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Norbert Müller: Bundesregierung verstümmelt Kinderrechte

Rede von Norbert Müller,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, heute hätte ein guter Tag für die Kinderrechte in Deutschland sein können. 31 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention und übrigens fast auf den Tag genau 20 Jahre, nachdem die PDS-Fraktion als erste Fraktion hier im Deutschen Bundestag beantragt hat, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, hat sich die Bundesregierung dazu durchgerungen, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen, der vorsieht, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Aber ich habe bewusst den Konjunktiv gewählt; denn es ist kein guter Tag für die Kinderrechte in Deutschland. Der Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, liebe Bundesregierung, liebe Frau Ministerin Lambrecht, trägt den Stempel der CDU/CSU, die eigentlich keine Kinderrechte im Grundgesetz will. Dieser Stempel ist in erster Linie angstdurchsetzt. Das möchte ich Ihnen an Beispielen belegen.

Liebe CDU/CSU-Fraktion, die Kinderrechte in der UN-Kinderrechtskonvention sind im Wesentlichen in drei Grundrechte aufgeteilt: in ein Recht auf Beteiligung, ein Recht auf Förderung und ein Recht auf Schutz. Und die UN-Kinderrechtskonvention formuliert global, dass das Kindeswohl ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt ist. Genau diese vier Aspekte haben Sie nicht umgesetzt.

Sie wollen die Beteiligungsrechte von Kindern nicht stärken. Warum haben Sie eigentlich Angst davor, Kinder zu beteiligen? Gerade das letzte Jahr hat doch gezeigt, wie wesentlich und wichtig es ist, dieses Grundrecht auf Beteiligung festzuschreiben. Sie drücken sich davor.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wollen das Kindeswohl nicht als einen vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkt festschreiben. Die UN-Kinderrechtskonvention besagt ja gar nicht, dass das Kindeswohl das Einzige sei, was zu berücksichtigen ist. Nein, dort steht: ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt. Warum wollen Sie das nicht? Warum haben Sie Angst davor, das Kindeswohl aufzuwerten? Der Kollege Thomae hat zu Recht gesagt: Was Sie in Ihren Gesetzentwurf geschrieben haben, steht im Wesentlichen bereits im Grundgesetz. Der Rechtsstaat ist immer zu angemessenem Handeln verpflichtet. Eine angemessene Berücksichtigung, was soll diese Formulierung im Grundgesetz? Das ist ja maximal nichts.

Und Sie haben Angst davor, dass die Elternrechte geschmälert werden. Also das ist etwas, was ich inzwischen überhaupt nicht mehr verstehe. Als Vater von drei Kindern sage ich Ihnen: Eltern sind, gerade wenn es um die Durchsetzung der Grundrechte ihrer Kinder geht, die ersten Fürsprecher. Eltern sind die, die die Rechte ihrer Kinder häufig durchsetzen müssen, und zwar gegenüber dem Staat. Die Erzählung, die ganz rechts offen aufgemacht wird und der Sie sich irrsinnigerweise in Teilen auch noch anschließen, geht ungefähr so: Wenn Kinderrechte gestärkt werden, entsteht in den Familien eine Art Bürgerkriegssituation. Der Staat greift zu und klaut die Kinder. – Das halte ich, ehrlich gesagt, für völlig irre. Das ist eine völlig irre Erzählung.

(Zuruf des Abg. Fabian Jacobi [AfD])

Im Gegenteil: Wer Kinderrechte stärkt, der stärkt am Ende auch die Rechte von Eltern, und zwar als Abwehrrechte gegen einen übergriffigen Staat.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Außerdem wollen Sie die Kinderrechte hinter das Wächteramt ins Grundgesetz schreiben. Diese Reihenfolge ist interessant hinsichtlich der Rechtsdogmatik. Warum schreiben Sie die Kinderrechte hinter das Wächteramt? Das hat in der Konsequenz zur Folge, dass Kinderrechte nur dort wirken, wo das Wächteramt bereits gegriffen hat. Das heißt, nur in der Situation, wenn ein Kind zum Beispiel aus der Familie genommen wird, greifen die Kinderrechte, aber nicht global. Warum haben Sie diese Stelle gewählt? Ich finde, Ihr Gesetzentwurf ist weniger als nichts.

Frau Lambrecht, Sie haben den demokratischen Fraktionen im Haus Gesprächsbereitschaft angeboten. Deshalb will ich zumindest mal transparent machen: Wir haben hier vor zwei Jahren einen Gesetzentwurf eingebracht. Dieser darf bis heute nicht in die Anhörung im Rechtsausschuss. Sie blockieren dies mit Ihrer Koalitionsmehrheit, genauso wie Sie es mit einem entsprechenden Gesetzentwurf der Grünen machen. Sie haben die Fraktion Die Linke, obwohl wir die Ersten waren, –

– die hier die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz beantragt haben, aus den Verhandlungen geschmissen, weil die Unionsfraktion gesagt hat, mit den Linken rede sie nicht. Mir ist schleierhaft, wie Sie so zu einer Zweidrittelmehrheit kommen wollen. Wir bieten ernsthaft an, über Kinderrechte im Grundgesetz zu reden.

Aber dann müssen Sie die Fraktion der Linken auch ernst nehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)