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Pacta sund servanda!

Rede von Wolfgang Neskovic,

Das neue Bundesamt für Justiz ist - als nationale Kontaktstelle für den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr - in erster Linie kein brillanter Einfall der Regierung, sondern ein schlichter Akt der Vertragserfüllung gegenüber den europäischen Mitgliedstaaten und anderen Ländern.

Dummerweise wird mit der geplanten Errichtung des Amtes in Bonn gleichzeitig ein Vertrag auch gebrochen. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD (!) stellt fest, dass neue Bundeseinrichtungen in den neuen Ländern anzusiedeln sind. Wenn also nicht einmal die Koalitionäre ihre eigene regierungspolitische Grundlage ernst nehmen, wie ernst können wir sie dann nehmen und was dürfen wir wohl noch von ihnen erwarten?

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,

die Absicht der Bundesregierung, eine neue Bundesoberbehörde auf dem Gebiet des Justizwesens zu errichten, scheint sich nur auf den ersten Blick einer kritischen politischen Beurteilung zu entziehen. Zunächst ist nichts unschuldiger, als eine Behörde, die noch nicht zu arbeiten begonnen hat.

Wer wollte bewerten, welche konkreten Einzelentscheidungen dort einmal getroffen werden? Wer sollte beurteilen können, welchen rechtspolitischen Zielsetzungen das Personal in den ihm zugewiesenen Aufgabenbereichen einmal nachgehen wird? Und wie könnte man damit heute schon sagen, ob sich die materiellen Ausstattungen der Behörde vom Radiergummi bis zum modernen EDV - Gerät gelohnt haben werden?

Maßgeblich wird sein, ob die neue Behörde bei ihrer Entscheidungsfindung die rechts- und sozialstaatlichen Grundsätze der Verfassung achten wird.
Maßgeblich wird im Rückblick einmal sein, ob das deutsche Justizwesen mit der neuen Einrichtung in den ihr zugewiesenen Aufgabenbereichen endlich ein Stück weit jene Aufwertung erfährt, die längst überfällig ist. Es war nicht gerade eine Zierde am Gebäude der Justiz, dass etwa Aufgaben nach dem Auslandsunterhaltsgesetz oder dem Haager Adoptionsübereinkommen jahrelang vom Generalbundesanwalt wahrgenommen werden mussten. Mit Strafrecht hatte das jedenfalls nichts zu tun. Der Generalbundesanwalt hat es tapfer ertragen.

Und es überzeugt auch nicht, dass der mit der Einrichtung des Bundesamtes verbundene finanzielle Mehraufwand von vergleichsweise lächerlichen 400.000 Euro nicht etwa anstandslos originär bereitgestellt, sondern anderen Bereichen im Justizhaushalt abgeknapst wird. Darüber hinaus bieten sich für die Bewertung des Vorhabens auf dem Gebiet der Justiz selbstverständlich auch formal-juristische Kategorien an. Meine Damen und Herren: Ich denke da zunächst an den alten Grundsatz: pacta sund servanda.

Ausweislich der Gesetzesbegründung ist die neue Bundesoberbehörde - als nationale Kontaktstelle für den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr - in erster Linie kein brillanter Einfall der Regierung, sondern ein schlichter Akt der Vertragserfüllung.

Pacta sund servanda. Das heißt hier: Wir sind völkerrechtlich und supranational verpflichtet, eine bestimmte Behörde zu schaffen, also schaffen wir eine solche. Das ist soweit auch gut so. Wäre da nicht der bedenkliche Umstand, dass die neue Behörde nach dem konkreten Entwurf nicht nur einen Akt der Vertragserfüllung darstellen, sondern zugleich einen Vertragsbruch auslösen wird.

Ich spreche von einem ganz bestimmten Vertrag, dem zumindest die Mehrheit dieses Hauses sicherlich die allergrößte Bedeutung zumisst. Im Koalitionsvertrag (!) zwischen CDU/CSU und SPD heißt es auf Seite 95 unter B. III. 10:

"Neue Bundeseinrichtungen sollen in den neuen Ländern angesiedelt werden."

Der vom Entwurf vorgesehene Sitz der neuen Bundesbehörde ist Bonn. Bonn liegt bekanntlich in den alten Bundesländern. Bonn liegt also nicht in den neuen Bundesländern. Demnach wird mit der Errichtung der Behörde in Bonn der Koalitionsvertrag gebrochen.

