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Niedriglöhne bekämpfen - Gesetzlichen Mindestlohn einführen

Rede von Klaus Ernst,

In seiner Rede im Deutschen Bundestag rechnet Klaus Ernst ab: Die Regierungen Schröder und Merkel haben die Ausweitung von Niedriglöhnen massiv politisch vorangetrieben. Agenda 2010, Hartz IV, die Förderung von Leiharbeit und Minijobs - all das folgt dem Motto „Hauptsache Arbeit, egal wie schlecht die Bedingungen sind“.

Das inzwischen 1,37 Millionen Menschen durch ihre niedrigen Löhne zu Aufstockern gemacht werden und zum ersten Mal seit 1949 die Bruttolöhne in der Bundesrepublik sinken - all das sind Schlaglichter auf eine Politik der Lohnsenkung.

DIE LINKE fordert in ihrem Antrag einen gesetzlichen Mindestlohn, der im Laufe der nächsten Jahre auf 10 Euro ansteigt.

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Guten Morgen, Herr Kolb. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Wiederholt diskutieren wir hier im Deutschen Bundestag über den Mindestlohn. Zuerst zu den Fakten: In der feinkeramischen Industrie liegen die Tariflöhne zurzeit bei 8,95 Euro, in der Kunststoffindustrie bei 8,18 Euro, im Einzelhandel in NRW bei 7,73 Euro, in der Steine-und-Erden-Industrie in Thüringen jetzt kommen wir weiter nach unten bei 6,83 Euro, im Bewachungsgewerbe in Berlin bei 5,50 Euro und im Friseurhandwerk in Sachsen bei 3,06 Euro.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Das ist unglaublich!)

Das ist die Realität. Daran wird deutlich, wie sich Leistung in diesem Lande lohnt. Ich kann Ihnen sagen - Sie von der FDP wissen das wohl am besten - : Für dieses Geld würden Sie morgens nicht einmal Ihr Augenlid heben.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, der Niedriglohnsektor in unserem Land hat inzwischen Ausmaße angenommen, die unerträglich sind. 1,2 Millionen Menschen, 4 Prozent der Beschäftigten, arbeiten für Löhne unter 5 Euro, für Löhne unter 6 Euro arbeiten 2,2 Millionen Menschen, für Löhne unter 7 Euro arbeiten 3,7 Millionen Menschen, und für Löhne unter 8 Euro arbeiten 5,1 Millionen Menschen.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Eine Sauerei!)

Man kann natürlich sagen: Das hat sich zufällig so entwickelt. Dem ist aber nicht so. Ich erinnere an das, was unser Exkanzler Schröder gesagt hat.

(Uwe Schummer (CDU/CSU): Wie bitte? Euer Exkanzler?)

Er hat im Februar 1999, kurz nach seinem Amtsantritt, verkündet - ich zitiere wörtlich - : ”Wir müssen einen Niedriglohnsektor schaffen …”

Im Jahr 2005 hat er in Davos gesagt - Zitat - : ”Wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.”

Das stimmt.

(Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur zur Erinnerung, Herr Ernst: Im Moment regiert Schwarz-Gelb! Rot-Grün ist schon lange vorbei! Sagen Sie mal etwas zur aktuellen Regierung!)

Die Politik von Rot-Grün hat tatsächlich zu einer Ausweitung des Niedriglohnsektors geführt; das hängt auch mit den Hartz-Gesetzen zusammen.

(Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch totaler Schmarren! Wer ist denn an der Regierung? Schwarz-Gelb!)

Heute hat der Niedriglohnsektor im Vergleich zu 1995 ein deutlich größeres Ausmaß. Im Jahre 1995 waren 29,3 Prozent der unter 25-Jährigen im Niedriglohnbereich beschäftigt. Inzwischen sind 46,9 Prozent der unter 25-Jährigen, also fast die Hälfte, im Niedriglohnbereich beschäftigt.

(Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Opposition richtet sich gegen die Regierung, Herr Ernst, und zwar gegen die aktuelle Regierung und nicht gegen die von vor zehn Jahren! Warum reden Sie denn die ganze Zeit von Rot-Grün?)

- Ich weiß gar nicht, warum Sie so brüllen. Wir sind doch nicht im Bierzelt!

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP))

Meine Damen und Herren, Leistung soll sich lohnen. Ich frage mich nur: Für wen? Geht es Ihnen um die Leistung der Erben, die Sie durch Ihre Gesetze vor einer besonderen Steuer bewahren wollen, geht es Ihnen um die Leistung der Hoteliers, die Sie bei der Mehrwertsteuer um die Hälfte entlasten,

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die Leute in der Hotellerie und der Gastronomie müssen doch auch ihr Geld verdienen!)

oder geht es Ihnen um die Leistung der Steuerhinterzieher, Herr Kolb? Schließlich bemüht sich die FDP ja ganz besonders, dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Daten nicht in den Besitz des Staates gelangen.

Herr Kolb, ich sage Ihnen das ist das Traurige an dieser ganzen Angelegenheit - : Ihr Chef, Herr Westerwelle, kann nicht rechnen. In der Welt vom 11. Februar dieses Jahres hat er geschrieben - ich zitiere - : ”Wer kellnert, verheiratet ist und zwei Kinder hat, bekommt im Schnitt 109 Euro weniger im Monat, als wenn er oder sie Hartz IV bezöge.”

Mittlerweile liegen entsprechende Berechnungen vor. Dankenswerterweise hat auch das Bundesarbeitsministerium gerechnet. Es kam zu dem Ergebnis, dass jemand, der arbeitet, immer mehr Geld bekommt als jemand, der nicht arbeitet. Herr Westerwelle hat also, was den Grundtenor der Aussage angeht, nicht die Wahrheit gesagt.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Richtig!)

Herr Kolb, wenn man ausrechnet, wie viel die Kellnerin aus dem genannten Beispiel wirklich bekommt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass sie, wenn sie arbeitet, 345 Euro mehr bekommt, als wenn sie nicht arbeitet. Zwischen Wahrheit und Realität liegen bei Herrn Westerwelle also insgesamt 454 Euro.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kolb, angesichts dieser Rechenkunststücke kann die Bundesrepublik Deutschland von Glück sagen, dass Herr Westerwelle Außenminister und nicht Finanzminister ist.

(Beifall bei der LINKEN - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na ja! Überlegen Sie lieber noch mal!)

Wäre er in Geografie genauso schlecht wie in Mathematik und würde er bei seinen Auslandsreisen selbst fliegen, dann käme er in Uganda an, wenn er in New York landen will.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Das ist das Problem, wenn Sie rechnen. Das Ziel, das Sie mit dieser Debatte verbinden, ist natürlich ein anderes. Ihr Ziel ist, diejenigen, die arbeiten, gegen diejenigen auszuspielen, die nicht arbeiten. Sie sausen durch die Gegend und verkünden Parolen, die die Menschen diskriminieren.

Meine Damen und Herren, was macht die Bundesregierung? Die Bundesregierung fabuliert in ihrer Koalitionsvereinbarung davon, dass sie sittenwidrige Löhne abschaffen will. Anders formuliert: Sie will zunächst sittenwidrige Löhne einführen, um letztlich eine Untergrenze beim Lohn einziehen zu können. Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, was es real bedeuten würde, wenn sittenwidrige Löhne gezahlt würden.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Wir wollen doch keine sittenwidrigen Löhne, Herr Ernst! So ein Quatsch! Wir wollen sie verhindern!)

- Ach, Herr Weiß, wenn Sie es wenigstens wüssten; aber Sie wissen es nicht, Sie heißen nur so.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Herr Weiß, das Problem ist folgendes: Wenn eine Friseurin oder ein Friseur jetzt 3 Euro verdient und die Grenze für sittenwidrige Löhne bei 30 Prozent unterhalb des bezahlten Branchenlohns läge, dann dürfte diese Friseurin oder dieser Friseur künftig 2 Euro verdienen. Das ist Ihre Untergrenze.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Wo steht das?)

