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Raten Sie mal, wer zahlen darf?

Rede von Harald Weinberg,

Die Kopfpauschle rollt auf uns zu

Harald Weinberg (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Prozess des vorliegenden Reformwerkes, die verschiedenen Stufen und die verschiedenen Ideen, die uns dargelegt wurden, zeigen uns im Wesentlichen eines: Die Bundesregierung - darin vor allem die FDP - hat keinen Plan.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Übrigen geht es mit dem Chaos - das Sie uns vorwerfen wollen - weiter. Es gab eine Pressemeldung, in der zu lesen war, dass die CSU am unbürokratischen Sozialausgleich zweifelt. Ihr Gesundheitsexperte Straubinger führt aus: „Ich kann nicht erkennen, wie das umgesetzt werden soll.“ So geht das mit dem Chaos in dieser Regierung ein Stück weiter.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wir diskutieren wenigstens in der Sache!)

„Wichtig ist, was hinten rauskommt“, sagte Helmut Kohl. Seiner politischen Erbin hingegen, der jetzigen Kanzlerin, scheint es egal zu sein, was das Ergebnis für die Versicherten, die Patientinnen und Patienten sowie für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler bedeutet. Hinten rauskommen soll vor allem eines: der Koalitionsfrieden.

(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Hauptsache für die Bundesregierung! Genau!)

Liebe Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande, raten Sie mal, wer das zahlen darf.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Menschen in diesem Land wissen genau, dass die Koalition auf ihre Kosten gerettet werden soll. Herr Rösler wird zwar nicht müde, zu behaupten, der Einstieg in eine dauerhaft solide Finanzierung sei geschafft. Das glauben ihm nach einer Umfrage auf tagesschau.de, an der sich schon 15 000 Bürgerinnen und Bürger beteiligt haben, gerade mal 2,4 Prozent.

(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Es gibt noch zu viele FDP-Wähler! - Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP: Oh!)

Damit glauben ihm das noch nicht einmal die 4 Prozent verbliebenen FDP-Anhänger.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Koalition will Unvereinbares zusammenbringen. Einerseits hätte die FDP das Gesicht verloren, wenn es keine Kopfpauschale gegeben hätte, andererseits war die CSU - im Übrigen zu Recht - dagegen. Was haben Sie gemacht? Sie haben pauschale Zusatzbeiträge geschaffen, die der Kopfpauschale in nichts nachstehen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Doch! Das ist ein großer Unterschied! Sie haben das nicht kapiert! - Ulrike Flach [FDP]: Die Kopfpauschale hat keiner gewollt!)

Die sind das ungerechteste Finanzierungsinstrument, das es überhaupt gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ihr Problem ist: Sie wollen einen kompletten Systemwechsel - zumindest die eine Seite der Koalition -, aber gleichzeitig soll es so aussehen, als bliebe alles beim Alten. Was dabei herauskommt, ist unsozialer Murks.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Rösler, Sie meinen, Sie hätten eine nachhaltige und soziale Finanzierung geschaffen. Ihr Modell läuft darauf hinaus, dass in wenigen Jahren die Zusatzbeiträge bis zur Belastungsgrenze von 2 Prozent des Einkommens steigen werden, zuerst bei den armen Versicherten, später bei allen, zuerst bei klammen Kassen, später bei allen Kassen. Was passiert denn dann, nachdem Sie allen eine 2-prozentige Einkommenskürzung verpasst haben? Dann verwandelt sich Ihr sogenannter Sozialausgleich automatisch in ein Instrument, das alle weiteren Kostensteigerungen aus Steuern finanziert. Ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem? Ist das das liberale Idealbild?

Ihren Vorschlägen ist eines gemein: Am Ende zahlen die Versicherten. Wie schon die Vorgängerregierungen laden Sie fast alle Kostensteigerungen bei den Versicherten und bei den Kranken ab. Als Feigenblatt haben Sie sich überlegt, den Arbeitgeberbeitrag zunächst um 0,3 Prozent zu erhöhen, dann aber für alle Zeiten festzuschreiben. Das heißt, über kurz oder lang haben die Versicherten eine zusätzliche Belastung von 2,3 Prozent. Sie belasten die Versicherten in unserem Land fast achtmal stärker als die Arbeitgeber. Ich frage Sie: Ist das sozial gerecht? Ist es sozial gerecht, dass die Versicherten ohnehin schon 0,9 Prozent mehr Beiträge zahlen als die Arbeitgeber? Dazu kommen die Praxisgebühr, Zuzahlungen, wirtschaftliche Aufzahlungen und Leistungen, die nicht mehr von der Krankenkasse übernommen werden. Das ist weder sozial noch gerecht, und das wissen alle Menschen draußen im Land.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Noch eine Bemerkung zum Mythos Lohnnebenkosten, der auch hier wieder bemüht worden ist: Die Exportindustrie hat diese Koalition offensichtlich vor den Karren gespannt. Sie kämpfen bei den Lohnnebenkosten merkwürdigerweise um jeden Cent Entlastung, wohlgemerkt als höchstes Ziel der Gesundheitspolitik. Mit Händen und Füßen wehren Sie sich zum Beispiel dagegen, das Defizit des nächsten Jahres dadurch auszugleichen, dass die Arbeitgeber wieder den gleichen Beitragssatz zahlen wie die Versicherten. Wie würde sich eine Beitragssatzsteigerung um 0,9 Prozentpunkte für die Arbeitgeber auf die Exportindustrie auswirken? Nehmen wir ein typisches Exportgut, den VW Golf mit einem Listenpreis von 18 275 Euro. Diese Beitragssatzsteigerung würde bei einem Lohnkostenanteil von 15 Prozent - Tendenz sinkend - am Preis gerade einmal 20 Euro ausmachen. 1 Prozent Wechselkursschwankungen, die wir in der letzten Zeit ja mitunter täglich haben, machen 185 Euro aus. Das ist also deutlich mehr.

Sie hingegen belasten den VW-Facharbeiter durch den 0,9-prozentigen Sonderbeitrag mit 405 Euro zusätzlich im Jahr. Das soll gerecht sein? Wirtschaftlich sinnvoller wäre es, wenn sich der Arbeitgeber an diesen Kosten wieder zur Hälfte beteiligen würde und der Facharbeiter das Geld zum Ausgeben hätte.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dadurch, dass Sie über Ihr Konzept schreiben, es sei gerecht, sozial, stabil, wettbewerblich und transparent, wird das, was unter dieser Überschrift steht, nicht besser. Die Menschen wollen keine stufenweise Abschaffung der Solidarität im Gesundheitssystem. Sie wollen eine tatsächlich sozial gerechte Finanzierung, bei der starke Schultern mehr tragen als schwache. Das will die Linke auch. Das werden wir versuchen durchzusetzen.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)