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Modern Times

Rede von Wolfgang Neskovic,

Es scheint, als müsse die Gesellschaft immer neu um immer gleiche Erkenntnisse ringen. In der Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts haben Menschen gelernt, dass eine Technologie in einem bestimmten Bereich erst dann eingesetzt werden darf, wenn ihre Risiken beherrschbar geworden sind. Offenbar muss unsere heutige Informationsgesellschaft, diese Lehre sich wieder mühsam neu erarbeiten. Das lässt auch ein Entwurf des Bundesrates befürchten. Nach ihm soll ein landesweites Internetportal errichtet werden, in dem sich Jedermann kinderleicht Auskunft verschaffen kann über die Verschuldenssituation seiner Mitmenschen. Die Missbrauchsgefahr ist immens. Die Naivität der Entwurfsverfasser ebenso. Wolfgang Nešković, MdB nahm in der 227. Sitzung der Bundestages Stellung.

Sehr geehrter Herr/Frau Präsident(in), meine sehr verehrten Damen und Herren, (sehr geehrte Frau Ministerin Zypries),

der Bundesrat hat uns einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem er beabsichtigt die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung zu modernisieren. Es ginge darum, das Recht des 19. Jahrhunderts in ein modernes Recht für das 21. Jahrhundert zu ändern.

Modernität ist nie ein Argument für sich. Das ist die Lehre des 20. Jahrhunderts. Nicht alles Neue ist gut. Nicht alles Machbare ist wünschenswert.

Neu und machbar ist im beginnenden 21. Jahrhundert die Vernetzung von immer größer werdenden Datenmengen, von denen eine immer größere Missbrauchsgefahr ausgeht. Das ist weder gut, noch wünschenswert. Es ist nur das schlichte Ergebnis einer technologischen Entwicklung, auf die die Politik dringend die passenden Antworten finden müsste. Der Entwurf gibt diese Antworten für den Bereich der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung nicht. Sondern er vertieft die Fragestellung, weil er neuen Missbrauch und neue Grundrechtsgefährdungen in die Welt setzen wird.

Nach dem Entwurf soll es zukünftig ein Internetportal geben, in dem Jedermann, der sich dort registriert, Auskunft zur Verschuldenssituation eines Anderen erlangen kann, wenn er dazu ein berechtigtes Anliegen behauptet. Die Berechtigung dieses Anliegens wird vor der Erteilung der Auskunft ebenso wenig geprüft, wie der Wahrheitsgehalt der geleisteten Angaben. Praktisch wird sich der Anfragende nach der Anmeldung mit wenigen Mausklicks durch eine Eingabemaske bewegen und erhält dann Auskunft zum Angefragten. Aufgrund einer ungeprüften Behauptung erfährt er dann etwa, wie alt der Betroffene ist, wo er geboren wurde, wie sein Geburtsname ist, wo er heute wohnt, dass er verschuldet ist und seit wann.

Diese Angaben stehen jedem angemeldeten Benutzer weltweit an jedem Internetrechner zur Verfügung, der beispielsweise behauptet, mit dem Angefragten gerade in geschäftlicher Beziehung zu stehen. Die Entwurfsverfasser schreiben, es sei ein zu hoher Aufwand diese Behauptungen vor Auskunftserteilung auch nachzuprüfen. Sie schlussfolgern daraus, dass dieser Aufwand deshalb entbehrlich sei.

Die Entwurfsverfasser sehen aber die Möglichkeit vor, Nutzer von der Einsichtsnahme nachträglich auszuschließen, wenn diese Nutzer Daten missbräuchlich abrufen oder gebrauchen.

Nicht nur, dass dann missbräuchlich erlangte Daten bereits unumkehrbar im Internet in Umlauf gelangt sein können, weil sie ohne Mühe millionenfach kopiert, verknüpft und weiterverarbeitet werden können. Sondern die nachträgliche Prüfung wird auch ohne spürbare Wirkung bleiben. Denn wer sich wegen des Arbeitsaufwandes außerstande sieht, Anträge auf Einsichtnahme vorher zu prüfen, der wird auch überfordert sein, über die Zahl und das Ausmaß von Missbräuchen im Nachhinein den Überblick zu behalten.

Das ist ein Frage der Logik: der Aufwand nachträglicher Prüfung ist nicht geringer, als der Aufwand vorheriger Prüfung. Man benötigt keinen Computer, um das nachzuvollziehen.

Die Entwurfsverfasser sehen das Justizministerium als Verordnungsgeber vor, um für Datensicherheit zu sorgen. Doch in ihrer Verordnungsermächtigung und deren Begründung findet sich kein Wort über die Notwendigkeit einer Bußbewehrung für missbräuchliche Datenabrufe oder Verwendung. Der Datenschutzbeauftragte des Bundes hatte den Rechtsausschuss aufgefordert, solche Sanktionen zu schaffen.

Der Rechtsauschuss hat deren Notwendigkeit nicht verstehen können oder wollen. Und das bedeutet, dass es keine speziellen Sanktionen geben wird, die potentiellen Missbräuchen etwas entgegenwirken könnten.

Die Entwurfsverfasser irren sich gewaltig:

Es ist keine bedeutende Hemmschwelle gegen Missbräuche, wenn sich Anfragende beim Portal anmelden müssen. Es ist keine bedeutende Hemmschwelle, dass Abfragen protokolliert werden. Denn eine IP - Adresse lässt sich kinderleicht fälschen und falsche Anmeldungsdaten werden sich beschaffen lassen.

Wer illegal Auskunft aus dem Portal erhalten will, dem wird das auch gelingen. Er wird ganz einfach lügen, um an fremde Daten heranzukommen. Er wird sich natürlich auch keinen Deut um die im Entwurf geregelte Löschungspflicht scheren.

Dies ist das enorme Risiko, dass die Entwurfsverfasser setzen. Sie sind für dieses Risiko verantwortlich. Wer die Segnungen moderner Technologie nutzen möchte, der hat auch die Pflicht, sich um ihre Flüche zu kümmern.

Dieser Verantwortung, dieser Pflicht entzieht sich der Entwurf. Meine Fraktion wird ihn daher ablehnen.

Ich danke Ihnen