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Neustart für eine gesamteuropäische Sicherheit von Lissabon bis Wladiwostok

Rede von Alexander S. Neu,

Sehr geehrte Damen und Herren!

Sehr geehrter Herr Hardt, ein bisschen zu Ihrer Märchenstunde: Der russische Militärhaushalt beträgt 9 Prozent des NATO-Haushalts. Oder umgekehrt: Der NATO-Haushalt ist elfmal so groß wie der russische Militärhaushalt. Welches Schreckgespenst wollen Sie hier aufbauen? Hören Sie mit Ihrer Märchenstunde auf!

(Beifall bei der LINKEN - Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Können die etwa nicht rechnen, oder was?)

Aber kommen wir zum eigentlichen Thema. Die Übernahme des OSZE-Vorsitzes durch die Bundesrepublik Deutschland Anfang 2016 könnte die Chance für einen Neustart für die OSZE und für die europäische Sicherheit eröffnen. Könnte!

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Der Antrag der Regierungsfraktionen hätte eine Grundlage dafür sein können. Hätte! Er ist es aber nicht. Im Forderungsteil heißt es zum Beispiel - ich zitiere -:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf ... weiterhin

- ich unterstreiche: „weiterhin“ -

für einen gemeinsamen Sicherheitsraum zwischen Vancouver und Wladiwostok einzutreten ...

Diese Aussage ist doppelt realitätsverdrehend:

Wieso denn „weiterhin“? Dies unterstellt eine falsche Vergangenheit. Weder die NATO noch - erst recht nicht - die NATO-Osterweiterung oder die EU-Osterweiterung haben in irgendeiner Weise einen gemeinsamen Sicherheitsraum in Europa geschaffen.

Wieso „weiterhin“? Das unterstellt ein konstruktives Vorhaben für die Zukunft. Das wird aus dem Antrag der Regierungsfraktionen aber nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Im Feststellungsteil heißt es:

Die grundlegenden Elemente der europäischen Sicherheitsarchitektur, wie sie sich nach dem Ende des Kalten Krieges entwickelt haben, stehen hier in keiner Weise zur Disposition.

Das heißt im Klartext: Weiter so wie bisher! NATO- und EU-Osterweiterung, sprich: weiter die Teilung Europas, wir gegen Russland.

(Lachen des Abg. Niels Annen (SPD))

Dieses Weiter-so sieht man auch an der völkerrechtlichen Argumentation in Ihrem Antrag; Herr Steinmeier hat sie ja gerade mit Blick auf die Ukraine und Russland noch einmal unterstrichen. Es ist schon amüsant, wie blind man in der Bundesregierung doch gegenüber den eigenen völkerrechtlichen Verbrechen ist, die man in den 90er-Jahren - bis heute - gegenüber Jugoslawien und dem Nachfolgestaat Serbien begangen hat. Bis heute! Übrigens: Auch Jugoslawien war ein Gründerstaat der KSZE. Aber das hat die anderen Gründerstaaten im Westen nicht daran gehindert, diesen Staat zu zerschlagen.

Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt, grob gesagt, drei sicherheitspolitische Konzeptionen:

Die erste und leider auch vorherrschende ist: europäische Sicherheit ohne oder gegen Russland. Sie wird vor allem von den USA und einigen osteuropäischen Staaten - nicht allen, aber einigen osteuropäischen Staaten - favorisiert.

Die zweite Konzeption lautet: europäische Sicherheit nicht gegen Russland, sondern besser mit Russland. Hier gibt es eine diskursive Annährung, auch in Deutschland. Jedoch hat das bislang noch keine praktische politische Relevanz. Deutschland, Frankreich, Ungarn und die Slowakei sind da zu nennen. Aber der Antrag, den Sie uns vorgelegt haben, fällt weit dahinter zurück.

Es gibt auch einen dritten Ansatz - den sollten vor allem die Damen und Herren von der CDU/CSU und der SPD nicht übersehen -, nämlich europäische Sicherheit mit Russland, aber ohne die USA,

(Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh ja! Das ist ja euer Kernstück! - Jürgen Hardt (CDU/CSU): Das ist ja eine wirklich verlockende Konzeption!)

falls die USA weiterhin einen gesamteuropäischen Sicherheitsprozess mit Russland torpedieren. Es gibt eine wachsende Zustimmung in der deutschen Bevölkerung für genau diesen Ansatz.

Kurzum: Was bisher als Sicherheit und Frieden von Vancouver bis Wladiwostok formuliert ist, könnte in Zukunft auch heißen: Sicherheit und Frieden von Lissabon bis Wladiwostok. Die Linke fordert vielmehr: Deutschland kann und muss der Motor einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur sein - mit Russland, mit oder ohne die USA.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)