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Nein zur einseitigen Eliteförderung - Nein zur Exzellenzinitiative!

Rede von Nicole Gohlke,

Nicole Gohlke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen!

Heute geht es also um die Pakte, die Bund und Länder zur Finanzierung von Vorhaben an den Hochschulen geplant haben. Die Opposition hätte sich gerne einzeln und intensiver mit den verschiedenen Ansätzen auseinandergesetzt; denn diese Wissenschaftspakte sind ja keine Fußnoten und auch keine Kleinigkeit, sondern es geht um Milliardenbeträge und darum, wie sie verteilt werden.
Wenn wir jetzt aber über alles zusammen diskutieren, dann möchte ich gerne mit der Frage der Verhältnismäßigkeit beginnen; denn da hat die Bundesregierung aus unserer Sicht wirklich den größten Nachholbedarf. Man hat das Gefühl, die Regierung hat jedes Gespür für das Verhältnis von Spitzen- und Breitenförderung verloren.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie kennen die Zahlen überhaupt nicht! 2,2 Milliarden Euro für den Hochschulpakt! Sie können nicht rechnen!)


Sie macht Milliarden für die Elitenförderung locker, und der große Rest wird am Katzentisch mit ein paar Almosen abgespeist.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ist ja unglaublich!)


Sie nennen das dann Elite und Exzellenz. Ich nenne das verantwortungslos; denn es wird den Herausforderungen, vor denen die Hochschulen stehen, einfach nicht gerecht. Das ist das große Problem dieser Regierung.


(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist faktisch falsch! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen, dass wir eigentlich gar nicht zuständig sind?)


Das große und ungelöste Problem an den Hochschulen heißt Unterfinanzierung, chronische und dauerhafte Unterfinanzierung.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen haben wir 1,2 Milliarden Euro für das BAföG bereitgestellt!)

Ich gebe Ihnen gerne auch noch einmal einen Einblick in die Situation vor Ort, falls die Regierung das jetzt gerade aus den Augen verloren haben sollte.
Da ist zum einen die völlig prekäre soziale Infrastruktur. Der BAföG-Satz, der zum Oktober endlich einmal erhöht wird, ist bereits zum Zeitpunkt seiner Erhöhung wieder überholt und unzureichend.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Von der BAföG-Höhe träumen viele Auszubildende!)

Die Studierenden lernen in völlig überfüllten Seminaren, Bibliotheken müssen ihre Öffnungszeiten einschränken, und die Mensen sind so unterfinanziert, dass sie das Essen verteuern.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Studieren Sie in Moskau oder in Berlin?)

Das ist doch die Situation vor Ort.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Blödsinn!)

Das zweite, seit Jahren ungelöste Problem ist die schlechte Situation für die Beschäftigten und für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ändern wird sich daran erst etwas, wenn wirklich Geld in die Hand genommen wird, um verlässliche Karrierewege und Dauerstellen in der Wissenschaft zu schaffen

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau! Tenure Track! Wissenschaftszeitvertragsgesetz! 1,2 Milliarden Euro für das BAföG! All das machen wir!)

durch die Einrichtung von zusätzlichen Professuren, aber vor allem doch durch dauerhafte Stellen im Mittelbau.

(Beifall bei der LINKEN)

Und was macht die Bundesregierung? Ehrlich gesagt, Ihre Taktik ist: Scheuklappen an und weiter so, ein einfaches Weiter-so mit der Politik der befristeten Pakte statt endlich ein Einstieg in eine verlässliche Grundfinanzierung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt gibt es also drei Pakte: die Exzellenzinitiative zur Förderung von wenigen Spitzenunis, einen Pakt zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an Universitäten und das Programm „Innovative Hochschule“ unter anderem für Fachhochschulen. Wenn Sie sich auch noch so sehr bemühen, das jetzt als ausgewogenes Gesamtpaket zu verkaufen: Es ist das Gegenteil von ausgewogen. Es ist völlig aus dem Lot geraten.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist ein Triple A!)

5,4 Milliarden Euro für die Spitze, davon 30 Prozent für nur zehn Eliteunis, und gerade einmal ein Fünftel dessen, was Sie für die Spitzenförderung mobilisieren, für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses:

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Unser Gesamtetat hat 17 Milliarden Euro, Madame!)

