Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir diskutieren in der Debatte über diesen Tagesordnungspunkt über die Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung auf der einen Seite und abschließend über die Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten auf der anderen Seite. Da fragt man sich: Was hat das eine mit dem anderen zu tun, dass beides im Rahmen eines Tagesordnungspunkts behandelt werden muss?
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das ist ganz einfach: Beide Gesetze sind ein Beleg für eine repressive, populistische und an den Stammtischen orientierte Rechtspolitik. Das kann man dann auch im Rahmen eines Tagesordnungspunktes behandeln.
Ich will mit der Erweiterung jugendgerichtlicher Handlungsmöglichkeiten mit dem Schwerpunkt Warnschussarrest beginnen. Mein Kollege Wunderlich hat dazu bereits alles Richtige gesagt. Natürlich muss man dem Kollegen Wunderlich nicht folgen. Aber was man machen könnte, ist, Schlussfolgerungen aus der Anhörung zu ziehen. In der Anhörung gab es darauf wurde schon hingewiesen nicht ein einziges wissenschaftlich fundiertes Argument für die Einführung eines Warnschussarrestes. Es gab lediglich Praktiker, die gesagt haben: Aus unserer Praxis heraus wünschen wir uns, dass es einmal einen Warnschussarrest gibt, Punkt. Den hätten wir jetzt gerne mal.
(Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einmal im Jahr!)
Das war es schon. Aber es gab kein wissenschaftliches Argument. In der Anhörung haben sich alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen eine Anhebung der Höchststrafe und gegen die Einführung eines Warnschussarrests ausgesprochen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Burkhard Lischka (SPD) - Burkhard Lischka (SPD): Das waren alle! Das stimmt!)
Das Gesetz zeigt: Sie ignorieren die Ergebnisse der Anhörung und die Aussagen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Wenn Ihnen das nicht genügt, verweise ich an diese Stelle auf Christian Pfeiffer eine Koryphäe in diesem Bereich , der von einer Rückfallwahrscheinlichkeit von bis zu 70 Prozent beim Warnschussarrest spricht. 70 Prozent derjenigen, die Sie in den Warnschussarrest stecken wollen, werden also wieder zu Straftätern. Das heißt, Sie produzieren weiter Straftäterinnen und Straftäter, anstatt etwas gegen Straftaten zu tun.
Kommen wir zum Gesetz zur Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung. Vielleicht muss man noch einmal sagen, worum es bei der Sicherungsverwahrung eigentlich geht. Bei der Sicherungsverwahrung geht es darum, dass Straftäterinnen und Straftäter, die für ihre Tat bereits eine Freiheitsstrafe verbüßt und damit auch für die Tat gebüßt haben, aufgrund einer Gefährlichkeitsprognose präventiv weiter im Knast einsitzen.
(Christine Lambrecht (SPD): Nicht im Knast!)
Ich sage bewusst „im Knast“, weil Sicherungsverwahrung letztendlich Freiheitsentzug ist. Demjenigen, der einsitzt, ist es egal, ob das eine Therapieunterbringungsanstalt oder ein Knast ist.
(Beifall bei der LINKEN Christine Lambrecht (SPD): Kommt darauf an, wie es ausgestattet ist! - Burkhard Lischka (SPD): Dann könnte sie Psychiatrie auch als Knast bezeichnen!)
Deswegen wiederhole ich: Die Linke lehnt das Institut der Sicherungsverwahrung ab.
(Beifall bei der LINKEN – Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU): Sind Sie sich da sicher? Gysi hat etwas anderes gesagt!)
