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„Nein heißt Nein!“ gesetzlich verankern!

Rede von Halina Wawzyniak,

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Nein heißt Nein. Das ist eigentlich eine banale Selbstverständlichkeit. Aber im Sexualstrafrecht gilt sie leider noch nicht. Daran ändert auch der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf nichts. Deshalb hat die Linke, nachdem bereits die Grünen einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, einen Gesetzentwurf vorgelegt, der diesen Grundsatz im Strafgesetzbuch verankern soll.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Problem des derzeit geltenden Vergewaltigungstatbestands besteht darin, dass er für alle Tatbestandsalternativen eine Nötigung verlangt. Dies wird an der Formulierung „Wer eine andere Person ... nötigt“ deutlich. Selbst im Kommentar von Bundesrichter Fischer, der das manchmal gar nicht wahrhaben will, heißt es, dass das Opfer „gegen seinen Willen zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen gezwungen werden“ muss „bzw. der Täter den entgegenstehenden Willen des Opfers durch Gewalt brechen“ muss. Mithin ist es, um den Straftatbestand der Vergewaltigung zu erfüllen, notwendig, mit Zwang den Willen einer Person zu brechen. Genau das führt im Hinblick auf die sexuelle Selbstbestimmung zu nicht hinnehmbaren Schutzlücken. Gerade Fälle, in denen objektiv keine schutzlose Lage gegeben ist oder auf eine Nötigung verzichtet wird, oder Fälle überraschender sexueller Übergriffe sind nicht geregelt. Diese Schutzlücken sind im Sexualstrafrecht nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nun löst das Gesetz der Bundesregierung einen Teil des Problems, aber nicht das Problem an sich. Das Gesetz versucht das Problem der sogenannten Überraschungsfälle zu lösen, also der Fälle, in denen das Opfer zum Widerstand unfähig ist oder im Fall des Widerstandes ein Übel befürchtet. Der Gesetzentwurf regelt aber nicht den Grundsatz „Nein heißt Nein“. Selbst die Regelung der Überraschungsfälle finde ich suboptimal wegen des Begriffs „Widerstandsunfähigkeit“. Es wäre besser, zu formulieren: wo ein Wille nicht gebildet werden kann.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Weil die Linke die Schutzlücken im bestehenden Sexualstrafrecht für nicht hinnehmbar und den Vorschlag der Bundesregierung für nicht ausreichend hält, haben wir einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser ist einfach und verständlich, klar strukturiert und schließt bestehende Schutzlücken.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke sagt:

Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person

- das ist die zentrale Formulierung -

sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung an oder mit einem Dritten bestimmt, wird ... bestraft.

Wir haben uns also entschieden, den Grundsatz „Nein heißt Nein“ im Rahmen des Sexualstrafrechts an den Anfang zu stellen, das Sexualstrafrecht umzustrukturieren sowie die exhibitionistische Handlung und die Erregung öffentlichen Ärgernisses als Ordnungswidrigkeit einzustufen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit unserer Formulierung eines Grundtatbestandes der nicht einvernehmlichen sexuellen Handlung und Vergewaltigung wollen wir die gesellschaftliche Erwartungshaltung des Grundsatzes „Nein heißt Nein“ gleich am Anfang des Sexualstrafrechts festschreiben; denn es geht vor allen Dingen um eine gesellschaftliche Erwartungshaltung, die Erwartungshaltung, dass die sexuelle Selbstbestimmung umfassend geschützt wird.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nun gibt es an der einen oder anderen Stelle Einwände gegen diesen Vorschlag, und ich sage klar und eindeutig: Diese sind nicht überzeugend. Da wird argumentiert, es gäbe Beweisschwierigkeiten, wenn der Grundsatz „Nein heißt Nein“ verankert werden würde. Wie soll denn ein Nein nachgewiesen werden?, heißt es. So schlüssig das auf den ersten Blick scheint, so wenig schlüssig ist es, wenn man sich das im Detail anschaut; denn schon im derzeitigen Vergewaltigungsparagrafen gibt es die Tatbestandsalternative der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, und in sogenannten Zweierkonstellationen stellt sich auch bei dieser Tatbestandsalternative die Frage, wie die Drohung nachgewiesen werden soll. Mithin: Dieses Argument ist vorgeschoben.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mechthild Rawert (SPD))

An anderer Stelle wird argumentiert, das Nein könne ja möglicherweise nicht ernst gewesen sein, im Übrigen ein seit vielen Jahren vorgetragenes Argument. Ich zitiere:

Deswegen muß mit diesem Beschluß einhergehen, … daß immer mehr Männer empört sind, wenn ganz locker gesagt wird: Na ja, wenn eine Frau Nein sagt, meint sie es vielleicht doch nicht so!

