Klaus Ernst zum Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie der Fraktionen der CDU/CSU und SPD über den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV--Altersgrenzenanpassungsgesetz) -Drs. 16/3794, 16/4372, 16/4420 und 16/4583.
Klaus Ernst (DIE LINKE):Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Warum das Konzept der Regierung nicht funktioniert, ist mit zwei Sätzen aufgezeigt: Sie können nicht sagen, wo die Menschen länger arbeiten sollen, und Sie können auch nicht sagen, wie sie es machen sollen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Das ist Ihr Problem. Deshalb geht Ihr gesamtes Konzept nicht auf.
(Zurufe von der CDU/CSU)
- Da können Sie grölen, wie Sie wollen; das ist Fakt.
Schauen wir uns die Bauindustrie an: Nur 10 Prozent erreichen das zurzeit geltende Renten-Eintrittsalter von 65 Jahren. 33 Prozent scheiden wegen Erwerbsunfähigkeit vorher aus. Das Durchschnittseintrittsalter ist 58. ? Sagen Sie denen doch einmal, wie sie es hinbekommen sollen, bis 65 zu arbeiten, ohne dass Sie das Gesetz ändern! Wenn Sie das können, dann haben Sie vielleicht eine Chance, hier ernst genommen zu werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Das Institut der Bundesagentur für Arbeit, das IAB, hat festgestellt: 1,2 bis 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze sind notwendig, um das einigermaßen hinzubekommen. - Wo sollen die denn sein? Wir erleben doch gerade das Gegenteil. Schauen Sie sich einmal um! Trotz des Aufschwungs erleben wir einen Arbeitsplatzabbau. Wo bitte schön sollen denn die Menschen arbeiten? Ihr Konzept ist eine pure Luftnummer.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) -
Zuruf von der CDU/CSU: Wo leben Sie denn?)
Weil auch Sie von der Sozialdemokratie das wissen - mein Kollege Schaaf weiß das ebenfalls -, haben Sie den Antrag abgelehnt, der von einigen Sozialdemokraten eingebracht wurde und darauf zielt, zumindest hinzubekommen, dass der Anteil --
(Elke Ferner (SPD): Wir haben gar nicht über den Antrag abgestimmt! Reden Sie doch nicht so ein dummes Zeug!)
- Ihr habt ihn gar nicht abgestimmt. Ihr habt ihn verschoben nach dem Motto: Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis. - Das macht ihr gerade; das ist eure Praxis.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Sie glauben selber nicht, dass Ihr Konzept aufgeht. Ihr Konzept hat einen wesentlichen Nachteil, nämlich den, dass es nicht aufgeht; das wissen Sie. Wenn Sie denken würden, es tatsächlich hinzubekommen, dass der Anteil der über 55-Jährigen in Arbeit im Jahr 2010 bei über 50 Prozent liegt, dann hätten Sie es beschlossen.
Wenn Sie wirklich glauben würden, dass Ihr Konzept funktioniert, dann hätten Sie den Vorschlag des DGB ernst genommen, der empfohlen hat: Macht die Rente mit 67 dann, wenn die Arbeitslosigkeit auf 2 Millionen gesunken ist. ? Das traut ihr euch aber hinten und vorne nicht. Das ist der Grund.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Was übrig bleibt, ist eine Rentenkürzung: Wer heute 40 Jahre arbeitet, erhält nach 40 Versicherungsjahren circa 950 Euro. Angenommen, wir hätten das, was Sie jetzt beschließen, schon vor 30 Jahren gemacht, dann läge die Rente jetzt bei 750 Euro, bei Einführung der Rente mit 67 läge sie sogar bei nur 700 Euro. Das ist Ihr Konzept. Das ist eine pure Rentenkürzung. Sie machen Politik zulasten der Leute.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos)
- Elke Ferner (SPD): Das stimmt doch nicht!)
