Rede im Bundestag von Steffen Bockhahn in der abschließenden Debatte zum Bundeshaushalt 2010 - Einzelplan 17 (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) am 18. März 2010
Steffen Bockhahn (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schwanitz hat es angesprochen: Es gab durchaus Defizite bei den Berichten. Kollege Mattfeldt hat völlig zu Recht festgestellt, dass alle Anfragen beantwortet sind. Aber ich muss feststellen, dass die Antworten, die uns schriftlich überreicht wurden, offensichtlich nicht unbedingt mit dem Stand von heute übereinstimmen; und das ist ein Problem.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben in Deutschland leider auch heute noch die Wehrpflicht, also den Zwang für junge Männer, den Umgang mit Waffen, das Zerstören und Töten zu lernen. Aber zum Glück gibt es wenigstens einen Wehrersatzdienst, um stattdessen zu helfen, zu unterstützen und Gutes zu tun. Aber auch der Wehrersatzdienst ist ein Zwangsdienst. Herr Kollege Mattfeldt, ich kann mich noch sehr genau an meine Zeit in der Zivildienstschule in Barth/Pruchten ohne den Zivildienstbeauftragten erinnern. Ich darf Ihnen sagen: Die wenigsten meiner Kolleginnen und Kollegen hatten das Gefühl, in erster Linie etwas für Deutschland zu tun. Die meisten haben gesagt: Ich muss meinen Zivildienst abreißen.
(Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Ich darf!)
„Ich muss meinen Zivildienst abreißen“ haben die meisten gesagt, weil es ein Zwangsdienst ist. Dieser Zwangsdienst sollte abgeschafft werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist aber gar nicht so einfach; denn wir haben es uns in unserer Gesellschaft mit den fleißigen und überaus preiswerten jungen Männern, die im Zivildienst tätig werden, bequem gemacht. Sie arbeiten in Kindergärten, in Alten- und Pflegeheimen, in Krankenhäusern und vielen anderen Einrichtungen. Dort leisten sie gesellschaftlich zwingend notwendige Arbeit. Wenn man sich von einem solchen System verabschieden will die Verkürzung des Zivildienstes auf sechs Monate kann nur als Einstieg in den Ausstieg vom Zivildienst betrachtet werden , dann muss man dies rechtzeitig vorbereiten. Vor allen Dingen muss man anständige Alternativen schaffen. Genau das aber versäumt die Bundesregierung.
Wenn man diese Verkürzung durchführt, muss man sich über Folgendes im Klaren sein. Es ist inzwischen offenkundig, dass die meisten Träger des Zivildienstes sagen: Mit sechs Monaten können wir nichts anfangen. Die Zeit, die die Zivildienstleistenden bei uns in den Einrichtungen sind, ist viel zu kurz. In der Folge werden die Zivildienststellen abgebaut, aber die Aufgaben, die die Zivis erledigt haben, bleiben meistens liegen. Das ist zum Nachteil aller in Deutschland.
Wenn man wenigstens die Freiwilligendienste erheblich ausbauen würde wofür man Zeit bräuchte , dann wäre das ein Schritt in die richtige Richtung.
(Beifall bei der LINKEN)
Man könnte die Hoffnung haben, dass das passiert. Jedoch sollen mehr als 150 Millionen Euro beim Zivildienst eingespart werden; bei den Freiwilligendiensten kommt nur 1 Million Euro hinzu. Das Verhältnis stimmt nicht. Ich habe noch eine tolle Idee der FDP kennengelernt: Wer Freiwilligendienst leistet, soll einen besseren Zugang zum Studium erhalten. Ich kenne das aus Gesprächen mit Menschen, die in der DDR bei der NVA waren. 18 Monate waren Pflicht, wer scheinbar freiwillig 36 Monate machte, hatte bessere Studienmöglichkeiten. Das kann doch nicht das Ziel der FDP sein.
(Beifall bei der LINKEN Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Aber Ihres?)
