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Petra Sitte: Unterfinanzierung der Hochschulen endlich beenden!

Rede von Petra Sitte,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der FDP-Antrag platzt in eine Grundsatzdebatte über die Gesamtfinanzierung und Ausgestaltung unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems. Und er trifft auf ein Eckpunktepapier des SPD-Finanzministers. In diesem sind für 2020 rund 533 Millionen Euro weniger für Bildung und Forschung vorgesehen.

Noch einmal zur Erinnerung: In Umfragen wird Bildung und Wissenschaft regelmäßig höchste Priorität eingeräumt. Umso unverständlicher sind die Kürzungspläne von Olaf Scholz.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP])

Es kommt mir auch so vor, als ob er von den fragwürdigen Asymmetrien in der Ausstattung von Bildung und Wissenschaft keine Ahnung hätte. Einerseits finden sich unterfinanzierte Hochschulen. Andererseits erfahren außeruniversitäre Forschungseinrichtungen jährlich 3-prozentige Aufwüchse. Allerdings sind diese auch nicht exorbitant, sondern sie gleichen gerade einmal Tarif- und Sachkosten aus.

Die Jahrzehnte anhaltende Unterfinanzierung bringt insbesondere Hochschulen an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Man spricht mittlerweile von „erschöpften Einrichtungen“. Wie will man, wie wollen Sie unter diesen Bedingungen die Freiheit von Forschung und Lehre garantieren? Statt auszufinanzieren, haben Sie in den letzten Jahrzehnten den Konkurrenzdruck erhöht. Fast alle zusätzlichen Mittel werden wettbewerblich vergeben. So haben Exzellenzinitiativen zwar bemerkenswerte Leistungen in Teilsystemen der Wissenschaft hervorgebracht; aber die Ungleichgewichte in Hochschulen, zwischen Hochschulen und zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind gewachsen.

Dagegen haben Sie nun das Mittel der Pakte gefunden. Sie haben sie nacheinander aufgelegt: den Hochschulpakt – davon war eben die Rede –, den Pakt für Forschung und Innovation und als letzten den Pakt für Qualität in der Lehre. Trotzdem sind die Ausgaben pro Studierenden heute geringer als vor zehn Jahren. Als sogenanntes Herzstück bleiben die Hochschulen gewissermaßen infarktgefährdet. Das ist ein völlig absurder Vorgang.

(Beifall bei der LINKEN)

Lehrende und Lernende spüren es täglich. Wir haben immer noch überfüllte Hörsäle, wir haben immer noch Befristungen en masse, wir haben schlecht bezahlte Lehrbeauftragte und, und, und. Darunter leidet natürlich am Ende auch die Qualität von Forschung.

Die „Frist ist Frust“-Kampagne beispielsweise der GEW

(Zuruf des Abg. René Röspel [SPD])

setzt dabei aus unserer Sicht genau an der richtigen Stelle an. Aber, meine Damen und Herren, solange grundsätzlich keine verlässlichen Bedingungen, keine verlässlichen Perspektiven geschaffen werden, bringen auch Verschiebungen zwischen den Pakten, wie sie der FDP vorschweben, kaum etwas.

(Beifall bei der LINKEN)

Der FDP-Antrag bietet nun geradezu eine Inflation an vorgeschlagenen Indikatoren an.

(René Röspel [SPD]: Aber hallo!)

Da sollen Bilanzmatrizen entstehen.

(Heiterkeit des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Lineare Kombinationen zur Bewertung von Nutzen und Wirkung eingesetzter Mittel bestehen aber gerade in der Wissenschaft nicht. Ignoriert werden auch Unterschiede zwischen den außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Max-Planck- und Helmholtz-Institute betreiben vor allem Grundlagenforschung. Leibniz-, Fraunhofer-Institute oder Institute der Zuse-Gemeinschaft sind viel stärker anwendungsorientiert.

(Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Da steht ja nicht, dass alles gleichbehandelt werden muss!)

– Genau den Eindruck macht Ihr Antrag. Ihr Antrag hinterlässt den Eindruck, dass Sie mit Ihren Kriterien alle über einen Kamm scheren. Nein, nein, nein; da brauchen Sie mir nichts erzählen!

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Nein, nein, nein! Dann haben Sie den Antrag nicht richtig gelesen!)

Um es klar zu sagen: Natürlich hat die Gesellschaft Anspruch auf Anwendungsperspektiven wissenschaftlicher Erkenntnisse. Trotzdem wollen wir wissenschaftliches Arbeiten und Forschen offenhalten. Sinnvoller wäre doch gerade in dieser Situation, die außeruniversitären Forschungseinrichtungen näher an die Hochschulen zu bringen. Der FDP-Antrag behandelt, ehrlich gesagt, alle Wissenschaftseinrichtungen in diesem Land irgendwie wie Industrieforschungseinrichtungen.

(René Röspel [SPD]: Das stimmt!)

Und das wollen wir ganz bestimmt nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. René Röspel [SPD] – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!)

Wir wollen erstens, dass die Kürzungen im Bundeshaushalt zu Aufwüchsen werden. Wir wollen zweitens, dass die Unterfinanzierung an den Hochschulen endlich beendet wird. Und drittens können wir dann auf dieser Basis gern in eine Debatte darüber eintreten, –

– was wir, was die Gesellschaft von Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft erwarten kann.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD])