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Rede von Birgit Wöllert zu Protokoll gegeben am 10.11.2016

Rede von Birgit Wöllert,

Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung vorgelegt. Das Anliegen begrüßen wir ausdrücklich. Im Sinne von Gesundheitsförderung, Therapie und Rehabilitation sieht auch meine Fraktion Die Linke eine zunehmende Bedeutung der Heil- und Hilfsmittelversorgung.

Die circa 330 000 Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen, Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen, Logopäden und Logopädinnen und Podologen und Podologinnen leisten in der gesundheitlichen und medizinischen Versorgung hervorragende Arbeit. Dieser Gesetzentwurf wird sich unter anderem daran messen lassen müssen, ob er für diese Berufsgruppen eine substanziell bessere Vergütung gebracht hat.

Ob dazu allein die Loslösung von der allgemeinen Lohnentwicklung ausreichend ist, darf stark angezweifelt werden. Schließlich ermöglicht dies zunächst nur eine größere Flexibilität bei den Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen. Das ist aber längst keine Garantie dafür, dass die Therapeutinnen und Therapeuten auch wirklich mehr Geld in der Tasche haben werden. Dass diese Regelung nun anders als im früheren Entwurf auch noch zeitlich befristet ist, schürt den Verdacht, dass es sich um eine Hinhaltetaktik der Bundesregierung handelt, der wir uns keinesfalls anschließen werden.

Schon seit langem fordern wir mehr Kompetenzen für die Therapeutinnen und Therapeuten. Es ist nur richtig, dass die Expertinnen und Experten auf ihrem Gebiet die richtige Behandlung auf Basis der ärztlichen Diagnose selbst bestimmen. In der Physiotherapie laufen schon zwei Modellvorhaben mit ersten Zwischenergebnissen. Ich denke, wir sollten im Gesetzgebungsverfahren darüber diskutieren, ob es tatsächlich notwendig ist, Modellvorhaben nochmals auszudehnen, oder ob der Gesetzgeber Regelungen für eine Blankoverordnung schon jetzt vorgibt und sie nach einem bestimmten Zeitraum evaluiert. Dagegen ist es doch sehr enttäuschend, dass der Direktzugang zur Logopädie, Physiotherapie etc. überhaupt nicht angegangen wird. Auch hier sind entsprechende Modellversuche überfällig.

Für den Bereich der Hilfsmittel sind Veränderungen längst überfällig. Diese Veränderungen müssen vor allem auf eine qualitativ bessere Versorgung der Betroffenen abzielen. Es muss gewährleistet sein, dass Hilfsmittel, die dem speziellen Krankheitsbild und dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen, ohne Mehrkosten für die Versicherten erstattet werden. Die ständige Fortschreibung und Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses hätten schon viel eher vorgeschrieben werden müssen. Die bessere Überwachung der Ergebnisqualität und die Stärkung der Wahlmöglichkeiten für die Versicherten, die Festlegung einer Verfahrensordnung zur Aufnahme von Hilfsmitteln in das Hilfsmittelverzeichnis und jährliche Berichterstattung vor dem Ausschuss für Gesundheit sind mögliche Schritte für eine bessere Versorgung.

Mit den Regelungen zu Hilfsmittelausschreibungen gesteht die Bundesregierung endlich ein, dass hier in der Praxis vieles schief gelaufen ist. Dass der Preis nun nicht mehr das alleinige Kriterium für Wirtschaftlichkeit sein soll, ist auch eine längst überfällige Erkenntnis. Dass die Gewichtung der Qualität nun aber ausgerechnet bei 40 Prozent liegen soll, ist kaum überprüfbar und dürfte wenig spürbare Verbesserungen bringen. Die Ausschreibungen an nur einen oder einige wenige Anbieter sind ein Konstruktionsfehler, der nicht mit ein paar kosmetischen Verbesserungen korrigiert werden kann. Wir sagen nach wie vor: Diese intransparenten Hilfsmittelausschreibungen, die die Versorgungsqualität beeinträchtigen und die Anbietervielfalt bedrohen, gehören abgeschafft.

Die Änderungen im § 126 mit der Einrichtung von Präqualifizierungsverfahren sind ein richtiger Schritt zur Qualitätskontrolle zugelassener Hilfsmittel. Die Regelungen im § 127 unter anderem mit Beratungspflicht der Leistungserbringer ist eine Möglichkeit, Betroffene besser in die Lage zu versetzen, eine für sie passende Versorgung zu finden. Die in § 140 benannten Verbesserungen für die Beteiligung von Patientenvertretungen sind eine richtige, aber noch nicht ausreichende Maßnahme, damit Patientinnen und Patienten in eigener Sache ihre Interessen wahrnehmen können.

Dann wäre da noch das Vorhaben einer verbesserten Wundversorgung. Auch hier ist das Ziel lobenswert. Aber ist hierfür die Änderung des § 37 SGB V mit der Orientierung auf spezialisierte Zentren wirklich das erste und wichtige Mittel der Wahl? Oder sollte nicht besser auf eine Stärkung spezialisierter Pflegekräfte im ambulanten und vollstationären Bereich hingewirkt werden?

Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Leistungsausschlüssen sagen, die hier von allen Fraktionen außer der Linken befürwortet werden. Warum Sehhilfen nicht erstattet werden, erschließt sich keinem normal denkenden Menschen. Wer nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, stolpert mit erhöhtem Unfallrisiko durch den Alltag. Das entspricht nicht Ihrem eigenen Anspruch im Gesetzentwurf. Dort schreiben Sie selbst, dass neben die Behandlung von Akuterkrankungen und Verletzungen auch die Prävention, die Verhinderung des Voranschreitens chronischer Beschwerden sowie die Wiederherstellung verloren gegangener Alltagskompetenzen und Hilfen zur selbstbestimmten Bewältigung der Anforderungen des Alltags auch bei chronischer Erkrankung oder Behinderung treten müssen.

Der vorliegende Gesetzentwurf enthält positive Elemente für die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln. Doch er bleibt auf halbem Wege stehen, versucht Symp­tomtherapie, wo an die Ursachen gegangen werden sollte, und traut sich weiterhin nicht, die Kompetenzen von Heilberufen substanziell zu stärken. Er bietet eine Grundlage, auf der im Gesetzgebungsverfahren mutigere Schritte gegangen werden können. Nicht mehr und nicht weniger.