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Norbert Müller: Rechteabbau stoppen, Kinder- und Jugendhilfe weiterentwickeln

Rede von Norbert Müller,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute die Reform des Kinder- und Jugendhilferechtes. Seit Jahren steht dessen sozialpädagogischer Ansatz unter Druck. Neoliberale Instrumente sollen einkehren, individuelle Rechtsansprüche geschwächt und Öffnungsklauseln für die Bundesländer eingeführt werden. Im Kern geht es darum, Geld zu sparen.

Bereits in der letzten Wahlperiode hat die GroKo erfolglos versucht – im Bundesrat an links- und grünregierten Ländern gescheitert –, diesen sozialpädagogischen Ansatz ein für alle Mal zu schreddern. Die Linke stand stets und zu jeder Zeit an der Seite derer, die das fortschrittliche Kinder- und Jugendhilferecht verteidigt haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Trotzdem gibt es natürlich Reformbedarf; das wissen auch wir. Die inklusive Ausgestaltung ist nach über 30 Jahren Kinder- und Jugendhilfegesetz überfällig gewesen. Auch die nunmehr verpflichtende Einführung von Ombudsstellen, Frau Ministerin, begrüßen wir ausdrücklich.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)

Kinder- und Jugendliche, die in Heimen oder in Pflegefamilien leben, müssen bisher 75 Prozent ihres eigenen Einkommens abgeben. Wer eine Ausbildung macht oder sich im Ferienjob was hinzuverdient, behält also fast nichts. Die Bundesregierung will dieses vormoderne Kostgeld jetzt auf ganze 25 Prozent senken. Ich verstehe nicht, warum diese für die jungen Leute demotivierende Schikane nicht endgültig und vollständig abgeschafft wird.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP)

Im Gesetzentwurf sind im Detail aber auch echte rechtliche Schlechterstellungen von Familien, Kindern und Jugendlichen enthalten. Ich will dies exemplarisch an der sogenannten Sozialraumorientierung verdeutlichen. Damit wird ermöglicht, individuelle Rechtsansprüche auf Hilfen zur Erziehung zu versagen und die Betroffenen in den Sozialraum zu verweisen, zu sogenannten niedrigschwelligen Angeboten.

Statt der Gewährung einer individuellen Familienhilfe wie bisher können betroffene Familien beispielsweise auf eine Anlaufstelle der Jugendsozialarbeit, ein Gruppenangebot in der Schule oder einen Kurs im Familienzentrum verwiesen werden. Um nicht falsch verstanden zu werden: Jugendklubs, Streetwork, Ganztagsangebote in Schulen sind total gut – das unterstützen wir auch –, aber sie ersetzen keine benötigte individuelle Familienhilfe und Hilfe für die Kinder und Jugendlichen.

Auf den ersten Blick hört sich das total gut an: niedrigschwellige Angebote im Sozialraum. – Wenn aber individuelle Rechtsansprüche auf Hilfen für Kinder und Familien abgebaut werden, dann geht es nicht um niedrigschwellige Angebote, dann schleifen Sie den Sozialstaat, und da machen wir als Linke nicht mit.

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen wollen wir eine echte Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe. Das bedeutet, dass wir eben mehr finanzielle Ressourcen brauchen statt weniger in den Kommunen und den Ländern. Wer Kinder stärken will, der muss ihre Mitbestimmungsrechte und ihre Rechtsansprüche stärken. Wir wollen Kinderschutz durch präventive Arbeit ausbauen, zum Beispiel durch eine bessere Ausstattung der offenen Kinder- und Jugendarbeit und der Jugendverbände, wo Kinderschutz praktisch wird. Wir wollen den Rechtsanspruch auf Hilfen für die jungen Volljährigen ausbauen. Da sind die Formulierungen im Gesetzentwurf zu unklar.

Herr Kollege Weinberg, ich habe das zur Kenntnis genommen: Im Familienausschuss haben Sie die Anträge von Grünen und uns zur Jugendwohnungslosigkeit noch abgelehnt. Die Zahlen haben Sie übernommen: über 30 000 betroffene junge Menschen, die ohne eigene Wohnung leben, auf Couchen bei Freunden leben oder sogar auf der Straße. Ich nehme das wohlwollend zur Kenntnis und Ihr Angebot ernst, dass wir im Familienausschuss dazu kommen, diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung wenigstens in dem Punkt zu qualifizieren, dass wir bessere Lösungen finden für Careleaver und für junge Menschen, die ohne eigene Wohnung leben müssen. In diesem Sinne freue ich mich auf den weiteren Austausch.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)