Zum Hauptinhalt springen

Norbert Müller: Ganztagesbetreuung braucht Qualität

Rede von Norbert Müller,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kein Mensch kann erklären, warum wir eigentlich seit vielen Jahren einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Kita haben, während, wenn die Kinder mit sechs Jahren oder mit fünfeinhalb oder sieben Jahren eingeschult werden und zwölf Uhr mittags Feierabend ist, sich wieder die Eltern um die Nachmittagsbetreuung in den ersten Grundschuljahren kümmern müssen. Das ist in vielen Bundesländern so; kein Mensch kann das verstehen. Und deswegen ist es völlig unverständlich, dass das nicht schon längst angegangen wurde.

Ja, wir begrüßen, dass die Koalition ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, den Rechtsanspruch auf den Weg zu bringen, jetzt zum Ende der Wahlperiode endlich umsetzt, damit dieser Missstand abgebaut wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Koalition hat versprochen, 2025 den Rechtsanspruch in Kraft treten zu lassen. Das werden Sie jetzt nicht mehr schaffen und mit dem vorgelegten Gesetzentwurf so auch nicht umsetzen, sondern Sie gehen in ein Stufenmodell – auch das ist eigentlich gar nicht falsch – mit einer Perspektive bis 2029, und Sie haben sich über Ihren Koalitionsvertrag hinaus dazu durchringen können, eine knappe Milliarde ab 2029 für die Deckung der dauerhaften Kosten zu geben. Auch das ist ein guter Ansatz; aber es ist natürlich nicht hinreichend.

(Lachen der Abg. Nadine Schön [CDU/CSU])

Und jetzt – Frau Schön lacht schon – muss man sich vielleicht angucken, weil das ja ein bisschen die Vorlage ist, wie das eigentlich mit dem Rechtsanspruch Kita gelaufen ist. Das ist ja ein Stück weit die Vorlage, die Sie genommen haben: ein Sondervermögen für Investitionskosten einzurichten,

(Zuruf der Abg. Bettina Margarethe Wiesmann [CDU/CSU])

Mittel für Betriebskosten in zu geringer Höhe an die Länder über Umsatzsteuerpunkte zu reichen und mit einem Stufenplan einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz zu realisieren.

2007 wurde der Rechtsanspruch für einen Ganztagsplatz in der Kita beschlossen und trat in seiner letzten Stufe am 1. August 2013 in Kraft, und 2019 – Ende 2019! – hat der Deutsche Bundestag das sogenannte Gute-KiTa-Gesetz, das mehr Qualität bringen sollte, aber in Wahrheit gar nicht gebracht hat, beschlossen. Das war der erste Schritt zu mehr Qualität in der Kita.

Nehmen wir das als Vorlage – und das ist es ja ganz offensichtlich – für diesen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, dann heißt das: 2021 wird der Rechtsanspruch beschlossen, ab 2026 tritt er schrittweise in Kraft, ab 2029 gibt es die volle Förderung – also, „voll“ heißt: eine knappe Milliarde für die Deckung der Betriebskosten in den Ländern –, und über Qualität reden wir dann Mitte der 2030er-Jahre. Ich finde, da können Sie jetzt nicht sagen: Die Opposition sagt immer: Das ist zu wenig. – Das ist definitiv zu wenig. Wir können doch nicht einfach dieselben Fehler wie bei dem Rechtsanspruch Kita immer und immer wieder wiederholen. Daraus muss man doch mal lernen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Einer meiner drei Söhne wird jetzt im August in Brandenburg eingeschult. Er hat Glück, dass er in Brandenburg eingeschult wird, weil bei uns ohnehin schon der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung im Grundschulalter gilt.

(Zuruf der Abg. Bettina Margarethe Wiesmann [CDU/CSU])

Würde er nicht in Brandenburg, sondern in Baden-Württemberg, wo Grüne und CDU regieren, eingeschult werden, dann müsste er ungefähr 14 Jahre warten, bis darüber geredet wird, dass dieser Rechtsanspruch kommt und dass er für gute Qualität vom Bund mitfinanziert wird. Da wäre er schon länger aus der Schule raus. Ich finde, da kann man nicht sagen: Das ist ein guter Anfang. – Es ist ein Anfang, aber es ist kein guter Anfang, den Sie heute wählen. Es ist definitiv zu wenig, und es ist unambitioniert.

(Beifall bei der LINKEN)

Und deswegen sagen wir als Linke: Erstens brauchen wir von vornherein eine Perspektive auf Qualität. Das kann man mit Stufenplänen verbinden, ja. Aber wir brauchen eine Perspektive auf Qualität in Ganztag, und das muss man an Personalschlüssel koppeln, und zwar im Bundesgesetz, im SGB VIII, also im Kinder- und Jugendhilferecht, wo Sie den Rechtsanspruch verankern. Anders geht das nicht.

Und zweitens brauchen wir eine starke Fachkräfteoffensive. Wir wissen, dass sofort 50 000 Erzieherinnen und Erzieher in Ganztag fehlen werden. Man kann nicht sehenden Auges in dieselben Probleme wie im Kitabereich laufen. Wir brauchen jetzt eine Perspektive, nämlich dass 2025/2026 eben auch Fachkräfte da sind, damit wir nicht 2026 wieder feststellen, dass sie nicht da sind, und uns dann Gedanken machen, wie es besser werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)