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Rede von Harald Petzold am 22.09.2016

Rede von Harald Petzold,

HaraldPetzoldDIE LINKE(Havelland)Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Der Geschäftsführer einer in Deutschland ansässigen mittelständischen GmbH wird von seiner Hausbank darüber benachrichtigt, dass dort der Beschluss eines rumänischen (oder griechischen etc.) Gerichts über die Anordnung einer vorläufigen Kontenpfändung vorliege; die Bank habe aus diesem Grund alle geführten Geschäftskonten und sämtliche Guthaben „eingefroren“. Überweisungen, wie Miete, Löhne etc., würden fortan nicht mehr ausgeführt. Der Unternehmer, der seinen gesamten Zahlungsverkehr über die Bank abwickelt, ist sofort zahlungsunfähig im Sinne des § 17 Absatz 2 InsO. Tags darauf wird dem Geschäftsführer der Beschluss nebst Antrag über die vorläufige Kontenpfändung zugestellt. Beschluss und Antrag sind in deutscher Sprache beigefügt und nehmen zum Zweck der Anspruchsbegründung auf einen in rumänischer Sprache gehaltenen Vertrag Bezug, der als Anlage zwar beigefügt ist, für den aber – zulässig (vergleiche Artikel 49 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 28 Absatz 5 c) der Verordnung (EU) Nummer 655/2014) – eine deutsche Übersetzung fehlt. Aus der unter Hochdruck bis zum nächsten Tag durchgeführten Vertragsübersetzung erfährt der Unternehmer den vermeintlichen Schuldgrund. Dem Beschluss kann er entnehmen, dass ihm gegenüber bislang kein Urteil oder sonstiger Titel in Rumänien ergangen sei, sondern ein Antragsteller einem rumänischen Gericht „hinreichende Beweismittel“ vorgelegt habe, aus denen sich „voraussichtlich“ ein Obsiegen des Antragstellers in einem zukünftigen Hauptsacheverfahren sowie eine tatsächliche Gefahr der Vollstreckungserschwerung für den Fall der unterbleibenden Anordnung der vorläufigen Kontenpfändung ergebe. Zudem erfährt er den zu vollstreckenden Betrag in Höhe von 500 000 Euro. Sicherheitsleistungen in dieser Größenordnung (vergleiche Artikel 38 der Verordnung [EU] Nummer 655/2014) sind der GmbH kurzfristig nicht möglich.

Der noch am selben Tag vom Unternehmer konsultierte deutsche Anwalt erklärt, er könne nicht helfen, vielmehr müsse ein rumänischer Anwalt gesucht und mandatiert werden. Der Unternehmer kontaktiert daraufhin – nach intensiver Suche nach einer rumänischen Anwaltskanzlei – am darauf folgenden Tag einen rumänischen Anwalt, der angesichts der Eilbedürftigkeit ausnahmsweise ohne Gebührenvorschuss tätig wird. Der rumänische Anwalt fordert die Gerichtsakte an und bereitet in den kommenden Tagen – nach vielfacher, aufgrund der Sprachbarrieren schwieriger Korrespondenz – den Antrag auf Widerruf der vorläufigen Kontenpfändung gemäß Artikel 33 Absatz 1 a) der Verordnung (EU) Nummer 655/2014 vor. Dem Widerruf wird vonseiten des rumänischen Gerichts fünf Tage nach Antragstellung stattgegeben. In der Zeit bis zur Antragsstattgabe ist die GmbH schutzlos vom Zahlungsverkehr abgeschnitten, insolvenzantragspflichtig und akut existenzbedroht. Die GmbH ist nach § 15a InsO insolvenzantragspflichtig; der Geschäftsführer ist nicht erst nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist, sondern „unverzüglich“ zum Antrag verpflichtet. Sofern er für die GmbH weitere Zahlungen vornimmt, beispielsweise aus Barmitteln, setzt er sich dem Haftungsrisiko nach § 64 GmbHG aus. Die eingetretene Zahlungsunfähigkeit birgt zudem das hohe Risiko der Kündigung der Bankverbindung, insbesondere aber der Kündigung sonstiger Vertragsbeziehungen wegen Zahlungsverzugs. Gegebenenfalls können Sozialversicherungsabgaben auf bereits ausgekehrte Löhne nicht an die Sozialversicherungsträger gezahlt werden.

Ein Horrorszenario – nicht in meiner Fantasie erdacht, sondern in der Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins als Beispiel für das Wirken des heute hier zur zweiten und dritten Lesung vorliegenden Gesetzentwurfes zur Durchführung der EU-Verordnung Nummer 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer Vorschriften dargestellt und zitiert.

