LINKE stellt Antrag, um die Unabhängigkeit der Unabhängigen Patientenberatung wiederherzustellen
Harald Weinberg (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Wir wollen heute über die Unabhängigkeit sprechen. Um von anderen wirklich unabhängig zu sein, darf man nicht wirtschaftlich und organisatorisch mit ihnen verbandelt sein. Ist man dies bei gewissen Themen doch und hat vielleicht noch herausragende öffentliche Ämter inne, dann muss man gewisse Konsequenzen ziehen, damit man nicht auch nur in den Geruch einer fehlenden Unabhängigkeit kommt.
Der Kollege Henke, der leider nicht da ist, ist nicht nur CDU/CSU-Abgeordneter im Gesundheitsausschuss, sondern auch Präsident der Ärztekammer Nordrhein. Er vertritt also die Interessen der Ärztinnen und Ärzte. Aus ebendiesem Grund hält sich Kollege Henke als Abgeordneter auffallend zurück, wenn es um Gesetze geht, die insbesondere die Interessen der Ärztinnen und Ärzte betreffen. Sonst würde man ihm womöglich unterstellen, sein Mandat als Ärztelobbyist zu missbrauchenOder der Kollege Lauterbach: Als er vor der letzten Bundestagswahl in das SPD-Schattenkabinett berufen wurde, legte er seinen Sitz im Aufsichtsrat der Rhön-Kliniken nieder. Das wäre für ihn als Gesundheitsminister in spe auch nicht mit dem Amt vereinbar gewesen.
Ich erzähle das hier, weil wir alle – auch Sie, die lieben Kolleginnen und Kollegen der Koalition – genau über den Wert der Unabhängigkeit Bescheid wissen. Und Sie alle wissen genau, dass es mehr als heikel ist, die unabhängige Patientenberatung einer Firma anzuvertrauen, die von Krankenkassen, Pharmafirmen und anderen Playern im Gesundheitswesen abhängig ist.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Aber das Ausschreibungsverfahren negieren Sie nicht?)
– Wir kommen schon noch zum Ausschreibungsverfahren. –
Insbesondere ist es sehr bedenklich, wenn die Mutterfirma Sanvartis als spezialisierte Callcenter-Betreiberin die gesetzlichen Krankenkassen als wichtigen Kunden hat. Denn gerade Konflikte mit den Krankenkassen waren bisher der Grund Nummer eins, weswegen sich Patientinnen und Patienten an die unabhängige Patientenberatung gewendet hatten. Ob hier jetzt noch eine Unabhängigkeit gewährleistet ist, wenn die Kassen die Patientenberatung nicht nur finanzieren bzw. finanzieren müssen, sondern auch noch Herr über die Ausschreibungsverfahren und zudem ein wichtiger Kunde der Muttergesellschaft des Beratungsunternehmens sind, darf bezweifelt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich weiß, Sie entgegnen jetzt sicher, dass Sanvartis eine gemeinnützige GmbH gegründet hat, die auf dem Papier nichts mit der Muttergesellschaft zu tun hat. Aber ich entgegne Ihnen, dass wir als Abgeordnete darüber genauso wenig wissen wie die Öffentlichkeit, weil die Verträge, die im Zusammenhang mit der Ausschreibung gemacht wurden, uns gar nicht vorliegen; denn sie sind geheim. Auch auf Anfragen von uns und von den Grünen teilt die Bundesregierung dem Bundestag wenig Substanzielles mit mit Verweis auf Geheimhaltungspflichten. Ein solches Ausschreibungsverfahren ist das Gegenteil von Transparenz.
Aber auch ansonsten kann das Angebot von Sanvartis nicht überzeugen. So gibt es zwar mehr Beratungsstellen als bisher, nämlich zukünftig 31 bundesweit. Allerdings scheinen sie kaum Beratungen anzubieten. Denn nach einer Antwort der Bundesregierung auf die aktuelle Anfrage der Grünen werden dort nur sechs Vollzeitäquivalente arbeiten. Es gibt also sechs Vollzeitstellen. Das entspricht 240 Wochenarbeitsstunden verteilt auf 31 Beratungsstellen. Das macht gerade einmal acht Stunden pro Woche und Beratungsstelle, und davon ist noch keinerlei Arbeitszeit für Büroorganisation oder Ähnliches abgezogen. Die Beratungsstellen werden also weniger als acht Stunden in der Woche geöffnet sein und tatsächlich beraten können. Das hat die frühere Unabhängige Patientenberatung Deutschland bisher mit weniger Geld besser gekonnt.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)
Jetzt komme ich noch zu den Nachteilen des Ausschreibungsverfahrens an sich: Alle sieben Jahre gibt es nun möglicherweise einen Bruch. Der alte Anbieter kann schon Wochen vor Ende der Ausschreibung keine komplizierten Beratungsfälle mehr annehmen. Der neue Anbieter braucht drei oder sechs Monate, bis sein Angebot funktioniert. So lange gucken die Patientinnen und Patienten mit Beratungsbedarf in die Röhre.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Wir können das Rad nicht zurückdrehen und die Ausschreibung rückgängig machen. Aber wir können dafür sorgen, dass wir die Fehler dieser Ausschreibung nicht wiederholen. Deswegen sind unsere wesentlichen Forderungen:
Erstens: zukünftig keine Ausschreibungen mehr, sondern eine Beauftragung derjenigen unabhängigen Patientenorganisationen, die der Bundestag bestimmt.
Zweitens: eine Finanzierung aus Steuermitteln statt aus Beitragsmitteln. Damit wären auch die Privatversicherten in die Finanzierung einbezogen, und die Kassen hätten weniger Einflussmöglichkeiten und würden finanziell entlastet.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittens: einen Patientenbeauftragten des Bundestages statt der Bundesregierung. Dieser soll Aufsicht führen, dem Bundestag regelmäßig Bericht erstatten und gegebenenfalls Änderungen vorschlagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Unabhängigkeit lässt sich nicht in Vergabekriterien pressen. Deswegen war es ein Fehler, dass der Patientenbeauftragte der Bundesregierung der Vergabeentscheidung der Krankenkassen zugestimmt hat. Er hätte auch sein Veto einlegen können.
Sorgen wir gemeinsam dafür, dass in Zukunft klügere und unabhängigere Entscheidungen getroffen werden! Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)