Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich will bei dem ansetzen, was der Herr Montag zu Recht gesagt hat: Wir reden hier über die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage.
(Jörg van Essen (FDP): Ja, klar!)
Damit ist gemeint, dass erst einmal die Kommunikationsdaten aller Handybesitzer, die sich in einer Funkzelle befinden, miterfasst werden,
(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Falsch!)
weil vermutet wird: In dieser Funkzelle findet eine Straftat statt.
(Jörg van Essen (FDP): Etwa ein Mord!)
Das heißt, es findet nichts anderes statt, als dass die Ermittlungsbehörden die Kommunikationsdaten rechtschaffener Bürgerinnen und Bürger erfassen, obwohl sie überhaupt keinen Anlass zur Erfassung gegeben haben.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Wawzyniak, gestatten Sie eine Bemerkung oder Frage des Kollegen Sensburg?
Halina Wawzyniak (DIE LINKE):
Ja, wenn es sein muss.
Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU):
Frau Kollegin Wawzyniak, Sie reden von Kommunikationsdaten. Ist Ihnen bekannt, dass es um die Verkehrsdaten geht, dass es nicht darum geht, dass Gespräche aufgezeichnet werden, und dass es auch nicht um die Namen der Anschlussinhaber geht?
(Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Falsch!)
Halina Wawzyniak (DIE LINKE):
Herr Kollege Sensburg, im weiteren Teil der Rede werde ich Ihnen den Unterschied zwischen Bestandsdaten und Verkehrsdaten noch erklären.
(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Danke für die Antwort!)
Der Unterschied ist folgender: Bei der individualisierten Funkzellenabfrage genau geschaut wird, ob sich in einer Funkzelle ein bestimmtes Handy befindet. Die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage bedeutete praktisch - jetzt komme ich dazu; hören Sie zu, Herr Sensburg -, dass zum Beispiel 2011 bei den Protesten gegen den Naziaufmarsch in Dresden: 900 000 Verkehrsdaten ermittelt wurden. Das heißt Rufnummer, Kartennummer und im Übrigen Beginn und Ende der Kommunikation.
(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Das habe ich doch gesagt!)
Daraus wurden dann 257 000 Rufnummern ermittelt und daraus wiederum 40 000 Bestandsdaten. Das sind dann Namen und Adressen. 40 000 Bestandsdaten, Namen und Adressen, bei einem Protest gegen einen Naziaufmarsch! Es tut mir leid, aber Ermutigung zu zivilem Ungehorsam sieht anders aus.
(Beifall bei der LINKEN)
Dresden ist kein Einzelfall. Wir haben das auch in Berlin erlebt. Zwischen 2009 und 2011 sind nach Informationen von netzpolitik.org 800 Funkzellenabfragen durchgeführt worden und dabei 8 Millionen Verkehrsdaten erhoben worden.
Nun haben wir unterschiedliche Positionen. Die einen sagen: Das ist alles ganz knorke und prima mit der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage. Die anderen sagen: Wir müssen das grundgesetzkonform ausgestalten. Wir sagen: Die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage soll abgeschafft werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Warum? Es gibt das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dieses Recht darf eben nur eingeschränkt werden, wenn die Rechte anderer verletzt oder gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder gegen das Sittengesetz verstoßen wird. Aus diesem Grundrecht leitet sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ab, nämlich das Recht, selbst zu entscheiden, welche Daten ich preisgebe. Unstreitig ist, dass die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage in das Fernmeldegeheimnis eingreift.
Nun wissen wir vermutlich alle, dass Eingriffe in die Grundrechte geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen. Das Beispiel Dresden und das Beispiel Berlin zeigen in diesen beiden Fällen überhaupt kein Ermittlungsergebnis. In der Anhörung wurde gesagt - Sie haben das noch einmal bestätigt -: Das ist ein Ansatz, um weiter zu ermitteln.
Insofern sagen wir: Bei der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage bestehen schon Zweifel, ob sie geeignet ist. Noch mehr Zweifel bestehen, ob sie erforderlich ist. In keinem Fall ist sie angemessen. Ich wiederhole: Es ist ein verdachtsloser Zugriff auf Daten unbescholtener Bürgerinnen und Bürger. Deren Kommunikationsumstände werden erfasst, obwohl sie überhaupt keinen Anhaltspunkt für eine Straftat gegeben haben.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Im Übrigen erfahren die Bürgerinnen und Bürger, zumindest bei der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage, nichts von dieser Maßnahme. Es gibt keine Rechtsschutzmöglichkeit. Sie selbst wissen, wie das in Dresden war. Quasi wie am Fließband wurden die Genehmigungen für diese Maßnahme unterschrieben.
Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Dieser Eingriff in die Rechte von Bürgerinnen und Bürger ist für uns nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas zur Frage der Kriminalitätsbekämpfung. Ich habe ganz bewusst nicht über die individualisierte Funkzellenabfrage gesprochen. Selbstverständlich - das wurde in der Anhörung auch gesagt - wird ein Krimineller mittlerweile überlegen, ob er ein normales Handy oder lieber eines mit Prepaidkarte mitnimmt etc. pp.
Ich will mit einem Zitat aus dem Jahr 1983 enden:
Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.
Das ist ein Zitat aus dem Volkszählungsurteil.
Wir als Linke wollen die Selbstbestimmung der Menschen und mündige Bürgerinnen und Bürger. Weil wir das wollen, lehnen wir die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage ab
.
(Beifall bei der LINKEN)