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Rede von Halina Wawzyniak zu Protokoll gegeben am 30.03.2017

Rede von Halina Wawzyniak,

Wir reden heute über einen von der Fraktion Die Linke vorgelegten Gesetzentwurf. Es geht uns mit diesem Gesetzentwurf darum, den Nachrichtendiensten des Bundes die Befugnis zu entziehen, einen Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis vorzunehmen. Das sogenannte G-10-Gesetz – das steht für Artikel 10 GG – und weitere Gesetze räumen den Nachrichtendiensten des Bundes genau diese Befugnis ein.

Ein Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ist für eine Demokratie immer ein schwerwiegender Eingriff, weil die Möglichkeit, frei von staatlicher Kenntnisnahme zu kommunizieren, wesentlicher Bestandteil einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist.

Wir sind der Auffassung, dass dieser Eingriff so schwer und die Hürde für den Eingriff durch Nachrichtendienste des Bundes und die Verfassungsschutzbehörden der Länder so gering ist, dass ein Rechtsstaat auch ohne diese Eingriffe auskommen kann, ohne dass Sicherheitslücken entstehen.

Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das G-10-Gesetz die Befugnisse zur Einschränkung der Telekommunikationsfreiheit für die Landespolizeien, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt unberührt lässt. Deren Befugnisse zur Einschränkung der Telekommunikationsfreiheit sind im BKAG und in der StPO geregelt. Wir nehmen also keine Einschränkung der Befugnisse für die Landespolizeien, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt vor. Wir beschränken uns ausdrücklich auf die Nachrichtendienste des Bundes.

Das hat auch eine innere Logik. Die einfache und bestechende Logik besteht darin, dass der Rechtsstaat wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Ein grundlegendes Prinzip des Rechtstaates besteht darin, von staatlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen ausgenommen zu sein, soweit keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegen.

Für die Bekämpfung von Straftaten sowie die Abwehr von Gefahren entsteht keine Schutzlücke, soweit auf das G-10-Gesetz verzichtet wird. Die in den §§ 3, 5 und 8 G-10-Gesetz benannten Gefahren fallen als Straftaten in den Bereich des § 100 a StPO und in die Zuständigkeit des deutschen Strafrechts. Wir haben das in der Anlage 1 unseres Gesetzesentwurfes detailliert dargestellt. Da nicht nur die Begehung von Straftaten nach dem Strafgesetzbuch strafbar ist, sondern im konkreten Fall auch der Versuch, kann mit den Mitteln der StPO also bereits vor Schadenseintritt gearbeitet werden. Wer eine Straftat des Kataloges des § 100 a StPO versucht, hat wiederum keinen Anspruch darauf, von staatlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen verschont zu bleiben.

Das tatsächliche Problem besteht ja derzeit darin, dass bis auf die Entführungsfälle nach § 8 G-10-Gesetz die anderen Voraussetzungen für eine Einschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses niedriger liegen als für die Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden. Im G-10-Gesetz werden „tatsächliche Anhaltspunkte“ verlangt, im § 100 a StPO hingegen „bestimmte Tatsachen“. Für strategische Beschränkungsmaßnahmen wiederum soll weder eine konkrete Gefahr, wie sie traditionell im Bereich der Gefahrenabwehr gefordert wird, noch gar ein hinreichender Tatverdacht, der Maßnahmen im Bereich der Strafverfolgung erlaubt, ausreichend sein, um in das Grundrecht nach Artikel 10 GG einzugreifen. Das finden wir aus dem genannten Grund problematisch. Hinzu kommt, dass damit die Nachrichtendienste des Bundes Aufgaben der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zumindest mit übernehmen.

Die Frage der tatsächlich nicht zu realisierenden Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der Vorgaben des G-10-Gesetzes durch die Nachrichtendienste würde sich bei einer Abschaffung des G-10-Gesetzes nicht stellen. Durch das Parlamentarische Kontrollgremium werden nicht die Nachrichtendienste des Bundes kontrolliert, sondern allein die Tätigkeit der Bundesregierung in Bezug auf die Nachrichtendienste. Die vom Parlamentarischen Kontrollgremium bestellte G-10-Kommission entscheidet nach § 15 G-10-Gesetz von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen. Sie soll insoweit an die Stelle eines Gerichtes treten. Dabei ist aber zu beachten, dass das Verfahren wie folgt abläuft – ich zitiere –:

Der jeweilige Dienst stellt einen Antrag beim Bundesministerium des Inneren. Das Ministerium prüft den Antrag … Wenn es ihn für berechtigt hält, genehmigt es diesen Antrag und erlässt eine entsprechende Anordnung, die aber in der Regel nicht vollzogen darf, bevor nicht die G-10-Kommission ihre Zustimmung erteilt hat.

So Huber in vorgänge Nr. 206/207, S. 43.

Die G 10-Kommission kann also lediglich das genehmigen, was Nachrichtendienste des Bundes bei ihr beantragen. Soweit die Nachrichtendienste des Bundes der Ansicht sind, es liege überhaupt kein Eingriff in das Grundrecht aus Artikel 10 GG vor, wird die G 10-Kommission davon nichts erfahren und kann demzufolge auch keine Entscheidung treffen. Leider hat der NSA-Skandal gezeigt, dass dies nicht nur ein theoretisches Szenario ist.

Lassen Sie mich am Ende noch etwas klarstellen. Die von dem Wegfall der Aufgaben nach dem G-10-Gesetz betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen in anderen Behörden, gegebenenfalls nach einer Umschulung, eine Anstellung finden. Denn für uns als Linke ist klar, ein Stellenabbau im öffentlichen Dienst ist mit dem vorliegenden Gesetz nicht angestrebt, da dies eine rote Haltelinie überschreiten würde.