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Rede von Harald Petzold am 15.12.2016

Rede von Harald Petzold,

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Es vergeht kaum eine Woche, in der wir nicht aus Ländern wie der Türkei erfahren, dass Journalistinnen und Journalisten ihren Job verlieren oder gar verhaftet werden, weil sie Dinge öffentlich gemacht, angeprangert oder berichtet haben, die den Herrschenden in ihrem Land nicht gefallen.

Laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ bricht die Türkei im Moment alle Rekorde, was die Inhaftierung von Journalistinnen und Journalisten anbelangt. Sie hat berichtet, dass mit Stand 13. Dezember dieses Jahres mindestens 348 Medienleute in türkischen Gefängnissen sitzen, weil sie entweder des Landesverrats, der Zusammenarbeit mit terroristischen Organisationen, deren Unterstützung oder anderer Vergehen bezichtigt werden,

(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Reden Sie einmal über den Journalismus in Russland!)

die dem autoritären Präsidenten Erdogan nicht gefallen.

Ich kann nur fragen: Alle 348 Journalistinnen und Journalisten sollen Terroristen, Unterstützer von Terroristen oder Sympathisantinnen und Sympathisanten von Terroristen sein? Das kann nicht einmal der Präsident Erdogan wirklich glauben.

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ist alles richtig, was Sie sagen! Aber wir reden gerade über die Bundesrepublik Deutschland!)

Wir reagieren darauf damit, dass wir sehr besorgt sind. Mehr passiert nicht!

Nun reden wir heute natürlich über Deutschland

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! Eben!)

– ich weiß –, und ich will natürlich auf gar keinen Fall unser Land mit der Türkei vergleichen. Gott bewahre! Aber ich finde es schon einen Skandal, dass auch bei uns Journalistinnen und Journalisten Strafandrohungen bekommen oder Gefahr laufen, wegen Landesverrats angezeigt zu werden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Ungeheuerlich!)

wenn sie über Dinge berichten, die der Bundesregierung oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht passen;

(Beifall bei der LINKEN)

denn damit wird die Pressefreiheit eingeschränkt und der Demokratie geschadet.

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sehr gewagt! – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist aber weit hergeholt!)

Der Kollege Ströbele hat uns an den Fall erinnert, der sowohl für den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen als auch für unseren Antrag Ausgangspunkt gewesen ist. Sie hatten alle Gelegenheit der Welt, hier tätig zu werden. Seit zwei Jahren kündigen Sie an, dass vonseiten der Großen Koalition Initiativen kommen. Aber nichts ist gekommen.

Lieber Kollege Sensburg, Sie wissen doch selbst: Natürlich geht es nicht um die Frage, ob Geheimnisse oder geheime Dokumente veröffentlicht worden sind. Die beiden Blogger, Herr Markus Beckedahl und Herr André Meister, haben die Öffentlichkeit darüber informiert, welche Pläne das Bundesamt für Verfassungsschutz zum Ausbau der Internetüberwachung verfolgt.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ja! Selbstlos!)

Sie haben auch über Geld informiert, das wir als Haushaltsgesetzgeber dem Bundesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung stellen,

(Dagmar Ziegler [SPD]: Das steht doch im Haushaltsplan!)

Steuergelder, mit denen genau diese Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Ich finde schon, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, zu erfahren, was das Bundesamt für Verfassungsschutz vorhat,

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie haben ja nur die halbe Wahrheit gesagt!)

um alle Lebensbereiche der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes auszuspähen, und dass dafür Steuergelder verwendet werden. Es ist meines Erachtens völlig legitim, dass dafür keine Strafmaßnahmen angeordnet werden dürfen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist Ihnen ebenso bekannt, Herr Kollege Sensburg, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nach Kriterien, die nicht transparent sind, die in der Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar sind und über die wir nicht entscheiden können, selbst bestimmen kann: Was ist vertraulich? Was ist geheim? Was ist streng geheim? Das kann diese Behörde selbst festlegen, und alles, was diesen Stempel trägt, ist der Öffentlichkeit entzogen.

Selbstverständlich erlaube ich eine Zwischenfrage, Frau Präsidentin.

Herr Kollege, Sie hatten mich eben kritisiert und gesagt, dass ich Ihren Antrag nicht richtig gelesen hätte, als ich gesagt habe: Nach Ihrem Antrag wollen Sie, dass die Veröffentlichung von als Geheim eingestuften Dokumenten nicht mehr strafbar ist. Ich lese jetzt aus Ihrem Antrag vor. Unter II formulieren Sie:

"Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der"

"1. Personen von der Strafverfolgung lediglich wegen der Veröffentlichung von als Geheim eingestuften Dokumenten befreit, ..."

Ich interpretiere das so, dass Sie möchten, dass die Veröffentlichung von Dokumenten, die als Geheim eingestuft sind, nicht mehr als Straftatbestand angesehen werden soll.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Öffentlichkeit? Das ist Presse!)