Auch die Brandenburgische CDU - Justizministerin Frau Beate Blechinger war zu einem entsprechenden Ergebnis gelangt. Sie bat deshalb in der 822. Sitzung des Bundesrates am 19. Mai 2006 im Namen der fünf neuen Bundesländer gefälligst um die Einhaltung des Koalitionsvertrages. Sie bat vergeblich! Cottbus in Brandenburg wäre übrigens ein guter Standort für das neue Bundesamt gewesen. Die Cottbusser hätten sich sicherlich gefreut über die im Entwurf angekündigten neuen Arbeitsplätze. Auch über die infrastrukturellen Impulse, die das neue Amt in seine Umgebung bringen wird, wären die Cottbuser kaum traurig gewesen.

Natürlich ist es den Partnern eines Vertrages, auch eines Koalitionsvertrages, grundsätzlich nicht unmöglich, eine vorgesehene Drittbegünstigung - unter zu präzisierenden Voraussetzungen - auch wieder zurückzunehmen. So was kann vorkommen. Ich verstehe das im Grunde.

Selbst die Koalitionäre haben bei ihren Verhandlungen im Herbst 2005 gute Gründe gesehen, neue Bundeseinrichtungen auf dem Gebiet der neuen Länder anzusiedeln. Genau das haben sie dann in den Koalitionsvertrag geschrieben, nicht zuletzt weil es natürlich gut klingt und im Osten gern gelesen wird.

Und jetzt haben die Koalitionäre eben sehr viel weniger gute Gründe, diese neue Einrichtung doch in Bonn zu schaffen. Was schert sie ihr Geschwätz von gestern. Das mag dem Alltag des politischen Geschäfts entsprechen und insoweit politisch menschlich sein. Der Koalitionsvertrag trägt ja auch nicht umsonst den Untertitel: "Mit Mut und Menschlichkeit."

Doch zurück zur formal-juristischen Sichtweise. Ich denke, Frau Justizministerin Blechinger wird bei ihrem Protest am 19. Mai 2006 berücksichtigt haben, dass es für die beiderseitige Rücknahme eines dem Dritten gewährten Vorteils ganz wesentlich auf die Frage ankommt, ob dem Dritten aus dem Vertrag ein echter Anspruch erwachsen sollte. Dies richtet sich nach dem Parteiwillen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung.

Dürfen wir also den Vertrag der Koalitionäre so verstehen, dass es ihnen jedenfalls am 11.11.2005 darauf ankam, den Osten Deutschlands bei der Ansiedlung staatlicher Verwaltung endlich als gleichberechtigten Landesteil anzuerkennen?

Wörtlich steht dazu natürlich nichts im Vertrag. Da wo der Wortlaut dürftig ist, hilft stets die Auslegung, hier die systematische Auslegung. Der dritte Abschnitt der Sektion B., der jenen zitierten Passus enthält, trägt den erhellenden Titel:

"Aufbau Ost voranbringen!"

Seite um Seite dieses Abschnittes ist wieder und wieder mit diesem Slogan überschrieben. Sie können ihn beim Blättern nicht übersehen. Sie müssen ihn irgendwann einfach ernst nehmen. Selbst wenn er von der Koalition kommt.
Damit ist die Auslegung abgeschlossen und der Fall klar: Nach dem hier allein maßgeblichen Willen der vertragsschließenden Parteien vom 11. November 2005 gehört das neue Bundesamt für Justiz gerade nicht nach Bonn und soll nun doch dahin.

Das ist Vertragsbruch gegenüber den neuen Bundesländern.

Wenn nicht einmal die Koalitionäre ihre eigene regierungspolitische Grundlage ernst nehmen, wie ernst können wir sie dann nehmen und was dürfen wir wohl noch von ihnen erwarten? Bei allem Verständnis für das Interesse der Stadt Bonn, sich als politischer Standort zu behaupten und bei allem Ansehen für die in Bonn schon vorhandenen Verwaltungsstrukturen:

Auch hier gilt: Pacta sund servanda!

Und so mahne ich für die Länder Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen die Einhaltung eines Versprechens an. Ich danke Ihnen.