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Nicole Gohlke: Befristungsunwesen in der Wissenschaft endlich beenden!

Rede von Nicole Gohlke,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzten Monat postete eine junge Berliner Nachwuchswissenschaftlerin auf Facebook, sie habe innerhalb der letzten vier Jahre an ein und derselben Hochschule, das heißt bei ein und demselben Arbeitgeber, zehn verschiedene Arbeitsverträge gehabt. Ich halte das für einen riesigen Skandal.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es ist skandalös, dass das offenbar immer noch möglich ist, obwohl sich die Bundesregierung letztes Jahr endlich dazu durchgerungen hat, das Sonderbefristungsrecht in der Wissenschaft zu reformieren.

Dadurch, dass so etwas heute immer noch möglich ist, werden zwei Dinge deutlich: einmal, dass die Große Koalition bei der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes nicht gut genug gearbeitet hat, und zweitens, dass es die Große Koalition nicht hinkriegt, Rahmenbedingungen für stabile Beschäftigungsverhältnisse und planbare Karrierewege in der Wissenschaft zu schaffen; denn sie weigert sich, Schritte in Richtung einer soliden Grundfinanzierung zu gehen. Das muss aber endlich passieren. Deswegen hat die Linke heute diesen Antrag vorgelegt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als Hauptproblem kristallisieren sich die schwammigen Formulierungen im überarbeiteten Wissenschaftszeitvertragsgesetz heraus. Jetzt ist zwar endlich festgelegt worden, dass die Befristung von Arbeitsverträgen nur zum Zwecke der eigenen Qualifizierung zulässig ist, gleichzeitig hat sich die Koalition aber geweigert, eindeutig zu definieren, was Qualifizierung eigentlich bedeutet. Das hat sie sogar in die Hände der Arbeitgeber gelegt, die das natürlich in ihrem Sinne nutzen. Das war ja klar.

Der zuständige Arbeitskreis der Universitätskanzler zum Beispiel interpretiert die neuen Regelungen jetzt folgendermaßen: Jede Tätigkeit im Wissenschaftsbetrieb fördere ja die wissenschaftliche Qualifizierung der Beschäftigten und reiche daher aus, um eine Befristung zu rechtfertigen. – Die TU Berlin war auch sehr kreativ. Für sie gilt zum Beispiel der Kompetenzerwerb beim Verfassen von Drittmittelanträgen auch als wissenschaftliche Qualifizierung. Das ist doch einfach absurd. Hier muss dringend nachgebessert werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Schreiben Sie mal einen Drittmittelantrag! Das werden Sie gar nicht hinkriegen!)

Das nächste Problemfeld ist die familienpolitische Komponente. Auch hier überlässt es die Große Koalition dem Ermessen der Arbeitgeber, ob Arbeitsverträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verlängert werden, wenn sie Kinder betreuen. Auch das hat die Große Koalition ganz bewusst in Kauf genommen. Das geht aber zulasten von Familien, besonders zulasten von Frauen. Auch das gehört schnellstens korrigiert.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch vom wissenschaftsunterstützenden Personal in Verwaltung und Technik – dieses ist aus dem Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes herausgenommen – wird uns berichtet, dass sich für viele die Situation kaum verbessert hat. Manche der Kolleginnen und Kollegen werden jetzt nach Ablauf der maximalen Befristungsdauer einfach gar nicht weiterbeschäftigt und verlieren ihren Arbeitsplatz. Das hat auch etwas damit zu tun, dass gerade die Hochschulen zur Einrichtung von Dauerstellen keine oder nur geringe finanzielle Spielräume sehen.

(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Weil Sie so industriefeindlich sind, Frau Kollegin! Das liegt an Ihnen!)

Sie dürfen dauerhafte Planstellen zum Beispiel gar nicht aus Projektmitteln des Bundes finanzieren. Es ist ein Problem, wenn sich die laufenden Grundmittel der Hochschulen von der Jahrtausendwende bis 2014 trotz steigender Studierendenzahlen nur um die Hälfte erhöht haben, während die Drittmittel im selben Zeitraum um 150 Prozent gestiegen sind; denn Drittmittel sind das Gegenteil von Planungssicherheit.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Mit Planungssicherheit und Planwirtschaft kennen Sie sich ja aus!)

Die Wahrheit ist: Die Situation der Wissenschaft und der Beschäftigten bleibt prekär, solange die Bundesregierung nicht endlich eine Kehrtwende in der Wissenschaftsfinanzierung einleitet. Dafür wäre es allerhöchste Zeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das liegt im Zuständigkeitsbereich der Länder, Frau Kollegin!)

Für uns Linke ist klar: Wir wollen gute Arbeit, auch in der Wissenschaft. Die Einrichtungen und die Beschäftigten brauchen endlich Verlässlichkeit und Planungssicherheit, und zwar nicht nur für Prestigeprojekte wie Ihre Exzellenzinitiative. Also: Verstetigen Sie den Hochschulpakt, und sagen Sie endlich, wie es mit dem Hochschulbau weitergehen soll! Das sind Sie den Beschäftigten schuldig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)