Das, was Sie machen, ist eine staatliche Aufforderung zum Lohndumping. Das geht nicht, Herr Weiß; das sage ich in aller Klarheit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Ihre Vorschläge gehen eindeutig ins Leere. Im Übrigen bringen Sie immer das Argument, dass mit der Einführung des Mindestlohns Arbeitsplätze abgebaut würden. Wir haben folgende Situation: Die Arbeitslosenquote bei Geringqualifizierten liegt in den Niederlanden, wo es einen Mindestlohn gibt, bei 4,8 Prozent, in, ebenfalls mit Mindestlohn, bei 5,7 Prozent, in Schweden - ebenfalls mit Mindestlohn; dort ist er tariflich - bei 7,3 Prozent und selbst in den USA, wo es einen Mindestlohn gibt, bei 8,3 Prozent. Bei uns in Deutschland beträgt die Arbeitslosenquote bei Geringqualifizierten ohne Mindestlohn 19,9 Prozent. Ich weiß nicht, woher Sie die Weisheit haben, Herr Weiß, zu sagen, dass die Einführung des Mindestlohns zu einem Mehr an Arbeitslosigkeit in diesem Bereich führte.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Habe ich doch nicht gesagt!)

Das ist durch keine Studie belegt. Jede Studie sagt Ihnen etwas anderes.

(Beifall bei der LINKEN Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Ich weiß gar nicht, wen Sie anreden, Herr Ernst!)

Deshalb halten wir es nach wie vor für dringend notwendig, dass eine Untergrenze des Lohnes eingeführt wird. Wir sagen in dieser Legislaturperiode: 10 Euro. Wir sehen, dass es in anderen Ländern, die nicht nur über eine Forderung diskutieren, real existierende Mindestlöhne gibt, die nah an unsere Forderung herankommen. Vielleicht nehmen Sie einmal zur Kenntnis, dass in Luxemburg der Mindestlohn zurzeit 9,73 Euro beträgt, in Frankreich 8,86 Euro - er ist übrigens 2010 um 1,7 Prozent erhöht worden, in Luxemburg um 2,5 Prozent -, in Irland 8,65 Euro, in den Niederlanden 8,64 Euro, in Belgien 8,41 Euro. Ich weiß nicht, warum Sie von der CSU, von der CDU und von der FDP eigentlich glauben, dies ganz anders machen zu können, als es in anderen Ländern in Europa der Fall ist, zumal wir gleichzeitig wissen, dass wir inzwischen Geschäftsmodelle wie bei der Pin AG finanzieren, Herr Weiß,

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Richtig!)

die darauf hinauslaufen, dass der Steuerzahler die Löhne für eine ganze Branche finanzieren soll, weil die Löhne in der jeweiligen Branche durch das Nichtvorhandensein von Mindestlöhnen immer weiter nach unten abrutschen. Das Urteil in Sachen Pin AG hat sofort dazu geführt, dass die Löhne abgesenkt wurden.

Letztendlich wird das Nichtvorhandensein eines Mindestlohns in der gesamten Wirtschaft, auch in den Branchen, in denen es momentan noch Tarifverträge gibt, dazu führen, dass der Lohn real abgesenkt wird. Dies kann nicht unser Ziel sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sind als Regierung nicht auf so etwas vereidigt. Von der Regierung sind heute ja nicht viele da; offensichtlich interessiert dieses Thema nicht sehr viele in der Bundesregierung. Aber das verstehe ich auch: Deren Löhne sind ja deutlich über dem Mindestlohn.

(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Ihrer auch!)

Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren: Wenn wir uns dieses Problems nicht annehmen und nicht dazu kommen, eine Grenze einzuziehen, dann wird das dazu führen, dass sich die Menschen zunehmend fragen, in welchem Interesse dieser Bundestag eigentlich Politik macht: im Interesse derer, die von niedrigen Löhnen profitieren, oder im Interesse der Menschen, die einen Mindestlohn brauchen.

Ich danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der LINKEN)