Ich schlage Ihnen stattdessen vor: Machen Sie sich Gedanken über eine Alternative zum Zivildienst! Machen Sie sich Gedanken über einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor! Bezahlen Sie Arbeit statt Arbeitslosigkeit, und finanzieren Sie so gesellschaftlich notwendige Arbeit. Nehmen Sie Mecklenburg-Vorpommern als Beispiel; dort gab es das. Schauen Sie sich Berlin an; dort gibt es das. Das sind sehr gute Beispiele, die Ihnen allen helfen sollten, dieses Prinzip zu verstehen und einzusehen, dass Sie damit etwas für die gesamte Gesellschaft tun.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich füge hinzu: Wir sind völlig schmerzfrei, wenn Sie das als Ihr Programm ausgeben. Wir werden den Menschen zwar sagen, dass es nicht Ihr Programm ist, aber wir werden Sie dabei unterstützen, es einzuführen.
Ich komme zu einem anderen Thema. Frau Gruß, bevor Sie sich wieder aufregen: Herr Toncar sitzt neben Ihnen. Er kann Ihnen das erklären. Im Einzelplan 17 des Bundeshaushaltes finden sich Extremismusprogramme wieder. Deshalb ist es richtig, wenn ich darüber spreche.
(Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Aussteigerprogramme!)
Die Bundesregierung hat das ist heute mehrfach deutlich geworden in allen Bereichen festgestellt, dass es keine Notwendigkeit gibt, eigenständige Programme gegen Rechtsextremismus zu führen. Es müssen immer Programme gegen Extremismus sein. Das offenbart einen großen Mangel an Problembewusstsein.
Ich möchte Ihnen ein gravierendes Beispiel nennen. In Limbach-Oberfrohna in Sachsen gibt es ein erhebliches Problem mit rechtsextremistischen Gewalt- und Straftaten. Allein im letzten Jahr die Zahl stammt vom Verfassungsschutz Sachsen, nicht von mir gab es 37 eindeutig rechtsextreme Straftaten, keine einzige der Linken.
(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)
In Limbach-Oberfrohna gibt es ein Bündnis, das sich für Demokratie und Toleranz einsetzen möchte. Der CDU-Landtagsabgeordnete Hippold lädt zu diesem Bündnis das NPD-Mitglied des örtlichen Stadtrates ein, das mitgestalten soll, wie dieses Bündnis arbeiten möge.
(Lachen bei Abgeordneten der SPD)
Auf jede Kritik, auch der Kirchen, dass das doch wohl nicht sein könne, kommt die Reaktion, die NPD sei eine demokratisch legitimierte Partei, man dürfe sie nicht rausschmeißen, sondern müsse das mit ihnen zusammen regeln. Das ist fehlendes Unrechtsbewusstsein.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei.
(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Aber Die Linke auch! Dorothee Bär (CDU/CSU): Die Linke auch!)
Verstehen Sie das endlich! Der Rechtsextremismus ist ein großes Problem. Frau Bär, wenn Sie meinen, Programme gegen Rechtsextremismus sei „Saufen gegen rechts“, dann glaube ich, dass Sie zu oft in Bayern unterwegs waren.
(Beifall bei der LINKEN Dorothee Bär (CDU/CSU): Pfui! Sie werden vom Verfassungsschutz beobachtet! Sie sind unter Beobachtung! Sie sind linksextrem!)
Ich will Ihnen deutlich sagen: Wir haben ein Problem, das Sie offensichtlich unterschätzen. Der Rechtsextremismus in Deutschland ist eine Gefahr für die Demokratie und eine Gefahr für die Verfassung. Das sagen nicht nur Linke, das sagen auch der Präsident des Bundesverfassungsschutzes und viele andere. Reden Sie einmal mit Opfern rechtsextremer Gewalt, dann werden Sie begreifen, dass das, was Sie hier tun, eine Verharmlosung ist.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Sie lenken doch von Ihrer Verfassungsfeindlichkeit ab!)
Wenn Sie sich anschauen, was in Dresden passiert ist und was am Wochenende wieder in Lübeck bevorsteht, dann werden Sie begreifen, warum der Kampf gegen Rechtsextremismus viel wichtiger ist als alles andere, was Sie in Sonntagsreden immer wieder einfordern.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD Dorothee Bär (CDU/CSU): Sie sollten sich wirklich schämen!)