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Niema Movassat: Justizministerin attackiert Bürgerrechte

Rede von Niema Movassat,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stellen wir uns mal vor, die Bürgerrechte wären ein schutzbedürftiger Wald. Dann wäre die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD der durchgedrehte Holzfäller, der alles klein hackt.

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – Rainer Spiering [SPD]: Wie langweilig! – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Ist das die Weihnachtsgeschichte? – Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Solche schlechten Märchen vor Weihnachten!)

Sie haben seit 2013 die Befugnisse der Geheimdienste erheblich erweitert, die Vorratsdatenspeicherung eingeführt, Staatstrojaner erlaubt, die Videoüberwachung ausgebaut und beschlossen, dass Fluggastdaten für fünf Jahre gespeichert werden müssen. Zuletzt haben Sie die Beschuldigtenrechte im Strafprozess eingeschränkt.

(Ulli Nissen [SPD]: So ein Unfug! – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: So ein Unfug!)

Diese Bundesregierung ist eine Gegnerin von Bürgerrechten, und deshalb stehen wir als Linke in klarer Opposition zu Ihrer Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Und Ihr neuester Axtschlag gegen die Bürgerrechte kommt aus dem Justizministerium, das ja eigentlich das Bollwerk für die Grundrechte sein sollte. Sie haben, Frau Ministerin Lambrecht, einen Referentenentwurf vorgelegt, die Vorstufe zum Gesetzentwurf, der sich – angeblich – gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus richtet. Natürlich brauchen wir einen entschiedenen Kampf gegen Hass und Neonazismus; die rechte Ecke in diesem Haus zeigt das jede Sitzungswoche erneut. Aber die Ursachen für Hass und Hetze von rechts spielen bei Ihrem Entwurf leider keine Rolle. Ihre einzige Antwort auf Hass und Hetze im Internet ist Bestrafen ohne Sinn und Verstand.

(Timon Gremmels [SPD]: Dann haben Sie eben nicht zugehört!)

So wollen Sie einen neuen Straftatbestand schaffen, nach dem sogar das Billigen von Straftaten strafbar ist, die noch gar nicht begangen wurden und vielleicht niemals begangen werden, wo also noch gar kein Rechtsgut bedroht ist. Das hat schon ein wenig was von „Minority Report“. Jedenfalls hat es mit seriösem Strafrecht nichts zu tun.

(Falko Mohrs [SPD]: Das ist doch völliger Blödsinn, Herr Kollege! Haben Sie das überhaupt gelesen? Meine Güte!)

Vor allem aber wollen Sie den Überwachungsstaat ausbauen. Sie wollen eine explizite Regelung schaffen, nach der Polizei, Geheimdienste und sogar städtische Ordnungsämter in Zukunft die Passwörter der Bürger herausverlangen können.

(Ulli Nissen [SPD]: Sie glauben doch selbst nicht, was Sie da sagen!)

Die Datenschutz-Grundverordnung verlangt – Sie hatten es gerade erwähnt –, dass Betreiber von Internetplattformen die Passwörter ihrer Nutzer verschlüsselt speichern müssen. Eine Herausgabepflicht läuft also ins Leere, und das ist auch gut so.

(Falko Mohrs [SPD]: Haben Sie eben zugehört, Herr Kollege, oder war das zu hoch?)

Angesichts dieser klaren Rechtslage fragt man sich schon, warum Sie diese sogenannte Präzisierung – eigentlich ist es ja eine Ausweitung – der bisherigen Herausgabepflicht für Passwörter vornehmen.

(Ulli Nissen [SPD]: Wäre gut gewesen, wenn Sie die Rede aktualisiert hätten!)

Wenn Sie wirklich irgendwann auf die Idee kommen sollten, Internetplattformen zu verpflichten, Passwörter auslesbar zu speichern, ergeben sich massive Gefahren für die digitale Sicherheit im Land.

(Dagmar Ziegler [SPD]: Macht ja auch keiner! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das will ja auch keiner!)

Jeder Angestellte einer Internetplattform könnte die E-Mails der Nutzer lesen, Kriminelle könnten sie leichter hacken. Wenn Sie es ernst meinen mit dem Thema „digitale Sicherheit“, Frau Lambrecht, dann schaffen Sie keine Unklarheiten und verzichten Sie auf eine Verschärfung der Herausgabepflicht für Passwörter.

Der Vorstoß von Ihnen geht aber noch weiter: Die Ermittlungsbehörden sollen laut Ihrem Entwurf sämtliche Bestands- und Verkehrsdaten der Nutzer von den Internetplattformen herausverlangen können. Es geht also nicht nur um Anruflisten oder darum, wer wem wann eine SMS gesendet hat – das wird ja bereits heute alles erfragt –; es geht darum, dass der Staat das gesamte Onlineverhalten eines Bürgers nachvollziehen kann: jede Suchanfrage bei Google, jedes abgespielte Video bei YouTube, jeder Ort an und jede Uhrzeit, wo sich eine Person jemals bei Facebook eingeloggt hat. All das und mehr wäre dann für staatliche Behörden auslesbar. Auch die Strafverfolgung rechtfertigt es nicht, den gläsernen Bürger zu schaffen, Frau Lambrecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wollen das sogar für Ordnungswidrigkeiten einführen. Taten auf dem Level des Falschparkens als Rechtfertigung dafür, das gesamte Onlineverhalten von Personen auszuforschen, das geht gar nicht, Frau Ministerin.

(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Ja, bei so einer schwachen Rede läuft Ihre eigene Fraktion weg!)

Dann wollen Sie noch eine Meldepflicht der Internetanbieter für Straftaten einführen. Diese soll sich auch auf einige Äußerungsdelikte beziehen. Wenn beispielsweise einer der Millionen Nutzer von Facebook meint, ein Kommentar sei strafbar, dann muss die Internetplattform, nach Ihrem Entwurf, das beim Bundeskriminalamt melden, und zwar mitsamt IP-Adresse und Portnummer des Nutzers. Gerade bei Äußerungen ist es häufig schwer bestimmbar, was strafbar ist und was nicht.

(Christine Lambrecht, Bundesministerin: Bei Mördern nicht!)

Dass bei einem Verdacht eines einzelnen Nutzers dann direkt alle Daten übertragen werden, geht sehr weit. Mit so einer Meldepflicht werden zudem massenweise Daten beim BKA gespeichert werden, und das kommt einer Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür gleich.

Frau Lambrecht, Ihr Entwurf ist ein sehr heftiger Eingriff in die Bürgerrechte in diesem Land. Wenn Sie es mit den Bürgerrechten ernst meinen, dann würden Sie diesen Referentenentwurf erst gar nicht hier im Bundestag einbringen.

In Richtung der SPD will ich sagen: Sie haben mit Saskia Esken gerade erst eine ausgewiesene Digitalexpertin als Parteivorsitzende gewählt.

(Lachen des Abg. Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/CSU])

Mit Ihrem Referentenentwurf, der ganz massiv in die Freiheit des Internets eingreift, beschädigen Sie auch Ihre neue Parteivorsitzende.

(Dr. Eva Högl [SPD]: Geht es auch eine Nummer kleiner?)

Ich kann Ihnen wirklich nur empfehlen: Seien Sie nicht für diesen Entwurf.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)