Heidrun Bluhm, bau- und wohnungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE spricht im Plenum des Deutschen Bundestages zur abschließenden 2./3. Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten "Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts" (Drucksache 17/11468) und zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Baugesetzbuch wirklich novellieren" (Drucksachen 17/10846).
Heidrun Bluhm (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Baugesetzbuch ist die gesetzliche Grundlage für alles, was in Deutschland geplant und gebaut wird. Es ist nicht nur die Fibel für den planenden und bauenden Berufsstand sowie die Genehmigungsbehörden der Kommunen, nein, was wir hier alles zu regeln haben, hat auch Auswirkungen auf das Leben der Menschen, also auch auf die Nutzer des Gebauten, sowie auf die Umwelt.
Konkret untersetzt wird das Baugesetzbuch durch länderspezifische Landesbauordnungen, um den regionalen Besonderheiten an dieser Stelle auch gerecht zu werden. Somit ist nicht nur der Bund, sondern sind auch die einzelnen Bundesländer in besonderer Planungsverantwortung für ihre Regionen. Die allgemeingültigen Standards aber für das Bauen werden durch das Baugesetzbuch für alle vorgegeben. Diese Standards sind von Zeit zu Zeit zu überprüfen, sie sind den sich entwickelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Das wollen wir mit der heute hier zu verabschiedenden Novelle erreichen.
Dabei dürfen wir nicht nur den Wünschen derer nachgeben, die bauen wollen, sondern müssen auch immer eine Güterabwägung hinsichtlich der Umwelt und derjenigen vornehmen, die mit dem Gebauten täglich leben sollen und die auch ertragen müssen, was gebaut ist. Vor allem aber müssen wir die gesamtgesellschaftlichen Ziele im Auge haben, auf die wir uns alle gemeinsam mehrheitlich verständigt haben. Aus dieser Betrachtung heraus sagt auch die Linke: Ja, wir haben mit den vorliegenden Änderungen des Baugesetzbuchs den notwendigen Änderungsbedarf erfasst.
Herr Götz hat gestern im Ausschuss gesagt, Qualität gehe vor Geschwindigkeit. Er hat damit gemeint, dass wir etwas länger gebraucht haben, um zu diesem gemeinsamen Kompromiss zu kommen. Auch von mir deshalb an dieser Stelle ein Lob für das Bemühen, die Opposition auf den Weg zu dieser Novelle, zu diesem Entwurf, mitzunehmen. Umfangreicher kann ich wegen der Redezeit meinen Dank nicht ausfallen lassen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ja, wir haben bei vielen Fragen einen Konsens gefunden, so zum Beispiel beim Vorrang der Innenentwicklung vor der Bebauung des Außenbereichs.
Wir haben den Kommunen einen Umgang mit sogenannten Schrottimmobilien ermöglicht, ihnen die baurechtliche Planungskompetenz erleichtert und vor allem strittige Paragrafen so konkretisiert, dass sie jetzt nicht mehr vor Gericht ausgeurteilt werden müssen.Auch die längst überfällige Klärung zum Bau und zu dem Betrieb von Kindertagesstätten in reinen Wohngebieten ist hier schon angesprochen worden. Auch dieser Punkt ist in der Vorlage aufgegriffen worden; das loben wir.
Was aber eine wirklich revolutionäre Leistung dieser Novelle des Baugesetzbuches für uns ist, ist, dass wir explizit die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen in einer ganz neuen Qualität festgeschrieben haben. Das ist etwas Neues. Das ist sicherlich für uns alle ein wichtiger Moment.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Selbst auf die vieldiskutierte Frage nach Ausmaß und Größe industrieller Tierhaltung wird mit dieser Novelle eine Antwort in die richtige Richtung gewiesen, wenn auch die Massentierhaltung in Deutschland damit noch nicht vom Tisch ist. Diesem Vorschlag hat sogar der Landwirtschaftsausschuss zugestimmt.
Noch einmal zu Herrn Götz. Er hat sich bei allen Fraktionen für den gefundenen Konsens bedankt. Dazu sage ich: Bitte schön, Herr Götz, das ist gern geschehen. Ich sage aber auch: Wir haben zu vielen Fragen einen Konsens gefunden, weil sich alle bewegt haben. Leider ist Ihnen das in einer für uns sehr wichtigen und wesentlichen Frage nicht gelungen. Deshalb können wir uns bei der heutigen Abstimmung über die Novelle leider nur der Stimme enthalten.
(Peter Götz [CDU/CSU]: Das ist aber schade! –Petra Müller [Aachen] [FDP]: Sie haben am Anfang so nett gekuschelt!)
Mit unserem Antrag „Barrierefreies Bauen im Baugesetzbuch verbindlich regeln“ haben wir seinerzeit beantragt, die von Deutschland unterzeichnete UN-Konvention zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen auch im Baugesetzbuch sicherzustellen. Diesen Antrag haben Sie abgelehnt; das sind wir allerdings gewohnt. Aber Sie hätten jetzt bei der vorliegenden Novelle die Gelegenheit gehabt, diese selbstverpflichtende Konvention aufzunehmen. Mit dem Hinweis, dass das in den Landesbauordnungen geregelt werden kann, haben Sie unsere Bitte abgetan. Damit entziehen Sie sich leider der Verwirklichung des Grundrechts auf Barrierefreiheit auf Bundesebene und überlassen das dem Ermessen der Länder.
Sie entziehen sich der Verpflichtung, die Rechte und Belange älterer Menschen und von Menschen mit Behinderung in angemessener Weise zu sichern, und bleiben ihnen damit gleichberechtigte Teilhabe deutschlandweit schuldig. Sie entziehen sich der Pflicht, bei Bau- und Infrastrukturvorhaben deren Barrierefreiheit oder Barrierearmut sicherzustellen, und schließen somit einen wachsenden Teil unserer Menschen aus. Diese Menschen teilhaben zu lassen, ist jedoch grundlegende Aufgabe eines Sozialstaates. Das haben Sie verpasst – leider.
(Peter Götz [CDU/CSU]: Wir haben einen Föderalismus!)
Aber bei der nächsten Novelle – Frau Müller, da widerspreche ich Ihnen; sie wird nicht zehn Jahre dauern – werden wir dieses Ziel weiter verfolgen.
(Beifall bei der LINKEN)