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Neuen Pflegebegriff endlich umsetzen. Kapitalgedeckte Pflegezusatzversicherung verhindern.

Rede von Kathrin Senger-Schäfer,

Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich sage Ihnen: So geht das nicht! Wer gute Pflege benötigt, muss in jedem Fall, egal ob arm oder reich, sehr gute Qualität erhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das sieht die Mehrheit der Menschen in diesem Land übrigens genauso. Aber der Bundesregierung ist das anscheinend egal; denn sie schweigt und ergeht sich grundsätzlich in Floskeln. Daher möchte ich Sie auffordern: Erklären Sie das mal den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, ich sage es noch einmal: So geht das nicht! Die Menschen haben ein Recht darauf, von der Regierung zu erfahren, wohin ihre Reise geht.

(Beifall bei der LINKEN)

Dies gilt besonders für einen so sensiblen Bereich wie die Pflege.

Stellen Sie sich einmal vor: Die eigene Mutter, 87 Jahre alt, muss ins Krankenhaus, weil sie auf dem Glatteis ausgerutscht ist. Nach erfolgreicher Operation steht jetzt die Entlassung an. Was vorher schon vermutet wurde, ist nun bittere Realität - jetzt besteht Gewissheit :

Entlassungsdiagnose Demenz.

Schnell wird klar: Die Mutter kann ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen. Sie braucht Pflege und Betreuung. Die Angehörigen sind fast immer überfordert; denn die Mutter läuft nachts verwirrt allein über die befahrene Straße, um zum Beispiel einkaufen zu gehen.

Wer, werte Kolleginnen und Kollegen, traut sich denn zu, seine Angehörigen in einer solchen Situation rund um die Uhr zu versorgen?

Genau darum geht es. In solchen Fällen zahlt die Pflegeversicherung fast nichts. Grund ist der enge Pflegebegriff, der allein auf körperliche Verrichtung abstellt. Ob Pflegebedürftigkeit gegeben ist, richtet sich allein nach der Minutenzahl, die nötig ist für die alltäglichen Verrichtungen wie zum Beispiel Nahrungsaufnahme, das An- und Auskleiden und das Waschen.

Es geht hierbei nicht um den speziellen Betreuungsbedarf eines Menschen, der nachts in seiner Verwirrtheit sogar zu seiner eigenen Bedrohung wird. Spätestens an diesem Punkt müsste die Bundesregierung doch einsehen, dass die bestehenden Regelungen völlig unzureichend sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke wendet sich mit aller Entschiedenheit gegen das Prinzip „Still, satt und sauber“.

(Beifall bei der LINKEN)

Die jetzige Pflegeversicherung grenzt Menschen von Leistungen aus. Damit muss jetzt endlich Schluss sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber Sie schauen weg und suchen auch aus wahltaktischen Gründen nach immer neuen Ausreden. Die Linke will, dass dieses Thema endlich auf die Tagesordnung kommt. Ihre ausweichenden Antworten auf unsere Frage lassen nun verschiedene Schlussfolgerungen zu.

Erstens. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat gar keine Ahnung, wie sie den neuen Pflegebegriff umsetzen will.

Zweitens. Vielleicht haben Sie gar kein Interesse daran, diesen neuen Pflegebegriff umzusetzen.

Drittens. Sie wollen möglichst eine kostenneutrale Schmalspurversion des Pflegebegriffs.

Die Bundesregierung agiert damit nach dem Prinzip: von der linken Tasche in die rechte Tasche. Es gibt faktisch nicht mehr Geld. Dann muss, wenn zum Beispiel für Menschen mit Demenz zu Recht mehr ausgegeben wird, bei anderen Pflegebedürftigen zu Unrecht gekürzt werden.

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Pfui!)

Das nehmen wir so nicht hin.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Abgeordnete der Union meinen, den Himmel auf Erden könne es in der Pflege nicht geben, dann darf das nicht bedeuten, dass wir Missstände nicht sofort beenden, wenn wir sie erkennen. Das kann doch nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Was heißt das in der Praxis? Sie wollen die Kopfpauschale in der Pflegeversicherung. Bislang heißt das Monster in Ihren Worten verpflichtende, individualisierte und generationsgerechte Pflegezusatzversicherung.

Heute lesen wir in den Zeitungen, dass Sie sich auch darüber schon nicht mehr einig sind und dabei auch nicht wissen, welchen Weg Sie gemeinsam als Regierungskoalition gehen wollen.

(Jens Spahn (CDU/CSU): Wir sind immer einig!)

Klären Sie uns doch einmal auf dazu haben Sie dann Zeit , und schenken Sie uns bitte reinen Wein ein.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn sich aber diese Wahnsinnspläne von den Kolleginnen und Kollegen der Union und der FDP durchsetzen, dann gibt es kein Zurück mehr, denn dann entstehen Ansprüche und Anwartschaften aufgrund privater Verträge, die nicht so einfach rückgängig zu machen sind. Wie immer belasten Sie damit allein die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner sowie die Arbeitslosen und die Hartz-IV-Beziehenden. Die Arbeitgeber bleiben wieder einmal außen vor.

(Zuruf von der LINKEN: Pfui!)

Die Linke ist in diesem Fall völlig anderer Meinung.

Wir brauchen einen umfassenden neuen Pflegebegriff. Der Vorschlag liegt seit 2009 auf dem Tisch. Jetzt kommt es auf den politischen Willen an.

Statt „Still, satt und sauber“ heißt es für uns: Teilhabe und Selbstbestimmung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Begutachtung muss sich am individuellen Bedarf ausrichten. Pflegeleistungen müssen finanziell angemessen ausgestattet sein. Deshalb tritt die Linke für die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung auch in der Pflege ein.

(Beifall bei der LINKEN)

Nur so können wir auch die vielen Probleme, die sich im Pflegebereich und in anderen Bereichen stellen, mit den pflegebedürftigen Menschen, den Angehörigen und den Beschäftigten lösen. Menschen, die im Alter Pflege brauchen, gehören selbstverständlich zu unserer Gesellschaft.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE):

Das sind meine letzten beiden Sätze. Wie human eine Gesellschaft ist, sieht man daran, wie man mit den Schwächsten umgeht. Darüber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierung, sollten Sie nachdenken.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)