Die Fragen, die man sich heute stellen muss, lauten: Werden im BND Rechtsbrüche, wie das Abhören von Journalisten, von Abteilungen ohne Wissen der Führung begangen? Hat der Koordinator der Nachrichtendienste mehr gewusst als der Präsident? Ist das alles vorstellbar? Wenn es so wäre, dann würde das bedeuten, dass beim BND rechtswidrige Operationen an dessen Führung und an der politischen Ebene vorbei gemacht werden. Allein das wäre unglaublich. Man muss sich das einmal vorstellen: Ein Nachrichtendienst verselbstständigt sich so, dass er Rechtsbrüche begeht, und zwar größten Ausmaßes, und seine Führung weiß nichts davon. Allein das wäre Grund genug, die Dinge grundlegend infrage zu stellen. Ulrich Maurer in der Debatte der Aktuellen Stunde zur Einschränkung der Pressefreiheit furch den BND.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol¬legen! Seit Wochen erreichen uns täglich neue Meldun¬gen, Enthüllungen, Bezichtigungen aus dem Schatten¬reich der Nachrichtendienste. Das Parlament befindet sich bisher in der Rolle des fassungslosen Zuschauers; das ist ein Zustand, den wir mit den deutschen Staatsbür¬gerinnen und Staatsbürgern teilen. (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Fragen Sie einmal Kollegen Neškovic;!) Das Parlament ist aber eigentlich dazu berufen, diese Dinge zu debattieren, zu diskutieren, die Verantwortung zu klären und Stellungnahmen der Regierung einzuholen. Mit der Rolle des fassungslosen Zuschauens kann es sich nicht abfinden. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben zur Kenntnis zu nehmen: Der deutsche Auslandsgeheimdienst hat über einen langen Zeitraum - bis in die jüngste Zeit, wenn man den Meldungen der Medien glauben darf; und die „Süddeutsche Zeitung“ ist ja kein Revolverblatt - Journalisten im Inland bespitzelt, ausgeforscht, ihre Einkünfte kontrolliert, ihr Privatleben durchleuchtet, ihre Konten geklärt, angeblich sogar, wie ich heute lese, eine Steuerprüfung veranlasst oder, wie manche schreiben, sogar Telefone abgehört. Liebe Kol¬leginnen und Kollegen, wenn davon auch nur 80 Prozent stimmen, ist das der schwerste Angriff auf die Presse¬freiheit in Deutschland seit Erlangung der deutschen Einheit. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind in diesem Zusammenhang bei Vergleichen mit der Staatssicherheit äußerst zurückhaltend - andere waren da weniger zurückhaltend. Deshalb füge ich, damit da keine Missverständnisse aufkommen, hinzu: Noch unterhält der BND keine Gefängnisse in der Bundesrepublik (Zuruf von der LINKEN: Noch!) und noch gibt es die Chance, Abgeordneter zu werden, selbst wenn man der Gegenstand von Überprüfungen ist. Aber die Art und Weise, wie informelle Mitarbeiter an¬geworben werden und wie sie geführt werden, das hat schon verblüffende Parallelen; das anzumerken, muss er¬laubt sein. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Zu¬ruf von der SPD: Genauer! Was meinen Sie denn?) Die Art und Weise, wie in diesem Zusammenhang mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium umgegangen wurde, ist im Übrigen geeignet, dieses Gremium der Lächerlichkeit preiszugeben; ich will das deutlich sagen. Es ist abzusehen, dass die Legende gebildet werden wird - das ist schon zu riechen -, die ganze Operation wäre nur durch eine wild gewordene Unterabteilung des BND zustande gekommen. Vielleicht hätte das auch je¬mand geglaubt, wenn wir nicht den verehrten Kollegen Schmidbauer - Codename 008 - in unseren Reihen hät¬ten. Er hat uns immerhin mitgeteilt, dass er in seiner Ei¬genschaft als Koordinator der Nachrichtendienste davon gehört habe. Zunächst hatte er sogar geglaubt zu wissen, dass der Chef des BND diese Unternehmungen angeordnet habe. Jetzt erinnert er sich immerhin daran, dass er davon gehört habe. Das, finde ich, ist ein bemerkenswertes Eingeständnis. Nun höre ich vom Kollegen Struck, der immerhin, im Gegensatz zum Kollegen Scholz, personelle Konsequenzen fordert, 1998 sei dieses Vorgehen schlagartig beendet worden. Ich überlege mir immer, wie die Amtsübergabe von dem Kollegen Schmidbauer an seinen Nachfolger vor sich gegangen ist. Die Fragen, die man sich heute stellen muss, lauten: Werden im BND solche Rechtsbrüche von Abteilungen ohne Wissen der Führung begangen? Hat der Koordinator der Nachrichtendienste mehr gewusst als der Präsident? Ist das alles vorstellbar? Wenn es so wäre, dann würde das bedeuten, dass beim BND rechtswidrige Operationen an dessen Führung und an der politischen Ebene vorbei gemacht werden. Allein das wäre unglaublich. Man muss sich das einmal vorstellen: Ein Nachrichtendienst verselbstständigt sich so, dass er Rechtsbrüche begeht, und zwar größten Ausmaßes, und seine Führung weiß nichts davon. Allein das wäre Grund genug, die Dinge grundlegend infrage zu stellen. Wie ist es aber, wenn die Koordinatoren alles oder zu¬mindest ein wenig davon gewusst haben? Die Bundesregierung hat gesagt, sie unterbinde solche Maßnahmen ab sofort. Wie aber schätzt die Bundesregierung die Ma߬nahmen aus der ganzen Zeit davor ein? Wie beurteilt sie das? Welche Konsequenzen zieht sie? Ich glaube, man muss das alles vor dem Hintergrund sehen, dass es in Deutschland leider üblich geworden ist, alle Grenzen zu verwischen, die im demokratischen Rechtsstaat aufgebaut sind. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Maurer, Sie müssen bitte zum Schluss kom¬men. Ulrich Maurer (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. - Es werden die Grenzen zwischen den Aufgaben der Armee, der Polizei und der Nachrichtendienste verwischt: Jeder macht alles; alles vollzieht sich in einer Grauzone. Wir wollen, dass die demokratische Kontrolle durch das Parlament wieder hergestellt wird. Wir wollen, dass die parlamentarischen Kontrollgremien nicht mehr Mär¬chenstunden absitzen müssen, sondern Zugriffsrechte auf Akten und Informationen haben, sodass sie wirklich Kontrolle ausüben können. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben sie schon!) Das ist das mindeste Bekenntnis, das wir heute von Ih¬nen erwarten. (Beifall bei der LINKEN)
Nachrichtendienst verselbstständigt sich bis zum Rechtsbruch
Rede
von
Ulrich Maurer,