werden, über die Kommunikationshilfen hinaus grundsätzlich Barrierefreiheit im Rahmen eines Gerichtsverfahrens stärker zu verankern. Nur so kann gewährleistet werden, dass Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten und wirksamen Zugang zur Justiz haben werden.

Nach Auffassung meiner Fraktion kann trotz der geplanten Änderungen des § 169 Absatz 2 GVG jeder Bürger darauf vertrauen, dass seine Angelegenheit in einer von störenden äußeren Einflüssen unbeeinträchtigten mündlichen Verhandlung sorgfältig und unvoreingenommen erörtert wird. Sofern es Bestrebungen geben sollte, § 169 GVG noch weiter zu lockern, wird sich meine Fraktion allerdings dagegen aussprechen.