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Ordnungsgeld verletzt Würde des Parlaments - Rede zur Änderung der Geschäftsordnung

Rede von Dagmar Enkelmann,

Ordnungsgeld, Sanktionen, Verfassungsrechte, Abgeordnete, Bundestag

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle fest: Eine Mehrheit des Hauses sieht die Würde des Bundestages bedroht. Nun stellt sich die Frage, wodurch Sie sich bedroht fühlen. Sie fühlen sich zum Beispiel durch Abgeordnete bedroht, die sich mit
einem T-Shirt zum Protest gegen Stuttgart 21 bekennen. Es war von schwerwiegender Störung und Eskalation die Rede.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Klamauk!)
Herr Kaster, machen Sie sich nicht lächerlich. (Beifall bei der LINKEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Sie machen sich lächerlich!)

Eine Mehrheit fühlt sich auch dadurch bedroht, dass Abgeordnete der Linksfraktion im Plenum Bilder von Kunduz-Opfern gezeigt haben und Sie alle an die deutsche Verantwortung erinnert haben, und zwar nachdem ein Gedenken an die Opfer von Kunduz im Bundestag von den anderen Fraktionen abgelehnt worden ist. Das
war unsere Form des Gedenkens an diese Opfer.
(Jörg van Essen [FDP]: Es ist aber interessant, dass Sie das jetzt alles verteidigen! Im Ältestenrat haben Sie das nicht gut gefunden!)
Ist das eine Verletzung der Ordnung und Würde des Bundestages? Ich kann das nicht erkennen, und ich verteidige das ausdrücklich, Herr Kollege van Essen.
(Beifall bei der LINKEN – Jörg van Essen [FDP]: Im Ältestenrat haben Sie es nicht gut gefunden, und jetzt verteidigen Sie es!)
Wissen Sie, wodurch ich die Würde des Bundestages
verletzt sehe? Ich sehe sie verletzt, wenn in diesem Haus politische Entscheidungen getroffen werden, die auch etwas mit Art. 1 Grundgesetz zu tun haben, nämlich mit der Würde des Menschen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Menschen in ihrer Würde verletzt werden, die arbeitslos sind. Die ganze Hartz-IV-Gesetzgebung in diesem Hause war ein würdeloses Verfahren.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Lesen Sie noch einmal über Demokratie und Mehrheiten nach!)
Regelungen, die Flüchtlinge betreffen, oder wenn die Lebensleistung von Menschen im Osten ignoriert wird –
all das ist würdelos in diesem Parlament.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Das ist grober Unsinn, was Sie hier erzählen!)
Wie oft haben wir hier Debatten erlebt, die mit der Würde des Bundestages herzlich wenig zu tun hatten. Werfen Sie einen Blick in die Protokolle und lesen Sie die Zwischenrufe: Das hat mit der Würde des Hauses überhaupt nichts zu tun.
Nein, Sie wollen die Linke disziplinieren. Das haben wir schon gemerkt. Dass Sie dabei verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Wege gehen, beeindruckt Sie wenig. Sie wollen jetzt unter anderem den Sitzungsausschluss bis zu 30 Tagen gesetzlich regeln.
(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das sind bestehende
Regelungen!)
Das beschränkt das Rede- und Stimmrecht frei gewählter Abgeordneter. Das heißt, das Rede- und Stimmrecht von Abgeordneten wird sozusagen zur Verfügungsmasse einer Mehrheit in diesem Haus. Das ist wahrlich eine verfassungsrechtlich genehme Regelung. Es ist ein Verstoß gegen das im Grundgesetz ausdrücklich verankerte freie Mandat der Abgeordneten.
Das trifft auch auf das Ordnungsgeld zu. Unter welchen Voraussetzungen, aus welchen Gründen und in welcher Höhe Ordnungsgeld verhängt wird, bleibt offen, und es ist damit ein willkürliches Instrument.
Es besteht kein angemessener Rechtsschutz. Sie schließen zum Beispiel die Möglichkeit der Anhörung des Betroffenen aus. Sie findet in keiner Weise statt.
(Zuruf von der LINKEN: Rechtsstaatlichkeit!)
In einem Rechtsstaat ist ein solches Verfahren eigentlich undenkbar. Im Bundestag ist es möglich. Der Berichterstatter des Verfassungsgerichts, Herr Professor Broß, teilt unsere rechtlichen Bedenken an dieser Stelle. Aber einer Klärung im Ausschuss, wie von uns vorgeschlagen, zum Beispiel mit einer Anhörung, an
der auch Professor Broß teilnehmen würde, haben Sie sich verweigert. Wer nicht hören will, muss fühlen: Dann klären wir das eben vor dem Verfassungsgericht.
Danke.