Nur eine grundlegend anders angelegte Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik kann die sozialen Sicherungssysteme heilen, kann versuchen, hier Abhilfe zu schaffen. Ich weiß, Sie sagen jetzt wie immer: Das ist ein Zurück in die 70er-Jahre. - In gewisser Weise haben Sie Recht: Wir kritisieren nämlich seit 30 Jahren die Politik, die in verschiedensten Konstellationen hier im Haus praktiziert worden ist und letztlich mit jeder Koalition zu immer höherer Arbeitslosigkeit, immer höheren Schulden, mehr Umverteilung und letztlich unsicheren sozialen Sicherungssystemen geführt hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der einen Seite halten auch wir den FDP-Antrag für einen Schauantrag: weil er doch sehr spät kommt und das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. (Zuruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD] - Zuruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Auf der anderen Seite denken wir, dass wir über diesen Antrag im Ausschuss doch beraten sollten. (Beifall des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP] - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sehr gut!) Dabei bin ich nicht der Ansicht, dass wir zurückkommen sollten zu Zahlungsterminen um den 15. Man kann das zeitnah gestalten. Auch wenn ich als Linker vielleicht nicht in der Position bin, zu vermitteln, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) meine ich, die Abführung der Beiträge am 3. oder 5. des Folgemonats, wie es von Sachverständigen auch vorge¬schlagen worden ist, wäre noch zeitnah und würde Dop¬pelarbeit bei der Abrechnung vermeiden. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nur hilft das der Rentenversicherung auch nicht bei der Bei¬tragskalkulation!) Alle Sachverständigen haben bei der Begutachtung im Juni letzten Jahres von diesem Verfahren abgeraten, weil es völlig unnötig zu Doppelarbeit führt, sei es in den Be¬trieben, sei es bei den Krankenkassen, sei es bei den So¬zialversicherungsträgern. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!) Gleichzeitig - das ist für meine Begriffe das Entschei¬dende - schafft diese Vorverlegung nicht einmal eine mittelfristige Lösung des Problems. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hält nicht einmal zwei Jahre!) Ich kann hier heute keine Darlegung unserer Vorschläge zur mittel- und langfristigen Sicherung der Finanzen der Renten-, der Kranken- und der Pflegeversiche¬rung machen; das werden unsere Fachkolleginnen und -kollegen tun. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist aber schade!) - Ich könnte es natürlich und würde es auch gerne, wenn Sie mir die Zeit dazu gäben. Ich möchte nur auf drei Phänomene hinweisen, die aus meiner Sicht als Finanzpolitiker gegenwärtig die ent¬scheidenden Probleme sind: Das ist zum einen die Ver¬teilungsentwicklung. Hier wurde gerade gesagt, wir haben doch wieder Dynamik und wirtschaftliche Ent¬wicklung und und und. Dabei wird unterstellt, das täte uns gut. Aber schauen wir uns die Entwicklung doch einmal konkret an: Im Jahr 2004 hatten wir ein Wirt¬schaftswachstum von 1,6 Prozent, einen realen Zu¬wachs des Sozialproduktes von 58 Milliarden Euro. Von diesen 58 Milliarden Euro sind 55 Milliarden Euro in die Steigerung der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen geflossen, aber nur 3 Milliarden, sprich: 5 Prozent des gesamten Zuwachses, sind bei den Arbeit¬nehmereinkommen gelandet. (Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!) 2005 hatten wir einen Zuwachs des Sozialprodukts um 0,9 Prozent; es ist um 26 Milliarden Euro gestiegen. Der Zuwachs der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen betrug 32 Milliarden Euro. Demgegenüber sind die Arbeitnehmereinkommen um 6 Milliarden Euro zurückgegangen. Der Jahreswirtschaftsbericht - heute Morgen ist es schon diskutiert worden - prognostiziert für das gegenwärtige Jahr noch einmal so etwas. Wenn man bei einem sozialen Sicherungssystem, das an der Einkommensentwicklung der Arbeitnehmer angelehnt ist, nichts gegen diese ständige weitere Umverteilung zugunsten von Gewinnen unternimmt, dann nutzt einem Wachstum überhaupt nichts, dann wer¬den die sozialen Sicherungssysteme weiter Defizite ha¬ben. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens - auch das habe ich an dieser Stelle schon einmal gesagt -: Massenarbeitslosigkeit, vor allem ständig steigende Massenarbeitslosigkeit, verursacht für die sozialen Sicherungssysteme ungeheure Kosten. 4,8 Millionen registrierte Arbeitslose bedeuten für die sozialen Sicherungssysteme jährliche Beitragsausfälle von über 27 Milliarden Euro. Schon eine Halbierung der Arbeitslosigkeit entsprechend unseren Vorschlägen würde den sozialen Sicherungssystemen ein erhebliches Mehr bringen, und zwar dauerhaft. Drittens. Nach wie vor haben wir eine ständige Umschichtung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zu Minijobs bzw. 400-Euro-Jobs. Diese Umschichtung, das ist völlig klar, führt dazu, dass die Einnahmeverluste weiter wachsen. Anders wäre es, wenn wir mehr sozialversicherungspflichtige Beschäfti¬gung bekämen. Deswegen bestehen wir darauf: Nur eine grundlegend anders angelegte Wirtschafts-, Finanz- und Arbeits¬marktpolitik kann die sozialen Sicherungssysteme heilen, kann versuchen, hier Abhilfe zu schaffen. Ich weiß, Sie sagen jetzt wie immer: Das ist ein Zurück in die 70er-Jahre. - In gewisser Weise haben Sie Recht: Wir kritisieren nämlich seit 30 Jahren die Politik, die in verschiedensten Konstellationen hier im Haus praktiziert worden ist und letztlich mit jeder Koalition zu immer höherer Arbeitslosigkeit, immer höheren Schulden, mehr Umverteilung und letztlich unsicheren sozialen Siche¬rungssystemen geführt hat. Deswegen sagen wir hier im Hause, aber auch draußen bei den Menschen: Wir brau¬chen eine andere Politik, eine Politik für mehr Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN)
Nur eine grundlegend andere Politik kann die sozialen Sicherungssysteme heilen
Rede
von
Axel Troost,