- Da könnt ihr euch aufregen, wie ihr wollt. Ich weiß, dass es euch nicht gefällt, wenn man euch die Wahrheit sagt. Es gab einmal eine Sozialdemokratie, die den Namen auch verdient hat. Davon seid ihr himmelweit entfernt.
(Klaus Uwe Benneter (SPD): Wir sind nicht so marktschreierisch wie du!)
Ich will euch noch etwas sagen, Kolleginnen und Kollegen:
(Klaus Uwe Benneter (SPD): Er will uns was erzählen!)
Die Rente mit 67, wenn sie denn eingeführt wird, macht 0,3 bis 0,5 Beitragssatzpunkte aus. Da frage ich mich: Geht es Ihnen wirklich darum, den Beitragssatz stabil zu halten? Das wesentliche Problem Ihres Ansatzes ist, dass Sie von der Beitragsstabilität ausgehen und nicht davon, dass wir in diesem Land eine vernünftige Rente brauchen. Das ist Ihr Problem. Ich sage Ihnen, worum es wirklich geht. Bleiben die Beiträge wirklich stabil? Das ist doch überhaupt nicht wahr. Die Beiträge bleiben nur für die Arbeitgeber stabil. Die Arbeitnehmer werden sich zusätzlich versichern müssen und bei Weitem mehr Belastungen haben als gegenwärtig. Das ist die Realität.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die Forschungsgruppe Wahlen sagt, dass gegenwärtig 83 Prozent der Bürger in unserem Land das Anheben des Renteneintrittsalters ablehnen, 78 Prozent aus dem Lager der Union, 84 Prozent der SPD-Mitglieder. Ich habe Herrn Weiß im Ausschuss gehört. Er hat gesagt, die Zustimmung der Bürger zu diesem Konzept nehme zu. Ich weiß nicht, von welcher Skatrunde er das hat. Das ZDF-Politbarometer sagt etwas anderes. Deshalb sage ich Ihnen: Was Sie hier machen, ist eine Politik gegen die große Mehrheit der Bürger unseres Landes. Deshalb haben Sie den Anspruch, Volkspartei zu sein, verwirkt.
(Beifall bei der LINKEN
- Klaus Uwe Benneter (SPD): Sie reden dem Volk nach dem Mund!)
- Dazu muss ich Folgendes sagen, Herr Kollege: Wenn man das Parlament durch den Haupteingang und nicht durch den Hintereingang betritt, stellt man fest, dass über dem Eingang „Dem Deutschen Volke“ steht. Wenn ihr so weitermacht, müsst ihr draufschreiben: „Der Deutschen Versicherungswirtschaft“. Das kommt eurer Politik nämlich näher.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Zum Schluss möchte ich Folgendes anmerken:
(Zurufe von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)
Gewerkschaften und Arbeitnehmer werden es nicht vergessen, wenn ausgerechnet die Sozialdemokratie, die ihre Verbindung zu den Gewerkschaften so gerne betont, so etwas macht. Heute früh habe ich gesehen, dass der Kollege Steppuhn, ein Mitglied Ihrer Fraktion, gegen dieses Konzept stimmen wird. Im Gegensatz zu Ihnen, Kollege Brandner, versteht er noch etwas von der Praxis. Er weiß, was das bedeutet.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Gegenwärtig würde die SPD 25 Prozent der Stimmen erhalten. Sie nähern sich zielstrebig, von oben, dem Projekt 18. Das haben Sie auch verdient. Wenn man, wie Sie, die Arbeitnehmer auf die Weise betrügt, dass man vor der Wahl das Gegenteil von dem sagt, was man nachher macht, und sich dann auch noch über die Beschwerden aufregt, wie Herr Müntefering, dann kann ich dazu nur sagen: Sie tragen dazu bei, dass der Politiker in diesem Land inzwischen den Ruf eines Trickbetrügers hat. Hören Sie auf mit dieser Politik!
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))