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Nicole Gohlke: BAföG endlich an die Lebenswirklichkeit anpassen!

Rede von Nicole Gohlke,

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute zwei gute Gründe, über das BAföG und vor allem über seine Weiterentwicklung zu diskutieren.

Zum einen feiert das BAföG in diesem Jahr seinen 45. Geburtstag – 1971 wurde es von der Regierung Brandt auf den Weg gebracht –, und das sollte für uns alle Anlass sein, um über dieses sehr gute Instrument für Bildungsgerechtigkeit und sozialen Ausgleich nachzudenken.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

– Genau, da kann man klatschen; Sie von der CDU/CSU eigentlich auch.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Aber der Antrag ist kein Grund zum Klatschen!)

Der zweite Grund, warum die Linke heute diesen Antrag in den Bundestag einbringt, ist, dass wir leider ganz und gar nicht zufrieden sein können mit dem aktuellen Zustand des BAföG

(Beifall bei der LINKEN)

und schon gar nicht damit, wie die Große Koalition das Thema BAföG abhandelt; sie meint, es jetzt für den Rest der Wahlperiode außen vor lassen zu können.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Zu früh geklatscht!)

Das wird weder den Studierenden heute noch dem ursprünglichen Anspruch des BAföG gerecht. Das muss dringend korrigiert werden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Linke fordert, das BAföG endlich an die Lebensrealität anzupassen. Wir möchten eine substanzielle BAföG-Erhöhung, eine Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge um 10 Prozent anstelle der 7 Prozent, um so mehr junge Menschen zu erreichen,

(Martin Rabanus [SPD]: Irgendwas ist mir entgangen!)

um mehr Menschen aus finanziell schwachen Familien an die Hochschule zu bringen und um das BAföG vor allem so auszugestalten, dass man davon wirklich leben und studieren kann.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wie viel wollen Sie den haben? – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie doch gerade gesagt!)

Stattdessen erleben wir aber seit einigen Jahren – das muss man tatsächlich so dramatisch ausdrücken – das langsame Verkümmernlassen des BAföG;

(Martin Rabanus [SPD]: Ach du liebe Güte!)

denn zum Ersten erreicht das BAföG heute zu wenige – legt man den Monatsdurchschnitt zugrunde, dann stellt man fest, dass im letzten Jahr gerade noch 15 Prozent der Studierenden überhaupt durch das BAföG gefördert wurden –, und zum Zweiten ist das BAföG heute weit davon entfernt, bedarfsdeckend zu sein. Wenn man alle Leistungen zusammenrechnet, liegt es deutlich unter den aktuellen Hartz-IV-Bezügen. Angesichts solcher Zahlen ist es ziemlich unangebracht, wenn die Union die letzte BAföG-Reform als – ich glaube, ich zitiere den Kollegen Rupprecht – „größte BAföG-Reform aller Zeiten“ bezeichnet. Das ist nicht nur eine ziemliche sprachliche Verirrung, wenn ich Sie darauf hinweisen darf, sondern zeigt auch eine gehörige Portion Realitätsverweigerung.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, wofür Sie sich hier selbst loben, das, was Sie als großen Wurf bezeichnen, basiert auf dem jahrelangen Unterlassen von Reformen. Es basiert darauf, dass das BAföG seit Jahren entsetzlich unterdimensioniert ist, und dafür sind Sie verantwortlich. Über Jahre hinweg haben die BAföG-Erhöhungen noch nicht einmal die inflationsbedingte Preisentwicklung ausgeglichen. Über Jahre hinweg sind über die nicht erfolgte Anpassung der Freibeträge Zehntausende aus der Förderung herausgefallen. Angesichts dieser Situation bleibt von Ihrem Eigenlob nicht sehr viel mehr übrig als Augenwischerei.

(Beifall bei der LINKEN)

Fakt ist auch: Die Große Koalition hat viele der strukturellen Fragen im BAföG wieder nicht angefasst:

Wieder ist Ihnen nicht eingefallen, endlich das Verschuldungsrisiko für junge Menschen, also den Darlehensteil, abzuschaffen, obwohl Sie selber ganz genau wissen, dass sehr viele der Hochschulabsolventinnen und -absolventen mit Schulden aus der Studienfinanzierung ins Berufsleben starten müssen.

Wieder haben Sie es versäumt, die Altersgrenzen im BAföG aufzuheben und es endlich an die Realität der Bildungsbiografien von heute anzupassen.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Genau! Für Oma und Opa! BAföG für Rentner!)

– Ja, heutzutage ist es eben so, dass ein Masterstudium auch mit über 35 Jahren begonnen wird.

Wieder haben Sie es unterlassen, das BAföG mit einer automatischen Anpassung an die Entwicklung der Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten zu versehen, um den Studierenden endlich die jahrelangen Hängepartien um BAföG-Erhöhungen zu ersparen, und das beim BAföG fairerweise so zu gestalten wie bei den Diäten von uns Bundestagsabgeordneten. Die steigen nämlich schon automatisch.

Immer noch müssen Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis und geduldete Geflüchtete über ein Jahr, nämlich ganze 15 Monate, warten, bis sie überhaupt BAföG beziehen können.

Wieder haben Sie die Wohnkostenpauschale nicht so gestaltet, dass man als Student oder Studentin davon tatsächlich ein WG-Zimmer bezahlen kann. Erst Ende September wurden die neuen Zahlen veröffentlicht. Mittlerweile kostet ein WG-Zimmer im Schnitt 349 Euro. Das sind 100 Euro mehr als die Wohnkostenpauschale, die das BAföG vorsieht, und zwar nach der letzten Erhöhung; da rede ich noch gar nicht von der Miete in Städten wie in meiner Heimatstadt München.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Kommen Sie mal in den Osten! Da ist es günstiger! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hilft auch die Mietpreisbremse nicht!)

Ich muss auch kein Rechenkünstler sein, um zu sehen, dass diese Regierung hier zu wenig tut.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, was Sie mit Ihrer Reform wirklich machen – Erhöhung der Sätze um 7 Prozent –, das verzögern Sie auch noch um zwei Jahre. Mit dem verzögerten Inkrafttreten nehmen Sie in Kauf, dass Zehntausende junge Menschen erst einmal aus der Förderung herausfallen, und Sie nehmen in Kauf, dass die Erhöhung mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten wieder nicht Schritt hält. Deswegen sagen wir als Linke: Das hier ist nicht die größte Reform aller Zeiten; das hier ist vor allem eine ziemlich große Verschleppung.

Tun Sie den Studierenden und der Idee des BAföG etwas Gutes, erhöhen Sie jetzt die Bedarfssätze und Freibeträge um 10 Prozent, und passen Sie die Wohnkostenpauschale an die tatsächlichen Mietpreise an. Das ist dann zwar noch nicht die Strukturreform, die wir brauchen, aber das wäre ein erster Schritt und ein Zeichen, dass Sie das BAföG wirklich wieder zu einem Instrument der Bildungsgerechtigkeit machen wollen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)