Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention ist nun nur noch eine Formalität. Wie sehr sich Frau Ministerin Schwesig dafür jetzt dennoch feiern lässt, verdeckt, wie lange die Bundesregierung gebraucht hat, die notwendigen Gesetzesänderungen umzusetzen und damit ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung, Mädchen und Frauen das Recht auf ein Leben ohne Gewalt zu gewährleisten, nachzukommen – ganze drei Jahre. Und es verdeckt noch viel mehr, wie viele Maßnahmen noch folgen müssen, wenn wir dieses Recht ernst nehmen.
Letztes Jahr haben wir hier im Bundestag einstimmig die Reform des Sexualstrafrechts beschlossen. Ein Riesenerfolg vor allem für all die engagierten Frauen, die jahrelang dafür gekämpft haben, dass Nein auch Nein heißt! Aber die rechtliche Verankerung reicht nicht, denn es kommt immer auch auf die Umsetzung an. Damit das sexuelle Selbstbestimmungsrecht zukünftig auch tatsächlich in der Praxis geachtet wird, braucht es allem voran qualifizierte und verpflichtende Fortbildungen und Sensibilisierungen für Polizei und Justiz.
Ja, es gibt nicht nichts: Es wurde das Hilfetelefon eingerichtet, es gibt Beratungsstellen und rund 350 Frauenhäuser und etwa 40 Zufluchtswohnungen mit insgesamt circa 6 800 Plätzen für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder. Ich finde nicht, dass damit die Anforderungen der Istanbul-Konvention erfüllt sind, wie es die Bundesregierung in der Denkschrift schreibt, und wundere mich, ehrlich gesagt, stark über diese Interpretation. Aber ich möchte mich nicht mit Ihnen streiten, ob das formal stimmt oder nicht; das ist nicht mein Maßstab. Der springende Punkt ist doch: Es gibt auf keinen Fall genug.
18 000 Frauen mit ihren Kindern werden jährlich in den Frauenhäusern aufgenommen – aber noch mal genauso viele werden jährlich abgelehnt, wie es der 7./8. CEDAW-Alternativbericht feststellt. Und dass nicht noch viel mehr Frauen, die von ihrem Partner geschlagen, gedemütigt und misshandelt werden, an der Schwelle zu einem Schutzraum abgewiesen werden, ist vor allem dem Personal zu verdanken, das längst jenseits der Belastungsgrenze arbeitet, ohne dafür angemessen bezahlt zu werden.
Das erkennen wir an den wenigen Zahlen, die überhaupt erhoben wurden: 35 Prozent der Frauen in Deutschland haben körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erfahren. Die aktuellen Zahlen des BKAs gehen von 100 000 Opfern von häuslicher Gewalt aus. Und da die Gewalt gegen Frauen meistens vom Partner ausgeübt wird, ist anzunehmen, dass die Dunkelzahl noch um einiges höher liegt. All diesen Frauen hilft ein Recht ohne konkrete Maßnahmen zu dessen Verwirklichung und ohne angemessene Infrastruktur erst einmal wenig, vielen hilft es rein gar nichts.
Ja, es gibt Hilfsangebote, Beratung, Betreuung, Sensibilisierungsmaßnahmen, Frauenhäuser. Aber es gibt eben von allem nicht genug – und das ist der Hauptgrund, warum häusliche Gewalt immer noch die größte Lebensgefahr für Mädchen und Frauen bedeutet.
Deshalb brauchen wir endlich einen Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und umfassende Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder. Ein Recht, das Frauen und ihre Kinder unabhängig von Einkommen, Wohnort, Aufenthaltstitel, Herkunftsort, gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen wirklich in Anspruch nehmen können! Das bleibt trotz der Ratifizierung der Istanbul-Konvention das drängende Problem in Deutschland.
Die Bundesregierung muss hier endlich ihre Verantwortung übernehmen, anstatt sich nur feiern zu lassen.