Rede von Frank Spieth (DIE LINKE.) zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Abschaffung der Praxisgebühr)
Die Gebühr für die Inanspruchnahme eines an der ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringers kurz „Praxisgebühr“ verursacht vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Fehlsteuerungen im Gesundheitswesen. Insbesondere die Nichtinanspruchnahme von notwendigen medizinischen Leistungen durch sozial schwächere Bürgerinnen und Bürger - belegt durch eine Reihe von Studien - erscheint als besonders problematisch, weil in dieser Bevölkerungsgruppe die Mortalitäts- und Morbiditätsrate überproportional hoch ist. Zwar werden absolut notwendige Arztbesuche weiter getätigt; die Arztkontakte zur Prävention und bei so genannten „Bagatellerkrankungen“ in den unteren Einkommensklassen sind jedoch stark zurückgegangen. Dies führt zu einer unzureichenden Früherkennung und Verschleppung von Krankheit, was wiederum langfristig zu erhöhten Kosten im Gesundheitssystem führen wird. Darüber hinaus ist durch die Praxisgebühr eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zum Nachteil von Bürgern niedriger Einkommensklassen gegeben. Das Prinzip der solidarischen Krankenversicherung, wonach junge für alte, gesunde für kranke und reiche für arme Versicherte solidarisch eintreten, wird hier von den Füßen auf den Kopf gestellt: Die Versichertengemeinschaft hat Anspruch auf eine Abdeckung der durch Krankheit entstehenden Kosten. Diese Versicherungspflicht wurde mit gutem Grund eingeführt. Mit der Versicherungsprämie wurde dem Arbeiter ein Stück mehr Sicherheit gegeben. Und so wurden die Lebensrisiken Krankheit, Pflege, Alter, Arbeitslosigkeit und Unfall durch die Sozialversicherungen abgefangen. Mit diesem Prinzip ist Deutschland über 130 Jahre gut gefahren. Noch 1998 begründeten Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die Abschaffung bzw. Verminderung von Zuzahlungen im Gesundheitswesen als Politik zur „Stärkung der Solidarität in der Gesetzlichen Krankenversicherung“. So der Titel des ersten von der rot-grünen Koalition 1998 dem Bundestag vorgelegten Reform-Gesetzes, das diese Bezeichnung noch verdiente. Die Gesundheitsreform 2003 wurde dann von Ihnen vor allem damit begründet, dass die Wiedereinführung von Zuzahlungen eine positive Wirkung auf den Arbeitsmarkt hätte. Sie beschlossen vor zwei Jahren eine milliardenschwere Kostenverlagerung von den Arbeitgebern auf die Arbeitnehmer durch- Leistungsausgrenzungen,
- Änderungen bei der Finanzierung von Zahnersatz und Krankengeld und
- Zuzahlungen wie z.B. der Praxisgebühr
Gleichzeitig entlasteten Sie die Arbeitgeber bei den Lohnnebenkosten. Nur so würden, behaupteten Sie damals, neue und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze entstehen und die vorhandenen gesichert. Nach knapp zwei Jahren muss man bilanzieren: Dieses Ziel wurde nicht erreicht! Sie verlangen fortgesetzt Opfer von den Menschen und bürden ihnen Lasten auf, ohne dass die versprochenen positiven Wirkungen eintreten. Ihre Politik basiert auf fehlerhaften Annahmen und sie ziehen völlig falsche Schlüsse. Das Hauptproblem der sozialstaatlichen Sicherungssysteme besteht im fortwährend sinkenden Anteil der Arbeitslöhne am gesamtgesellschaftlichen Einkommen, bei gleichzeitig wachsenden Vermögenseinkommen, die aber nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Bei einer sozial gerechten Verteilung des Produktivitätsfortschritts kann der Sozialstaat auch in Zukunft gesichert werden. Die Finanzierung bzw. Versorgung einer wachsenden Zahl von Renterinnen und Rentnern, Pflegebedürftigen und Kranken ist möglich, ohne dass die Beschäftigten auf Lohnzuwächse verzichten müssen. Voraussetzung hierfür ist, dass endlich alle einen Beitrag leisten! Wer Menschen durch Zuzahlungen von der medizinischen Versorgung ausgrenzt, nimmt Folgeschäden billigend in Kauf. Wer Menschen die medizinische Hilfe versagt, handelt zynisch. Die Kosten, die der Gesetzgeber mit dieser Maßnahme einsparen will, werden durch den zu späten Arztbesuch in die Höhe getrieben. Die Praxisgebühr, die bekanntlich von der CDU/CSU in das Gesundheitssystem-Modernisierungs-Gesetz (GMG) gedrückt worden war, muss endlich gestoppt werden. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.