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Rede im Rahmen der Aktuellen Stunde im Bundestag: Sexuelle Gewalt an Kindern

Rede von Diana Golze,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Gewalt an Kindern, auch und gerade sexuelle Gewalt, ist ein Straftatbestand, der nicht zu entschuldigen ist und der weder vertuscht noch verharmlost werden darf. Es hat mich wütend gemacht, wenn ich in den letzten Tagen gehört habe, dass die Kirche nur bei einem erhärteten Verdacht einen Staatsanwalt eingeschaltet oder irgendwie auf den Rechtsstaat zurückgegriffen hat. Das kann nicht sein. Ich sehe es so: Die Kirche ist Teil der Gesellschaft; sie will Teil der Gesellschaft sein. Dann müssen aber auch für ihre Mitglieder, für ihre Angestellten und für ihre Mitarbeiter dieselben Regeln gelten wie für alle anderen. Dazu zählt, dass man sich rechtsstaatlichen Verfahren stellt und dass Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gegeben wird, diesen Weg zu wählen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte, ebenso wie es die Frau Ministerin getan hat, meine Achtung vor den Menschen ausdrücken, die ein Tabu gebrochen haben, indem sie dieses Thema an die Öffentlichkeit gebracht und die ganze Gesellschaft zum Hinschauen und hoffentlich auch zum Handeln gezwungen haben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie viel Überwindung so etwas gekostet haben muss, wenn bisher die oberste Priorität der Schutz der Institutionen war. Jetzt endlich setzt ein Umdenken ein und wird der Schutz der Kinder und Jugendlichen zur obersten Priorität. Ich möchte diesen Menschen dafür meinen ausdrücklichen Dank aussprechen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte aber nicht nur über die Kirche und die jetzt zutage getretenen Fälle sprechen; denn sexuelle Gewalt an Kindern ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die jüngst bekannt gewordenen Fälle machen deutlich: Es sind Vergehen von Erziehenden gegenüber Kindern und Jugendlichen, die mit einem Missbrauch von Macht einhergehen. Hier werden Hierarchien und Strukturen genutzt, um diejenigen zu Opfern zu machen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis, in einem Vertrauensverhältnis gestanden haben und die sich aus diesen Strukturen nicht befreien konnten. Je hierarchischer und autoritärer eine solche Struktur aufgebaut ist, umso leichter fällt es den Tätern, Opfer zu finden und diese zu jahrelangem Schweigen zu bringen; denn hier ist die Macht ganz klar verteilt. Die Kinder sind die Ohnmächtigen. Sie haben in diesem Machtverhältnis die geringsten Möglichkeiten, sich zu wehren.

Ich spreche ganz bewusst nicht vom „Missbrauch von Kindern“, sondern von Machtmissbrauch; denn der Wortgebrauch „Missbrauch von Kindern“ legt nahe, es gäbe einen richtigen „Gebrauch“ von Kindern. Das macht Kinder wieder nur zu Objekten.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb bitte ich gerade die Grünen, die die Aktuelle Stunde mit diesem Titel beantragt haben, diesen Sprachgebrauch zu ändern. Es geht nicht um den sexuellen Missbrauch von Kindern, sondern es geht um Machtmissbrauch und um Opfer. Mit einer solchen Formulierung werden Kinder wie Objekte behandelt, obwohl sie Subjekte sind. Das müssen wir als Gesetzgeber unterstreichen. Ich fordere an dieser Stelle noch einmal die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. Wir müssen die Machtverhältnisse zugunsten der Kinder verändern.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kinder und Erwachsene müssen sich auf Augenhöhe und dürfen sich nicht hierarchisiert begegnen. Kinder und Jugendliche müssen dann aber auch ihre Rechte kennen. Das ist schon gesagt worden; ich möchte es aber noch einmal unterstreichen. Sie müssen ihre eigenen Grenzen und ihre Rechte kennen. Sie müssen damit umgehen lernen. Sie müssen wissen und darauf vertrauen können: Wann darf und muss ich Nein sagen, wenn meine Grenzen überschritten werden? Das muss diesen Kindern klar werden. Ganz egal, ob in der Familie, in der Schule oder im Sportverein wir hören regelmäßig von Vorfällen, in denen Trainer übergriffig werden : Kinder müssen ihre Rechte und ihre Grenzen kennen.

Um sich für ihre Rechte einzusetzen, brauchen sie schnell erreichbare Hilfen: Notrufnummern, möglichst bundesweit einheitlich, die überall bekannt sind und überall veröffentlicht sind, wo am anderen Ende der Leitung gut geschultes Personal ist, wo man schnell Hilfe bekommt. Dabei geht es auch um von den Institutionen unabhängige Hilfen. Natürlich spreche ich mich für den verstärkten Einsatz von Schulsozialarbeitern aus. Aber wir brauchen auch Hilfe, die unabhängig von diesen Institutionen existiert. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Das Kind sieht auf dem Schulhof den Lehrer, von dem es sich angefasst gefühlt hat, mit dem Schulsozialpädagogen sprechen. Diesen Schulsozialpädagogen spricht es doch nicht an, um ihn um Hilfe zu bitten. Es muss also auch außerhalb der Institutionen verlässliche und bekannte Hilfe für die Kinder und Jugendlichen geben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Klar ist: Für das gesunde Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen und ihren bestmöglichen Schutz müssen wir Ressourcen zur Verfügung stellen. Jugendämter ich will es nur schlagwortartig ansprechen dürfen nicht mehr nur als Feuerwehr fungieren, sondern müssen wieder agieren können. Sie brauchen Personal. Wir brauchen Jugendeinrichtungen mit geschultem pädagogischen Personal. Wir brauchen Beratungsstellen, die nicht dem kommunalen Sparzwang unterliegen. Wir brauchen schlicht und ergreifend eine Gesellschaft, die ihre Verantwortung übernimmt - auf allen Ebenen und vor allem dort, wo die Kinder sind.
Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)