Deswegen haben wir die Einsetzung einer Expertenkommission aus Praktikerinnen und Praktikern, aus Gesellschaftswissenschaftlern, aus Straf-, Polizei- und Verfassungsrechtlern, aus Kriminologen, Psychiatern, Psychologen und natürlich auch Vertretern von Opferverbänden vorgeschlagen, die sachlich und im Rahmen dieses Expertenstatus darüber diskutieren sollen, ob wir das Institut der Sicherungsverwahrung überhaupt brauchen. Dass eine Versachlichung der Debatte zum Thema Sicherungsverwahrung notwendig ist, zeigen doch aktuelle Vorgänge. Ich möchte Sie daran erinnern, dass der gesamte Landtag von Sachsen-Anhalt das ist sehr zu begrüßen letztes Wochenende nach Insel gefahren ist. Insel ist ein Ort in Sachsen-Anhalt, wo entlassene Sicherungsverwahrte versuchen, ein neues Leben anzufangen. Es gibt massive Ängste in der Bevölkerung und Versuche, die Entlassenen wieder zu vertreiben. Man muss die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen, man darf sie aber nicht übernehmen. Man muss sich vielmehr mit ihnen auseinandersetzen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will im Rahmen der Debatte über die Sicherungsverwahrung auf zwei Dinge sehr deutlich hinweisen.
Erstens. Sie alle wissen Herr Heveling hat es in der letzten Debatte gesagt , dass es in einer offenen Gesellschaft keine absolute Sicherheit gibt. Wir wissen: Jede Straftat ist eine zu viel, und jedes Opfer ist eines zu viel. Aber wir dürfen nicht suggerieren, es gäbe ein Mittel, das verhindert, dass Straftaten überhaupt begangen werden. Das ist eine Grundtatsache, und das müssen wir immer wieder betonen.
Zweitens. Die Ursachen für die Entstehung von Kriminalität sind so vielfältig und umfassend, dass eine sichere Prognose auf das Wort „sicher“ kommt es in diesem Zusammenhang an darüber, ob weitere Straftaten begangen werden, einfach nicht möglich ist. Deswegen bleibt es dabei, dass die Sicherungsverwahrung eine präventive Sicherungshaft ist, die nichts mehr mit der Schuld des Täters zu tun hat.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das will ich zugestehen ein Spagat zwischen der Versachlichung der Debatte und der Beibehaltung des Populismus versucht. Es ist richtig und zu begrüßen, dass der Anspruch besteht, dass die Unterbringung einer individuellen und intensiven Betreuung bedarf. Es ist richtig und unterstützenswert, dass ein Rechtsanspruch auf Therapie zumindest angedeutet wird. Und es ist richtig, dass eine Entlassung durch die Gerichte dann ansteht, wenn keine angemessene Betreuung stattfindet. Das ist zu begrüßen.
Aus unserer Sicht aber völlig absurd ist, dass die Sicherungsverwahrung auf das Jugendstrafrecht ausgedehnt wird. Man muss sich einmal fragen, ob es überhaupt noch ein Verständnis dafür gibt, was der Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht bedeutet und dass dem Entwicklungsstand entsprechende Reaktionen erfolgen sollen. Zudem ist es völlig absurd, den ganzen Katalog der Anlassstraftaten beizubehalten. Die Kollegin Lambrecht hat darauf hingewiesen, was in diesem Zusammenhang alles möglich ist. Es ist ausdrücklich zu unterstützen, was sie gesagt hat. Ich will aber eine kleine Fußnote nicht unerwähnt lassen, dass nämlich auch die SPD dem Gesetzentwurf mit dem riesigen Katalog von Anlassstraftaten damals zugestimmt hat.
(Christine Lambrecht (SPD): Sie kennen aber auch unsere Änderungsanträge dazu! - Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit Änderungsanträgen!)
Kurz und gut: Das Gesetz bleibt trotz weniger guter Ansätze schlecht. Es kann auch nur schlecht sein, weil es sich um die Umsetzung eines noch schlechteren Gesetzes kümmert. Was wir statt solcher Gesetze brauchen, ist eine Offensive für eine rationale Kriminalpolitik, die sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen und nicht an Stammtischparolen orientiert. Dazu leistet der Gesetzentwurf alles in allem keinen Beitrag.
(Beifall bei der LINKEN)