Ist das so? Dann hätte ich Ihren Antrag richtig verstanden, und dann bleibe ich auch bei meiner Kritik. Das trifft den Sachverhalt, den Sie gerade geschildert haben, weil diese Dokumente eingestuft waren. Der Deutsche Bundestag beschließt dies, weil er Methoden und Techniken, die in den Dokumenten erwähnt werden, nicht preisgeben will. Wenn man im Vorfeld sagt, wie man verdeckt ermitteln möchte, braucht man es ja gar nicht mehr zu machen.

Herr Kollege, Ich hatte vorhin nicht umsonst dazwischengerufen. Sie verdrehen die Dinge immer so – das ist Ihre Taktik –, dass am Ende genau das Gegenteil von dem herauskommt, was eigentlich beabsichtigt war.

(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Er hat den Text vorgelesen! Daran ist nichts Falsches!)

Ich habe Ihnen gerade ganz deutlich gesagt: Das Bundesamt für Verfassungsschutz kann selber festlegen: Was ist vertraulich? Was ist geheim? Was ist streng geheim? Alles, was diesen Stempel bekommen hat, ist der Öffentlichkeit entzogen. Ich finde, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, zu erfahren, was das Bundesamt für Verfassungsschutz mit den Steuergeldern macht, die es von uns zugewiesen bekommt und die von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gezahlt worden sind.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist fadenscheinig!)

– Das ist nicht fadenscheinig. –

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Doch!)

Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, was d as Bundesamt für Verfassungsschutz mit diesen Geldern vorhat, dass es die Internetüberwachung auf die ganze Gesellschaft ausdehnen will, um so all unsere Lebensbereiche für den Geheimdienst transparent zu machen. Ich finde, es darf nicht bestraft werden, wenn solche Dinge der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Da haben Sie mich völlig richtig verstanden: Ich will, dass sowohl Journalistinnen als auch Journalisten – das steht in unserem Antrag – nicht strafrechtlich belangt werden, wenn sie der Öffentlichkeit solche Dinge bekannt machen. Auch Menschen, die solche Informationen an Journalistinnen und Journalisten weitergeben, sollen nicht bestraft werden.

Wenn wir über Whistleblower reden, reden wir natürlich nicht in erster Linie über Edward Snowden. Ich finde aber, Edward Snowden ist kein Landesverräter, sondern ein mutiger Mensch; das sage ich auch über andere Whistleblower.

(Beifall bei der LINKEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ein Handlanger Russlands!)

Eigentlich hätte Edward Snowden den Friedensnobelpreis verdient und nicht das Exil.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es muss möglich sein, dass die Öffentlichkeit über solche Dinge informiert wird und diejenigen, die darüber informiert haben, nicht Gefahr laufen, am Ende in ihrer Freiheit eingeschränkt oder ihrer Freiheit beraubt zu werden.

Ein weiterer Punkt, um den es uns in unserem Antrag geht, ist die Unabhängigkeit der Justiz. Ich erinnere an das Trauerspiel, das uns da vorgeführt wurde: Erst verlangt ein Behördenleiter, Ermittlungen wegen Landesverrats aufzunehmen. Dann werden diese Ermittlungen aufgenommen. Plötzlich merkt die Regierung, dass ihr dieses Pflaster zu heiß wird. Also fängt sie an, zurückzurudern. Der eine behauptet, er habe eine entsprechende Weisung bekommen; der andere erklärt, nie eine Weisung erteilt zu haben. Dann muss der Generalbundesanwalt sein Amt aufgeben, und am Schluss stellt er sich noch als Opfer dar. Da muss man doch das Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren. – Solche Zustände können wir nicht dulden. Deswegen sagen wir: Die Staatsanwaltschaften müssen unabhängig arbeiten können – ohne Beeinflussung durch Landesjustizministerien oder durch das Bundesjustizministerium –, und der Generalbundesanwalt darf kein politischer Beamter sein.

Das sind Forderungen, in denen wir mit Bündnis 90/Die Grünen übereinstimmen. Deswegen werden wir Ihren Anträgen ebenso zustimmen, wie wir unserem Antrag zustimmen.

Ich finde es bedauernswert, dass es immer wieder die Oppositionsfraktionen sind, die zu solchen Themen Anträge stellen bzw. stellen müssen, weil Sie nichts unternehmen.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das stimmt nicht!)

Vielleicht sollten Sie von der Großen Koalition sich einmal fragen, ob Ihnen Pressefreiheit tatsächlich so wenig wert ist, dass Sie sich im Parlament so wenig dafür engagieren. Ich kann Sie nur auff o rdern, unseren guten Anträgen – sowohl von Bündnis 90/Die Grünen als auch unserem Antrag – zuzustimmen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])