Anlässlich der Beratung eines Antrages der Grünen „Für eine anspruchsvolle und umfassende EU-Nachhaltigkeitsstrategie“ (DS 16/1437) wies Lutz Heilmann in seiner Rede darauf hin, dass es um die Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland wesentlich schlechter bestellt sei, als in der EU. Konkrete Ziele wie im Schienenverkehr wurden in Deutschland aufgegeben und nachhaltige Entwicklung wird durch das Ziel Wirtschaftswachstums ersetzt - zu Lasten sozialer Gerechtigkeit und der Umwelt. Die Rede wurde zu Protokoll gegeben.
Herr Präsident, Frau Präsidentin, Werte Kolleginnen und Kollegen, ich stimme den Grünen zu, dass es eine umfassende und anspruchsvolle EU-Nachhaltigkeitsstrategie geben sollte. Ihr Antrag leistet dazu aber keinen ausreichenden Beitrag. Außerdem: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen! Denn bei aller berechtigten Kritik an dem Aktionsprogramm der EU unterschlagen Sie völlig, dass es um die Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland noch schlechter bestellt ist. Die Vorreiterrolle, die Sie Deutschland in Ihrem Antrag indirekt zuschreiben, ist leider nicht gegeben. Ihre Forderungen sind außerdem nicht ausreichend und, was schwerer wiegt, auch nicht ausgewogen. Richtig ist, dass die EU hinter ihren ursprünglichen Zielen zurückbleibt. Richtig ist auch, dass im Aktionsplan viele Maßnahmen aufgelistet sind, die nicht aus den Anforderungen an eine nachhaltige Entwicklung abgeleitet wurden. Beides trifft genauso für die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung zu. Ein Beispiel: In der Nachhaltigkeitsstrategie wurde das Ziel festgelegt, den Güterverkehr auf der Schiene von 1997 bis 2015 zu verdoppeln. Dieses Ziel wurde in keinster Weise unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit entwickelt, sondern aus den Verkehrsprognosen zum Bundesverkehrswegeplan übernommen. Und nachdem die Bundesregierung in ihrem Fortschrittsbericht von 2004 noch ein Bekenntnis dazu abgelegt hat, heißt es im „Wegweiser Nachhaltigkeit 2005“ nur noch, dass „die Schiene am steigenden Güterverkehr einen wachsenden Anteil übernehmen muss“. Dass Ziel der Verdopplung des Schienengüterverkehrs bis 2015 hat die Bundesregierung also aufgegeben - all dies übrigens unter grüner Regierungsbeteiligung. Aber die alte Bundesregierung hatte sich anscheinend vom Ziel einer nachhaltigen Entwicklung verabschiedet. So heißt der erste Punkt der Bilanz im Wegweiser Nachhaltigkeit 2005 nachhaltiges Wachstum. Dieses kann man aber nicht mit nachhaltiger Entwicklung gleichsetzen. Durch die einseitige Ausrichtung an Wachstum werden zwangsläufig die beiden anderen Säulen Umwelt und Soziales vernachlässigt. Die diskutierte Nachhaltigkeitsstrategie der EU ist der der Bundesregierung deshalb voraus. Sie hält erstens an nachhaltiger Entwicklung fest. Zweitens hat die Kommission eindeutig bekannt, dass sie die angestrebten Ziele bislang verfehlt hat. Eine solch schonungslose Bilanz wünsche ich mir auch in Deutschland. Denn die Entwicklungen bei uns sind ebenfalls nicht nachhaltig: Die soziale Ungleichheit nimmt zu und die Umwelt kommt buchstäblich unter die Räder. Es ist doch so, dass alle Anstöße im Umweltschutz in den letzten Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, aus der EU kamen. Wie wäre es denn um den Umweltschutz bei uns bestellt, wenn es keine Vogelschutz- und FFH-Richtlinie gäbe, wenn es keine Wasserrahmenrichtlinie, keine EU-Abgasnormen und keine Luftreinhalterichtlinien gäbe? Schlecht, ganz ganz schlecht sähe es dann aus. Gerade anlässlich der Föderalismusreform mit der weitgehenden Übertragung von Kompetenzen auf die Länder sind die EU-Richtlinien doch der einzige Hoffnungsschimmer, dass der Abbau von Umweltstandards keine katastrophalen Ausmaße annehmen kann. Im Wegweiser Nachhaltigkeit wird zudem ein Bekenntnis zur Agenda 2010 abgelegt. Ich möchte nicht die gesamte Kritik an dieser Agenda für Sozialabbau wiederholen. Ein Mehr an sozialer Ungerechtigkeit aber - und das ist die Bilanz nach sieben Jahren rot-grün - ist eindeutig nicht nachhaltig. Nachhaltige Entwicklung zeichnet sich dadurch aus, dass eine Abwägung zwischen den drei Säulen Wirtschaft, Soziales und Ökologie stattfindet. Wenn nun einseitig eine Säule belastet wird - nämlich die Soziale, ist das nicht nachhaltig. Noch einmal zurück zum Antrag der Grünen: Neben vielem, dem wir in dem Antrag zustimmen können, gibt es auch Punkte, die wir so nicht teilen. Problemtisch wird es dort, wo Sie wichtige Aspekte ausblenden und sogar hinter dem Aktionsprogramm der EU zurückbleiben. So sehen Sie den Schwerpunktbereich „Soziale Ausgrenzung“ aus wirtschaftlicher Perspektive - und vor allem einseitiger als die Kommission. Während Sie nur den Zugang zum Arbeitsmarkt und Bildungswesen verbessern wollen, sieht die EU Handlungsbedarf auch beim Zugang zu Wohnung, Mobilität und Kommunikation. Zudem gehen Sie mit keinem Wort darauf ein, dass die Kommission ein Europäisches Jahr des Kampfes gegen Armut und soziale Ausgrenzung anregen will - dieses Thema liegt Ihnen wohl nicht besonders am Herzen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Nicht nur die EU, auch Deutschland braucht eine anspruchsvolle Nachhaltigkeitsstrategie
Rede
von
Lutz Heilmann,