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Palliativversorgung und Hospize ausbauen

Rede von Harald Weinberg,

Sterbehilfediskussion hat bereits eine Diskussion um den Ausbau der Palliativversorgung sowie der Hospize befördert

Harald Weinberg (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu: Ich konnte mich am Anfang nicht recht mit einer Diskussion über Sterbehilfe anfreunden, die ich vor dem Hintergrund der gegebenen Rechtslage eigentlich für überflüssig gehalten habe. Jetzt haben wir diese Diskussion. Ich bin beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und auch der Würde, mit der sie geführt wird.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler (DIE LINKE))

Ganz unabhängig vom letztendlichen Ausgang hat die Diskussion sicher eines schon positiv bewirkt: Wir, die Politik, und die Gesellschaft haben genauer in den Blick genommen, ob und wie in Deutschland ein würdevolles Sterben möglich ist und was dagegensteht. Wir haben einen nüchternen Blick auf die Versorgungslage im Bereich der Palliativmedizin und Hospizarbeit geworfen. Ich will gleich darauf zurückkommen.

Im Zusammenhang mit der Diskussion über einen assistierten Suizid wurde besonders von ärztlicher Seite auf die weitreichenden Möglichkeiten der Palliativmedizin verwiesen. In der Tat sind die Fortschritte, die dort gemacht wurden, gewaltig. Auch der Gesetzgeber hat mit der Ermöglichung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung mit dazu beigetragen, die Versorgung zu verbessern. Aber - hier zitiere ich den Palliativmediziner de Ridder -:

"Das Bemühen um bestmögliche palliative Versorgung schließt die Möglichkeit der ärztlichen Beihilfe zum Suizid nicht von vornherein aus … "

Das steht   hier schließe ich mich de Ridder an - nicht gegeneinander, sondern kann sich in ganz bestimmten eingrenzbaren Fällen sogar ergänzen.

Aus meiner Sicht kann eine Erleichterung des assistierten Suizids weder mit dem Verweis auf eine schlechte palliativmedizinische Versorgungslage begründet werden - das wäre sogar zynisch -, noch kann eine strafrechtliche Ahndung oder Einschränkung der Beihilfe zur Selbsttötung mit dem Verweis auf die Palliativmedizin begründet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber natürlich ist es allgemein einleuchtend, dass eine bessere Bekanntheit der palliativmedizinischen Möglichkeiten sowie eine flächendeckende Versorgung mit Palliativmedizin auch präventiv gegen Suizidversuche wirken können. Von einer ausreichenden flächendeckenden Versorgung sind wir jedoch noch weit entfernt. Zwar haben wir eine Palette von Angeboten, zum Beispiel ambulante Hospizdienste, stationäre Hospizeinrichtungen, Palliativstationen und SAPV-Teams, sowie - das muss man sagen - eine eher unbekannte Zahl von mehr oder weniger guten und würdevollen Sterbebegleitungen in Altenpflegeheimen, was ein recht problematisches Thema ist.

Aber aus einem Standardwerk über Palliativmedizin, dem Oxford Textbook of Palliative Medicine aus dem Jahr 2011, ergibt sich, dass 60 Prozent der Sterbenden eigentlich eine palliativmedizinische Behandlung benötigen.

Wir hatten im Jahre 2012 rund 870 000 Sterbefälle in Deutschland. 522 000 dieser sterbenden Menschen hätten demnach eigentlich eine palliativmedizinische Behandlung benötigt. Zählt man die Zahlen der Menschen, die in den obigen von mir genannten Einrichtungen in diesem Jahr tatsächlich palliativmedizinisch behandelt wurden, zusammen, und zwar recht großzügig zusammen, dann dürften das nicht mehr als 100 000 Menschen gewesen sein. 100 000 von 522 000 potenziell Bedürftigen, da klaffen Anspruch auf würdevolles Sterben und Wirklichkeit noch weit auseinander.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz vertritt dann auch die These: Das Konzept des Sozialgesetzgebers - das sind wir alle - aus Hospiz- und Palliativversorgung setzt bei der Sterbehilfediskussion um Jahre zu spät an. Jenseits der Frage, wie wir zum assistierten Suizid im Einzelnen stehen - meine Haltung dürfte einigermaßen deutlich geworden sein -, führt uns die Diskussion dieses Themas hoffentlich diese Herausforderung vor Augen, der wir uns dringend und ohne weitere Verzögerung stellen müssen.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler (DIE LINKE))

Der Gesundheitsminister Gröhe hat jetzt, sicher nicht ganz zufällig im zeitlichen Zusammenhang mit dieser Debatte, angekündigt, den Hospiz- und Palliativbereich auszubauen. Ich begrüße das ausdrücklich. Meine Fraktion, Die Linke, wird dies kritisch, aber konstruktiv begleiten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)