Der Gesetzentwurf geht auf die am 15. Mai 2014 erlassene EU-Verordnung zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen (Amtsblatt L 189 vom 27.6.2014, S. 59; im Folgenden: Europäische Kontenpfändungsverordnung, EuKoPfVO) zurück. Diese Verordnung findet ab dem 18. Januar 2017 in allen EU-Mitgliedstaaten außer dem Vereinigten Königreich und Dänemark Anwendung. Ziel der Verordnung ist es, die Eintreibung grenzüberschreitender Forderungen für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen zu erleichtern und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in Streitfällen mit grenzüberschreitendem Bezug zu vereinfachen. Gläubiger sollen in die Lage versetzt werden, in allen EU-Mitgliedstaaten unter denselben Bedingungen Beschlüsse zur vorläufigen Kontenpfändung zu erwirken. Zwar gilt die EuKoPfVO in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar, jedoch bedarf sie einiger ergänzender Durchführungsvorschriften.

Der Gesetzentwurf ist aus gleich mehreren Gründen abzulehnen. So fehlt es bereits an einer klaren Regelungskompetenz. Es ist nicht erkennbar, aus welchem Grund das Instrumentarium der grenzüberschreitenden Kontenpfändung für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich sein soll.

Weiterhin weichen die tatbestandlichen Voraussetzungen der grenzüberschreitenden vorläufigen Kontenpfändung in ihren Grundzügen erheblich von vergleichbaren Regelungen des deutschen Prozessrechts, insbesondere von den zweistufigen Regelungen des Arrests, ab, zum Beispiel:

Nach Artikel 5 a) der Verordnung (EU) Nummer 655/2014 kann der Antrag auf vorläufige Kontenpfändung ohne vorhergehenden Titel gestellt werden; für den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Kontopfändung sind nach Artikel 6 a der Verordnung (EU) Nummer 655/2014, sofern noch kein Titel vorliegt, „die Gerichte des Mitgliedstaats, die gemäß den einschlägigen anzuwendenden Zuständigkeitsvorschriften für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig sind“, zuständig. Damit ist das zuständige Gericht oftmals in einem anderen EU-Mitgliedstaat und nicht am Wohnort des Schuldners. Ferner: Bei Pfändung muss der Schuldner nach Artikel 14 Absatz 5 c der Verordnung (EU) Nummer 655/2014 seine sämtlichen Bankdaten gegenüber dem Gläubiger offenlegen; den Rechtsbehelf auf Widerruf oder Abänderung des Beschlusses muss der Schuldner grundsätzlich beim Gericht des Ursprungslands geltend machen, Artikel 33 der Verordnung (EU) Nummer 655/2014

Aus Schuldnersicht gewährleistet die Verordnung (EU) Nummer 655/2014 weder nach verfassungsrechtlichen noch nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen einen effektiven Rechtsschutz. Verfassungsrechtlicher Justizgewährungsanspruch und Rechtsstaatsprinzip fordern daher gerade im Arrestverfahren einen Rechtsschutz, der im Zweifelsfall binnen weniger Stunden umsetzbar sein muss. Entsprechend kurze Verfahrensdauern im einstweiligen Rechtsschutzverfahren werden beispielsweise bei familienrechtlichen, sorgerechtlichen oder kollektivarbeitsrechtlichen Verfahren im nationalen Verfahren gewährleistet. Einen vergleichbaren Standard effektiven Rechtsschutzes fordert auch das Gemeinschaftsrecht über Artikel 47 der Charta der europäischen Grundrechte in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 3 EUV und über Artikel 6 EMRK.

Ausgehend von der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebieten Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz und Artikel 103 Grundgesetz, dass gegen den Beschluss über eine vorläufige Kontenpfändung nicht bloß theoretisch, sondern ganz praktisch ein Rechtsschutz des Schuldners binnen weniger Stunden gewährleistet sein muss. Gerade einen solchen effektiven Rechtsschutz gewährleistet die Verordnung (EU) Nummer 655/2014 nicht, wie der eingangs dargestellte Beispielsfall leicht veranschaulicht.

Schließlich führt die Verordnung zu einer Zersplitterung und insbesondere Intransparenz des Zivilprozessrechts.

Der Deutsche Anwaltsverein, aus dessen Stellungnahme ich hier wiedergegeben habe, äußert sich zu der vorliegenden VO abschließend wie folgt:

„Auf Grundlage eines deutschen Verfassungsverständnisses ist es dem DAV unverständlich, dass von deutscher Seite der Erlass der Verordnung (EU) Nummer 655/2014 widerspruchslos akzeptiert wurde, insbesondere, dass sämtliche Rechtsbehelfe gegen die vorläufige Kontenpfändung – vorbehaltlich Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nummer 655/2014 (Gerichtsstand für Verbraucher) und Artikel 34 der Verordnung (EU) Nummer 655/2014 – im Ursprungsstaat verfolgt werden müssen. Nach Dafürhalten des DAV ist es auf europäischer Ebene dringend geboten, von deutscher Seite juristisch wie politisch auf eine grundlegende Neukonzeptionierung der vorläufigen Kontenpfändung zu drängen und bis dahin von Umsetzungsakten in deutsches Recht Abstand zu nehmen.“

Daher sind nach Auffassung meiner Fraktion sowohl der vorliegende Gesetzentwurf als auch die ihn begründende Verordnung abzulehnen.