Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,
mit dem vorgelegten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen soll der Rahmenbeschluss 2009/829/JI des Rates vom 23. Oktober 2009 über die Anwendung – zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union – des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft (ABl. L 294 vom 11.11.2009, S. 20) umgesetzt werden.
Der Rahmenbeschluss regelt als Alternative zur Untersuchungshaft – aber auch außerhalb des Eröffnungsbereichs von Untersuchungshaft – den Transfer von Überwachungsmaßnahmen ohne Freiheitsentzug (z.B. eine Verpflichtung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten oder sich zu bestimmten Zeiten bei einer bestimmten Behörde zu melden) von dem Mitgliedstaat, in dem der Gebietsfremde verdächtigt wird, eine Straftat begangen zu haben, an den Mitgliedstaat, in dem er einen Wohnsitz hat. Somit soll ein Verdächtiger einer Überwachungsmaßnahme in seinem Heimatmitgliedstaat unterzogen werden können, bis das Verfahren in dem anderen Mitgliedstaat stattfindet, anstatt im Anordnungsstaat in Untersuchungshaft genommen zu werden oder dort einer Überwachungsmaßnahme ausgesetzt zu sein.
Nun ist es grundsätzlich immer richtig, wenn Haft und vor allem Untersuchungshaft vermieden wird. Insoweit ist er im Hinblick auf die Unschuldsvermutung ein konstruktiver Beitrag zur Stärkung der Beschuldigtenrechte und zu begrüßen.
Aber, es kommt immer ein aber, der Gesetzentwurf kann das Problem nicht lösen, dass in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Eingangsschwellen zur Verhängung von Untersuchungshaft bestehen und einige Mitgliedstaaten unterhalb der Haftschwelle freiheitsbeschränkende Überwachungsmaßnahmen anordnen können, was zur Konsequenz haben kann, dass im Vollstreckungsstaat Auflagen wegen des Tatverdachts hinsichtlich eines Delikts überwacht werden müssen, das unterhalb der Haftschwelle liegt. Bei Verstößen gegen die Auflagen ergäbe sich die weitere Konsequenz, dass der Vollstreckungsstaat den Beschuldigten im Falle des Erlasses eines Haftbefehls im Anordnungsstaat an diesen übergeben müsste. Während z.B. in Deutschland die Haftschwelle erreicht sein muss, um den Haftbefehl unter Auflagen außer Vollzug zu setzen (Substitutionsmodell), existiert z.B. in England/Wales, Italien und Polen ein Stufenmodell, wonach auch unterhalb der Anordnungsschwelle von Untersuchungshaft freiheitsbeschränkende Maßnahmen zur Sicherung des Prozesses verhängt werden können. Sie sehen sicherlich selbst, dass dies ein gravierendes Problem darstellt. Zwar sieht Art. 21 Abs. 3 RB EuÜA vor, dass die Pflicht zur Rücküberstellung des Beschuldigten bei Bagatelltaten, die im Höchstmaß von weniger als 12 Monaten Freiheitsstrafe bedroht sind, durch die Mitgliedstaaten abdingbar ist. Von der Abdingung hat Deutschland bislang keinen Gebrauch gemacht. Genau das wäre aber eine Voraussetzung um unsere Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf zur erlangen.
Darüber hinaus bleibt noch das Problem, dass der Rahmenbeschluss grundsätzlich eine Pflicht des Vollstreckungsstaats zur Anerkennung von Überwachungsmaßnahmen vorsieht, die nur in begrenzten Fällen (Art. 15 RB EuÜA) vom Vollstreckungsstaat zurückgewiesen werden können. Dies führt wiederum – wie schon beim Europäischen Haftbefehl etc., dazu Deutschland Vollstreckungsmaßnahmen auch bei Taten, die nach deutschem Recht gar nicht strafrechtlich sanktioniert sind, durchführen muss. Wir finden dies verfassungsmäßig sehr bedenklich, wenngleich es sich bei diesem konkreten Rahmenbeschluss um eine Erleichterung (Überwachnungsmaßnahmen als milderes Mittel zur Untersuchungshaft) handelt. Aus unserer Sicht wäre es ausgesprochen sinnvoll all diese Aspekte noch einmal in einem Berichterstatter/innen-Gespräch zu besprechen.