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Öffentlichkeit durch Videoübertragung

Rede von Jens Petermann,

246. Sitzung des Deutschen Bundestages, 13. Juni 2013

TOP 60: Antrag Videoübertragung von Gerichtsverhandlungen ermöglich

 

Drucksache 17/ 13756

 

Jens Petermann für die Fraktion DIE LINKE - Rede zu Protokoll

 

Sehr geehrte(r) Herr/Frau Präsident(in), meine sehr geehrten Damen und Herren,

mit dem vorliegenden Antrag fordert die SPD ein Gesetz, das in allen Gerichtsbarkeiten Videoübertragungen von öffentlichen Gerichtverhandlungen in einen weiteren Raum ermöglicht. Auslöser für diese Forderung ist der Streit um die Akkreditierung von Journalisten im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München. Auf Grund der räumlichen Begrenztheit des Sitzungssaales konnte nicht allen interessierten Medienvertretern sowie Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zur Teilnahme an der Verhandlung eingeräumt werden.

In einem der bedeutendsten Strafverfahren seit Herstellung der Deutschen Einheit hat ein Streit um diese Frage, der letztlich nach Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes zu Gunsten der Öffentlichkeit entschieden wurde zu einem inakzeptablen prozessualen Fehlstart geführt, der nun den Gesetzgeber heraus fordert.

Bei Großverfahren oder Verfahren von besonderem öffentlichen Interesse kommt es regelmäßig vor, dass die vorhandenen Räumlichkeiten in den Gerichtsgebäuden zu klein für die interessierte Öffentlichkeit sind. Diese Erfahrung mussten auch immer wieder Interessierte an Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht machen. Es ist darum verständlich, dass die Öffentlichkeit vermehrt über eine Lösung  diskutiert. Auch im NSU-Verfahren hätte man für die am Verfahrensverlauf interessierte Öffentlichkeit eine Antwort finden müssen.

Wie die Verfasser des nun vorliegenden Antrages zutreffend feststellen, ist die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung  sicherzustellen. Das Gerichtsverfassungsgesetz setzt dieser Öffentlichkeit indes Grenzen, da Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung des Inhaltes unzulässig sind. Fraglich ist allerdings, ob die im Antrag vorgeschlagene Lösung der Videoübertragung von Gerichtsverhandlungen in einen weiteren Gerichtssaal unter das Verbot im Gerichtsverfassungsgesetz fällt. Sinn und Zweck der Öffentlichkeit der Verhandlung ist nicht, deren Inhalt jedem Bundesbürger zugänglich zu machen und die Verfahrensbeteiligten zur Schau zu stellen, sondern eine wirksame Kontrolle der staatlichen Machtausübung zu gewährleisten. Für diese Kontrollfunktion braucht man nicht 80 Millionen Bundesbürger, dazu reicht in der Regel eine Anzahl, die den üblichen Plätzen in einem Gerichtssaal entspricht, aus. Natürlich sind der Strafprozess gegen die Täter der NSU-Morde oder die Verhandlungen zur Euro-Rettung vor dem Bundesverfassungsgericht Verfahren, die einen besonderen Stellenwert genießen und verständlicher Weise eine breitere Öffentlichkeit interessieren als beispielsweise ein Verfahren wegen Sachbeschädigung vor einem Thüringer Amtsgericht. Gerade und ausschließlich für Verfahren mit bundesweiter Bedeutung sollte darum über eine restriktiv auszulegende Ausnahmeregelung im Gerichtsverfassungsgesetz nachgedacht werden. Die im Antrag vorgeschlagene Videoübertragung in einen angrenzenden Gerichtssaal wäre ein gangbarer Weg. Aber auch nur, wenn sicher gestellt ist, dass ausschließlich eine Übertragung und keine Aufzeichnung stattfindet sowie die Übertragung ausschließlich in einen benachbarten Gerichtssaal erfolgt, um auf diese Weise den Verhandlungssaal sinnbildlich zu vergrößern. Die Verhandlung muss zwingend in ein und dem selben Gerichtsgebäude verbleiben und darf nicht etwa auf Großbildleinwänden vor dem Gerichtgebäude oder in Stadien übertragen werden. Eine Art public viewing muss ausgeschlossen sein. Daneben muss bei einer Videoübertragung in einen Nebenraum zwingend eine Einflussmöglichkeit des Richters auf die Öffentlichkeit im zweiten Raum sicher gestellt sein. Denkbar wäre eine Tonrückübertragung vom Nebensaal in den Verhandlungssaal, was das Verfahren aber durch die Geräusche aus dem Nebensaal behindern, stören und verkomplizieren würde. Alternativ könnte man Justizbedienstete mit der Beaufsichtigung der zweiten Öffentlichkeit betrauen. Da fehlt es dann wieder an der Möglichkeit der Einflussnahme durch den Richter. Das ist ein wirkliches praktisches Problem dieses Vorschlages. Ob eine Videoübertragung der „Stein der Weisen“ für die Lösung eines vermehrten öffentlichen Interesses an einem Gerichtsverfahren ist, mag dahin gestellt bleiben. Wichtig ist, dass sich der Deutsche Bundestag mit diesem Problem befasst und nach gründlicher Beratung einen verfassungskonformen Vorschlag, der vor allem auch die Rechte der Opfer solcher Taten hinreichend berücksichtigt, unterbreitet. Dabei muss in erster Linie der Schutz des Persönlichkeitsrechts der Zeugen, der Opfer, der Angehörigen aber auch der Beschuldigten beachtet werden.

Zweifelsfrei besteht bei Großverfahren oder Verfahren mit besonderem öffentlichen Interesse Handlungsbedarf bezüglich der Raumfrage in den Gerichten. Meiner Ansicht nach sind die Erfahrungen aus dem NSU-Prozess am Oberlandesgericht München beispielgebend. Vor allem aber sollten diese Erfahrungen erst einmal in Ruhe von den Fachleuten im Rechtsausschuss beraten werden. Die Frage, wie mit den Ergebnissen umgegangen wird, muss mit großer Sorgfalt beantwortet werden. Auch wenn ich die Zielrichtung des Antrages der SPD-Fraktion teile, bekommt man dieses gewichtige Problem nicht mit einem Ein-Seiten-Antrag in der vorletzten Sitzungswoche der Legislatur gelöst. Das wird den Grundsätzen des Gerichtsverfassungsgesetzes und den Rechten der Verfahrensbeteiligten nicht gerecht. Gründlichkeit muss auch hier vor Schnelligkeit gehen.

Die zuständigen Berichterstatter der Fraktionen sollten sich gleich zu Beginn der 18. WP zusammensetzen und ein gemeinsames Papier auf den Tisch des Hauses legen. Meine Fraktion wird sich dem nicht verschließen.