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REACH - Chance für zukunftsfähige europäische Chemikalienpolitik nutzen!

Rede von Eva Bulling-Schröter,

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):
Wir reden heute über eines der wichtigsten Umweltgesetze in der Geschichte der Europäischen Union. Wie Sie wissen, wurden bislang nur etwa 4 000 Stoffe darauf geprüft, ob sie Gesundheit oder Ökosysteme schädigen. Auf dem EU-Markt befinden sich jedoch etwa 100 000 so genannte Altstoffe, die vor 1981 auf den Markt kamen. Etwa 30 000 davon werden gegenwärtig mit mehr als einer Tonne Jahresproduktion eingesetzt. Mit ihnen läuft faktisch ein Großversuch an Mensch und Umwelt. In den letzten Jahrzehnten haben auch als Folge dieser Politik Allergien sowie Brustkrebs- und Atemwegserkrankungen zugenommen. Giftcocktails lassen sich selbst noch in der Muttermilch nachweisen. Die EU-Kommission wollte mit dieser unhaltbaren Situation Schluss machen. Doch der Richtlinienvorschlag war von Anfang an ein mit harten Bandagen umkämpftes Werk. Umwelt- und Verbraucherorganisationen sowie Gewerkschaften standen mächtigen Lobbyorganisationen der chemischen Industrie gegenüber.
Letztere haben nichts unversucht gelassen, um beim langwierigen Gesetzesverfahren die wirtschaftlichen Interessen der Chemiekonzerne durchzusetzen. Und sie waren erfolgreich: Der ursprüngliche Kommissionsentwurf wurde infolge der ersten Lesung drastisch verschlechtert. Von den 30 000 als relevant betrachteten Chemikalien müssten nach diesem Entwurf nun nur noch 12 000 gründlich überprüft werden. Zudem wanderte die Beweislast bezüglich der Unbedenklich-keit von den Herstellern wieder zurück zu den Behörden. Genau dies sollte jedoch durch REACH eigentlich umgekehrt werden. In der ersten Lesung hatte sich das EU-Parlament zumindest noch dafür ausgesprochen, gefährliche Chemikalien zu ersetzen, wenn es sicherere Alternativen gibt. Aber selbst diese einzige positive Veränderung zum Kommissionsentwurf wurde vom Rat kassiert. Insgesamt stellte sich damit die Frage, ob ein solches Chemikalienrecht nicht hinter das bisherige zurückfallen würde. Schließlich würden die niedrigen Registrierungsund Zulassungskriterien nun ebenfalls für die Neustoffe gelten, welche gegenwärtig noch einem vorbildlichen Registrierungsverfahren unterliegen. Nunmehr hat der Umweltausschuss des Europaparlaments am 10. Oktober 2006 einen wichtigen Schritt für den besseren Schutz von Umwelt und Gesundheit vor gefährlichen Chemikalien getan: Er sprach sich mit großer Mehrheit dafür aus, dass Chemieunternehmen gefährliche Chemikalien ersetzen müssen, wenn sichere Alternativen zur Verfügung stehen. Zudem hat sich der Umweltausschuss für die Aufnahme einer allgemeinen Sorgfaltspflicht in den Verordnungsentwurf entschieden. Danach würden die Chemieproduzenten für die Sicherheit all ihrer Produkte - unabhängig von der jährlich hergestellten Menge - verantwortlich gemacht. Verbraucher sollen zudem mehr Informationen über jene Chemikalien bekommen, die in den von ihnen erworbenen Alltagsgegenständen enthalten sind. Insgesamt wurde mit den Veränderungen zwar im Bereich der Testanforderungen nicht das ursprüngliche Schutzniveau des Kommissionsentwurfs erreicht. REACH wurde aber in wichtigen Teilen verbessert.
Aus diesem Grund - das ist auch der Inhalt unseres Antrags - fordern wir die Bundesregierung auf, im EUWettbewerbsministerrat darauf hinzuarbeiten, dass die umwelt- und gesundheitsfreundlichen Positionen des Umweltausschusses des Europaparlaments übernommen werden. Die Bundesregierung muss dazu insbesondere ihren Widerstand gegen die Substitution gefährlicher Stoffe aufgeben. Die letzte Chance zu einem fortschrittlichen europäischen Chemikalienrecht darf nicht vergeben werden.