Weniger als ein Zehntel der Summe bleibt dann für die Forschung an Fachhochschulen.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist alles zu wenig? Dann machen wir am besten alles zu!)

Wer das als ausgewogen bezeichnet, der hat wirklich den Schuss nicht gehört.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Milliarden, die Sie für die Exzellenzinitiative ausgeben, gehen auf Kosten der Breite, und das ist das Problem.

(Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Sie haben das Prinzip nicht verstanden!)

Der Bericht der Imboden-Kommission hat gerade sehr differenziert deutlich gemacht, was so ein einseitiges Förderprogramm wie die Exzellenzinitiative bedeutet. Es wäre schön, wenn man sich mit den Befunden auch einmal etwas detaillierter auseinandersetzen würde.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das haben Sie aber nicht getan!)

Es bedeutet nämlich – das steht alles in diesem Bericht – eine Zunahme von befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Es bedeutet eine Verschlechterung von Studienbedingungen, und das übrigens auch und gerade an den sogenannten Exzellenzstandorten. Daneben hat der Bericht auch aufgezeigt, dass es nie eine Chancengleichheit für Hochschulen im Bewerbungsverfahren gegeben hat. Dieses Prinzip treiben Sie jetzt noch auf die Spitze, wenn Sie die kleinen und mittleren Universitäten gleich ganz vom Wettbewerb ausschließen. Das ist wirklich der völlig falsche Weg.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das macht doch niemand!)

Auch das ohnehin sehr krude Argument, das Sie immer bemüht haben, dass durch die wettbewerbliche Spitzenförderung auch die Breite gestärkt würde, wurde von der Imboden-Kommission als reine Chimäre entlarvt. Noch einmal zum Mitschreiben: Eine Breitenförderung ist durch die Exzellenzinitiative nicht eingetreten.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dafür ist sie auch nicht da! Exzellenzinitiative heißt Exzellenz und nicht Breite!)

Stattdessen hat sich die Spaltung in der Hochschullandschaft vertieft. Das politische Verständnis dieser Regierung, dass sich Exzellenz immer nur auf besonders wenige beziehen soll, ist, ehrlich gesagt, weder fortschrittlich noch besonders ambitioniert.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist beste Wissenschaftspolitik!)

Ich sage Ihnen, was wirklich exzellent wäre: Exzellent wäre es, wenn man von guten Studienbedingungen und hervorragenden wissenschaftlichen Bedingungen in der Breite und für alle sprechen könnte. Das muss doch das Ziel von Wissenschaftspolitik sein.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Ihre Spitze ist zu breit!)

Kolleginnen und Kollegen, wenn es so weit ist, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten, dass die Antragstellung für das Einwerben von Drittmitteln den größten Teil ihrer Tätigkeit ausmacht,

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann machen die was verkehrt!)

wenn um des Publizierens willen publiziert wird, weil die entsprechende Kennzahl für das Einwerben von Exzellenzmitteln wichtig ist, oder wenn es so weit ist, dass Forschungsfragen eher danach ausgesucht werden, was förderfähig ist,

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Niemand macht das!)

als danach, was die größte wissenschaftliche Erkenntnis bringt, dann kann man ja wohl behaupten, dass da etwas aus dem Lot geraten ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist eine Meinung, die gerade aus den Reihen der Wissenschaft selbst kommt. Das zeigt doch die Petition, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von Professorinnen und Professoren gestartet wurde und die den Stopp der Exzellenzinitiative fordert.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ein paar Verirrte gibt es immer!)

Auch beim Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs fehlt der Bundesregierung der Blick für die Probleme vor Ort. Wir reden davon, dass sich 90 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von einem prekären Kurzzeitvertrag zum nächsten hangeln. Wir reden von 160 000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Mittelbau, und wir reden von einer Betreuungssituation, in der auf einen Professor 70 Studierende kommen. Da kann man nur zu dem Schluss kommen, dass die von der Regierung geplanten 1 000 Tenure-Track-Stellen an den Bedarfen vorbeigehen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Prekär bezieht sich jetzt aber nicht auf das gleiche!)