Diesen Wunsch hatte die Abgeordnete Philipp, CDU/CSU, in der Debatte zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe im Mai 1997. Ich finde es ziemlich beschämend, dass ihr Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist und dieses Argument an der einen oder anderen Stelle immer noch vorgetragen wird.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Argument ist auch in der Sache ziemlich absurd. Wer es vorbringt, zeigt, welchen Stellenwert er der sexuellen Selbstbestimmung beimisst. Stellen Sie sich einen Moment vor, Ihr Nachbar fragt Sie, ob er nicht eine Proberunde mit Ihrem tollen neuen metallic-braunen Fahrzeug fahren darf, und Sie sagen Nein. Der Nachbar, mit dem Sie sich seit vielen Jahren gut verstehen, glaubt aber nicht daran und fährt trotzdem bei passender Gelegenheit eine Proberunde. Dieser unbefugte Gebrauchs eines Kraftfahrzeugs ist nun aber ‑ wenn aus meiner Sicht auch überflüssigerweise ‑ strafbar, wenn ein Strafantrag vorliegt; denn nach dem einschlägigen Paragrafen wird bestraft, wer ‑ Achtung! ‑ gegen den Willen des Berechtigten ein Kraftfahrzeug in Gebrauch nimmt. Das heißt, im Hinblick auf ein Kraftfahrzeug soll „Nein heißt Nein“ ausreichen, im Hinblick auf die sexuelle Selbstbestimmung aber nicht. Das verstehe, wer will ‑ ich nicht.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen allerdings im Rahmen solcher Debatten wie heute, in denen es vorrangig um das Strafrecht geht, über mehr reden: Wir müssen über gesellschaftliche Haltungen reden, und wir müssen deutlich widersprechen, wenn sexualisierte Gewalt und Sexismus bagatellisiert werden. Ich zitiere aus einem Kommentar auf meinem Blog:

Wenn du dich schützen willst vor Sexismus der Männer, dann zieh einfach eine lila Latzhose an.

Mir geht diese Verantwortungszuschreibung an Frauen auf den Wecker.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Um es einmal klar und deutlich zu sagen: Egal, was eine Frau anhat, es ist niemals eine Einladung für Sexismus oder sexuelle Handlungen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen widersprechen, wenn gefordert wird, die Frau solle den Bedürfnissen der Männer dienen. Ich zitiere noch einmal aus einem Kommentar auf meinem Blog:

Vor allem darf sich die Protesthaltung als Opfer nicht verfestigen, damit diese Frauen nicht männerfeindlich werden. Es ist unendlich schade um jede einzelne Frau, die den Männern durch so eine Scheiße als mögliche Sexualpartnerin verloren geht. Sie müssen die Gelegenheit erhalten, übers Ziel hinauszuschießen, damit sie ihren Fehler erkennen und sich selbst wieder einkriegen können.

Es tut mir leid, an dieser Stelle kommt mir das - - Ich sage das jetzt nicht; das wäre unparlamentarisch. Wir müssen deutlich sagen: Das ist unverschämt, das verursacht Übelkeit. Solchen Äußerungen müssen wir klar und deutlich gemeinsam entgegentreten.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU))

Mithin: Wir müssen nicht nur eine strafrechtliche Regelung verankern, von der ich immer noch hoffe, dass sie „Nein heißt Nein“ heißt, sondern vor allem dafür sorgen, dass in der Gesellschaft Sexismus und sexualisierte Gewalt geächtet werden, und zwar jeden Tag und an jeder Stelle. Eine strafrechtliche Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt Nein“ kann dazu einen Beitrag leisten, dem aber viele weitere folgen müssen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)