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Nachtragshaushalt ist ein Offenbarungseid von schlechter Haushaltspolitik und Planlosigkeit

Rede von Steffen Bockhahn,

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon ein bisschen abenteuerlich, was man hier hört. Ich lerne gerade von der FDP, dass Schulden grundsätzlich schlecht sind. Ich habe aber einmal gelernt, dass eine gesunde Volkswirtschaft ohne Schulden gar nicht auskommt. Die FDP sollte sich einigen, was sie machen will. Es gibt Situationen, in denen Schulden sogar sehr sinnvoll sind. Da braucht man sie. Auch das gehört zur Wahrheit.
(Otto Fricke (FDP): Das eine ist Staat, das andere privat!)

Nächster Punkt. Ich kenne mich mit der Landespolitik in Baden-Württemberg nicht besonders gut aus; es ist auch sehr weit weg von Mecklenburg-Vorpommern, dem bekanntlich schöneren Bundesland, dem schönsten der Welt. Sie sprachen von einem besenreinen Haushalt in Baden-Württemberg. Ich glaube, Herr Toncar, Sie haben vergessen, dass Ihr Sportsfreund Mappus dort eine kleine Hypothek hinterlassen hat, die jetzt zu tilgen ist. Das mag nur eines der Probleme sein. Aber dass Sie sich dort redlich verhalten hätten, ist nicht die ganze Wahrheit.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde die Entwicklung gerade hochgradig spannend. Die FDP, die Union, die Grünen und die SPD wollten den Fiskalpakt, und jetzt sind sie sich plötzlich nicht mehr einig, wer mit dem Spielzeug spielen darf. Das ist mein Eindruck. Letztlich haben Sie alle zusammen zugestimmt, dass die gesamtstaatliche Neuverschuldung nur noch 0,5 Prozent betragen darf. Das fanden Sie alle richtig. Wir haben nicht zugestimmt, weil wir, wie ich vorhin sagte, glauben, dass man sich - im gesamtstaatlichen und im volkswirtschaftlichen Interesse - auch andere Regelungen erlauben muss.
Das maximale staatliche Defizit darf 0,5 Prozent aller in ganz Deutschland erzeugten Waren und Dienstleistungen betragen. Anders als bei der Schuldenbremse geht es hier jetzt nicht nur um Bund und Länder, sondern auch um die Kommunen und die Sozialkassen. Von diesen 0,5 Prozent fallen immerhin 0,35 Prozent auf den Bund. Damit bleiben 0,15 Prozent mögliche Schulden für Länder und Kommunen übrig. Das ist, mit Verlaub, eine völlig unrealistische Einschätzung der gegenwärtigen Finanzlage der Kommunen und ihrer Perspektiven.
(Beifall bei der LINKEN)

Das ist übrigens auch kein Zufall; denn der Bund macht sich zulasten der Kommunen immer wieder einen schlanken Fuß. Ich will Ihnen ein schönes Beispiel nennen: die Entwicklung der Sozialausgaben, die bei den Kommunen anfallen. Die Zahlen nenne ich Ihnen gleich. Sie sind nicht von mir, sondern vom Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern. Ich habe sie dem jüngst vorgestellten Kommunalfinanzbericht entnommen. Sie zeigen die Entwicklung der Sozialausgaben allein in den Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern; dieses Bundesland hat bekanntlich nicht so viele Einwohner. 2001 hatten alle Städte und Gemeinden im Land Sozialausgaben in Höhe von insgesamt 600 Millionen Euro. Dann gab es die von Ihnen allen für richtig befundene Umstellung der Sozialleistungen, auch Hartz-IV-Reform genannt. Heute, zehn Jahre später, liegt die Belastung pro Jahr bei fast 1,2 Milliarden Euro.
(Bettina Hagedorn (SPD): Da ist aber die Grundsicherung mit drin!)
Das heißt, für die Kommunen hat sich die Last der Sozialausgaben binnen zehn Jahren verdoppelt. Die Einnahmen der Kommunen haben sich in diesen zehn Jahren alles andere als verdoppelt. Das wissen Sie. Wer darauf keine Rücksicht nimmt, geht sträflich mit den Kommunen im Land und damit mit der Wiege der Demokratie in der Bundesrepublik um. Da erlebt man immer wieder, was Sozialabbau bedeutet.
(Beifall bei der LINKEN)

Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Arbeitslosen nach der offiziellen Lesart gesunken. Das heißt, eigentlich hätte alles viel besser werden müssen. Die Kommunen bekommen von den Ländern stetig weniger Geld, weniger Zuweisungen und können ihre Pflichtaufgaben selbst bei steigender Neuverschuldung kaum noch erfüllen.
Der Fiskalpakt wird diese Entwicklung weiter verschärfen. Im Ergebnis können die Kommunen dann kaum noch investieren. Dabei sind sie schon heute eine der stärksten Stützen der Wirtschaft. Die Kommunen sind die Investoren in der Bundesrepublik Deutschland. Wer ihre Finanzkraft schwächt, schadet der Wirtschaft insgesamt. Zusammengenommen führt genau das in eine Abwärtsspirale. Hinzu kommt, dass notwendige Aufgaben nicht mehr erledigt und „weggekürzt“ werden.
Ich darf Ihnen ein kleines feines Beispiel dafür nennen. In einer Gemeinde in der Nähe von Rostock gibt es einen Jugendklub, der keine Miete bezahlen muss, weil die Gemeinde eine Immobilie zur Verfügung gestellt hat. Das ist schon mal eine gute Sache. Für die Jugendlichen dieser Gemeinde werden pro Jahr genau 1 000 Euro Sachmittel zur Verfügung gestellt. Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich damit auskennt; aber 1 000 Euro Sachmittel für einen Jugendklub in einer Gemeinde für ein ganzes Jahr, das kann ich Ihnen verraten, sind zu wenig.
(Beifall bei der LINKEN)

Die Kommune kann aber gar nicht mehr leisten. Das Problem besteht darin, dass im Umfeld dieser Gemeinde schon längst fleißig braune Ökologen arbeiten und Dinge betreiben, die wir als Demokratinnen und Demokraten alles andere als richtig finden können. Der Fiskalpakt führt dazu, dass es einen weiteren Rückzug öffentlicher Institutionen und damit einen weiteren Vertrauensverlust geben muss.
Die Länder haben dieses Ungemacht zweifelsfrei geahnt, wenngleich sie natürlich selten frei von Eigeninteressen sind. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Sie in ihrer Haushaltsbetrachtung ausschließlich einer ausgabenorientierten Denkweise folgen. Das allerdings vernachlässigt, dass man gelegentlich auch Notwendiges finanzieren muss und dabei nicht zuerst an die Ausgaben, sondern an die Notwendigkeiten denken muss.
Wenn man Defizite begrenzen will, wofür ausdrücklich auch die Linke ist,
(Zuruf von der FDP: Ha! Ha!)
dann muss man sich Gedanken darüber machen, dass die Einnahmen stimmen. Insoweit will ich Ihnen nur einige Möglichkeiten nennen: die Vermögensteuer, den Spitzensteuersatz, den Körperschaftsteuersatz, das Ehegattensplitting, die Finanztransaktionsteuer, die Reduzierung der Subvention für energieintensive Unternehmen. Es gibt so viele Möglichkeiten, die Sie liegen lassen. Sie verzichten freiwillig auf Einnahmen und beschweren sich dann, dass Sie kein Geld haben.
(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Nachtragshaushalt ist ein Offenbarungseid von schlechter Haushaltspolitik und Planlosigkeit.
(Otto Fricke (FDP): Welcher Teil denn? EIB?)
Das kann ich Ihnen so knallhart sagen.
Die Zustimmung zum Fiskalpakt haben Sie sich von den Ländern teuer erkauft. Sie haben sie sich ausschließlich erkauft; Sie haben sie nicht bekommen. Das war keine Sternstunde der Demokratie. Das war kein Vorbild für Haushaltspolitik, die transparent und ehrlich ist. Was empfinden Sie denn dabei, meine Damen und Herren, wenn sämtliche Zeitungen, egal ob der linken oder der rechten Ecke zugehörig, schreiben, dass die Verhandlungen über den Fiskalpakt schlicht und ergreifend ein Feilschen auf dem Basar waren? Das war keine vernünftige Haushaltspolitik. Es ging nur um die Frage: Wie viel müssen wir zahlen, damit die Länder endlich doch zustimmen, obwohl sie wissen, dass es ihnen schaden wird?
Dieser Nachtragshaushalt braucht keine neuen Kredite das stimmt , und ja, die Kindertagesstätten sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dann frage ich mich aber, warum nach wie vor etwa zwei Drittel der Kosten für einen Kitaplatz bei den Eltern und bei der Kommune hängen bleiben. Wo ist denn da die gesamtgesellschaftliche Beteiligung? Da besteht erheblicher Nachholbedarf. Da ist es jetzt nicht mit den 580 Millionen Euro getan.

Das, was Sie hier machen, zeigt nicht etwa, dass Sie gut gewirtschaftet haben, wenn Sie nicht zusätzliche Schulden brauchen 32 Milliarden Euro sollen es in diesem Jahr werden , sondern schlicht und ergreifend, dass viel Luft im Budget war, die Sie jetzt rauslassen. Gute Haushaltspolitik hätte darauf anders reagiert.
(Beifall bei der LINKEN)