Heruntergebrochen auf die einzelne Hochschule bedeutet das gerade einmal zwei bis drei neue Stellen. Damit ist doch an eine tatsächliche Verbesserung des Betreuungsverhältnisses für die Studierenden wirklich nicht zu denken.
Die Idee, sich an den Hochschulen endlich einmal um die Entwicklung neuer Personalstrukturen, neuer Personalkategorien zu kümmern, taucht in Ihrem Konzept eigentlich gar nicht mehr auf.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ist doch Sache der Hochschulen! – Zuruf der Abg. Dr. Simone Raatz [SPD])

Dabei wäre das doch der entscheidende Punkt, wenn man wirklich von einem Kulturwandel an den Hochschulen sprechen möchte.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn nicht alle, die in der Wissenschaft arbeiten, wollen oder müssen das auf einer Professur tun. Es ist höchste Zeit, auch in Deutschland im 21. Jahrhundert anzukommen und anzuerkennen, dass es nicht nur die Professur und darunter den Nachwuchs gibt,

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hausmeister! Es gibt auch Hausmeister, Köche, alles! Steht auch nicht im Papier drin!)

sondern dass selbstständige Wissenschaft schon die ganze Zeit von den vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geleistet wird und dass dieser Bereich endlich einmal als dauerhafte Personalkategorie gefördert und honoriert gehört.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schipanski?

Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ja.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Cool! Dann hat sie länger Redezeit!)
Tankred Schipanski (CDU/CSU):

Frau Gohlke, ganz herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Bei den drei Pakten, die Sie dargestellt haben, geht es ja jetzt um eine Vereinbarung, die in der GWK beschlossen wurde. Jetzt wundere ich mich, wenn das alles so furchtbar ist, dass sogar die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen, sprich die Linke, da zustimmt, wenn es so schlimm ist,

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was ist denn da los?)

wie Sie es hier erzählen. Wie kommt es denn dazu?

Nicole Gohlke (DIE LINKE):
Das kann ich Ihnen erklären. Wir haben Rücksprache gehalten. Ich habe im Übrigen auch gerade mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Professorinnen und Professoren gesprochen, die den Stopp der Exzellenzinitiative fordern.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Um die geht’s jetzt nicht!)

– Nein, aber sie haben sozusagen auf einen Mechanismus hingewiesen: Es gibt eine derart gravierende Unterfinanzierung, dass sich viele Leute nicht trauen, sich öffentlich gegen die Exzellenzinitiative auszusprechen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Und auch die Länder sagen bei aller Kritik in der Tat: Wir können in der jetzigen Situation nicht auf Gelder verzichten.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist Dialektik!)
Das ist die Situation.

Trotzdem würden sich viele einen Einstieg in eine andere Finanzierung wünschen. Ich glaube, es wäre höchste Zeit, dass man einmal eine Debatte darüber ermöglichen würde. Aber sie kann offenbar selten transparent geführt werden, nicht einmal hier im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Was macht denn Thüringen mit den BAföG-Millionen?)

Einigermaßen vorsintflutlich finde ich, ehrlich gesagt, auch, dass Gleichstellung in Ihren Pakten gar nicht auftaucht. Auch hier sage ich: Von Kulturwandel dürfte die Regierung erst reden, wenn aktive Gleichstellungspolitik und Familienfreundlichkeit in ihren Konzepten einmal eine wirkliche Rolle spielen würden. 50 Prozent der Tenure-Track-Stellen müssten eigentlich mit qualifizierten Frauen besetzt werden. Alles andere ist wirklich ein schlechter Witz.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Und was ist mit den Transgendern? Die kommen gar nicht vor!)

Kolleginnen und Kollegen, für die Linke stellt sich die Situation so dar: Die Hochschulen, und zwar alle, brauchen zwei Dinge, nämlich eine Finanzierung nach Bedarfen sowie Planungssicherheit. Wir brauchen nicht noch einen Wettbewerb und noch einen Pakt und noch ein Programm.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann machen wir den Pakt zu! Sie wollen die Pakte abschaffen! Das ist ja tragisch!)

Die Hochschulen brauchen eine solide Grundfinanzierung, verlässliche Studienplätze, unbefristete Stellen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und eine neue Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau. Das wären die richtigen Prioritäten und die richtigen politischen Botschaften in dieser Zeit.
Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Dann klappern Sie mal die Landtage ab, Frau Gohlke!)