"In Deutschland sinken derzeit die Bruttolöhne . Das heißt, Lohndumping wird ohne Einschränkung fortgesetzt. Menschen werden arbeitslos, weil sie durch andere ersetzt werden, die bereit sind, für viel geringere Löhne zu arbeiten. Diesen Prozess will die LINKE. stoppen. Viel zu lange wurde über Mindestlöhne geredet - es ist Zeit zu handeln. Oskar Lafontaine zum Antrag der Linken: "Mindestlohnregelung einführen" Drs.16/398"
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesem Hause werden drei Positionen zu dem heute zur Diskussion stehenden Thema vertreten. Ich will vor dem Hintergrund unseres Antrages auf diese drei Positionen eingehen. Da ist zunächst die Position der Freien Demokratischen Partei, (Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die ist klipp und klar!) die klipp und klar gegen Mindestlöhne ist, allerdings nur für diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die geringe Löhne erhalten. Denn Sie sind sehr wohl Kollege Gysi hat bereits darauf hingewiesen für staatlich festgelegte Löhne und staatlich festgesetzte Preise, wenn es um Anwälte, Architekten, Ärzte usw. geht. (Zuruf von der FDP: Das ist eine Unverschämtheit!) Mit der Forderung nach einem Honorar von 50 Euro pro Stunde für diesen Bereich sind Sie für gesetzliche Löhne. Aber wenn es um geringe Löhne geht, versagt auf einmal Ihr Denkvermögen. Darin sehen Sie auf einmal eine große Gefährdung für den Arbeitsplatz. (Beifall bei der LINKEN Andrea Nahles (SPD): Da hat er Recht!) Insofern nehmen wir zur Kenntnis, dass Sie eine dezidierte Position haben, die im Hinblick auf eine bestimmte Klientel zwar akzeptabel, letztendlich aber unglaubwürdig ist. Denn Sie können wirklich niemandem erklären, wieso Sie bei Berufsgruppen, die viel verdienen, für Mindestlöhne sind, aber bei Berufsgruppen, die wenig verdienen, keine Mindestlöhne vorsehen wollen. Das ist niemandem in Deutschland zu erklären. (Beifall bei der LINKEN Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist Quatsch!) Die große Koalition hat sich noch nicht verständigt. Es geht uns nicht darum - wie einige gemutmaßt haben -, der großen Koalition irgendwelche Schwierigkeiten zu bereiten, indem wir dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. Wir glauben, dass wir in Deutschland im Moment die Situation haben, dass die Bruttolöhne sinken; ich sage das immer wieder. Das heißt, Lohndumping wird ohne Einschränkung fortgesetzt. Menschen werden arbeitslos, weil sie durch andere ersetzt werden, die bereit sind, für viel geringere Löhne zu arbeiten. Diesen Prozess wollen wir stoppen. Wir haben nicht mehr die Zeit, noch lange zu quatschen. Wir müssen entscheiden. Deshalb haben wir diesen Antrag auf die Tagesordnung gesetzt. (Beifall bei der LINKEN) Nun möchte ich etwas zu der Argumentation des Kollegen Lehrieder von der CDU/CSU-Fraktion sagen. Es ist schön, dass Sie, wie ich Sie hier erlebt habe, so für Tarifverträge eintreten. Es ist gut, dass Sie diese Position einnehmen und auch in Zukunft für Tarifverträge eintreten. Nur, beim Mindestlohn geht es überhaupt nicht um diese Position. Sie leben außerhalb der Realität. Es gibt ganze Bereiche in Deutschland, wo die Tarifverträge überhaupt nicht mehr greifen und die Menschen gar keinen tarifvertraglichen Schutz mehr haben. Deshalb brauchen wir Mindestlöhne. (Beifall bei der LINKEN) Reden Sie doch nicht völlig an der Wirklichkeit vorbei! Es ist unglaublich, was man sich hier teilweise anhören muss. Wir sind gespannt, was aus dem Gesäusel wird, das von der Kanzlerin vorgetragen worden ist: Wir brauchen Mindestlöhne; ich nähere mich diesem Projekt. Irgendwann muss man sich entscheiden. Die betroffenen Menschen können nicht mehr warten. Sie sind bereits seit Jahren arbeitslos. Deshalb kann man dieses Thema nicht in der Form ansprechen, wie Sie es getan haben. (Beifall bei der LINKEN) Natürlich, Frau Kollegin Pothmer, gibt es Argumente für die Position der Grünen. Sie krankt aber daran, dass differenzierte Mindestlohnregelungen letztendlich zu einem Lohn von 3,40 oder 3,90 Euro führen würden. Wir lehnen dies schlicht ab. 3,40 oder 3,90 Euro stellen in Deutschland keine Grundlage dafür dar, anständig leben zu können. Hier unterscheiden wir uns von der Position der Grünen. (Beifall bei der LINKEN) Was die Argumentation des Vorredners angeht, 8 Euro seien nun wirklich nicht vertretbar, so frage ich mich, ob Sie nicht in der Lage sind, einmal über die Grenze zu schauen. In Frankreich liegt der Mindestlohn bei 8,13 Euro. Wieso stellen Sie sich also hierher und tun so, als sei dies nicht machbar, als sei eine Massenabwanderung von Arbeitsplätzen die Folge? Sie betreiben eine Irreführung der Öffentlichkeit. Was andere europäische Länder können, können wir auch in Deutschland. Deshalb sind wir für den Mindestlohn. (Beifall bei der LINKEN) Eine letzte Bemerkung. (Abg. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) meldet sich zu einer Zwischenfrage) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, würden Sie Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Ja, ich weiß, Herr Präsident. Die Bolkestein-Richtlinie stellt für uns eine Herausforderung dar, Ach, es geht um eine Frage. Entschuldigung! Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie hätten beinahe leichtsinnig die Möglichkeit der Verlängerung Ihrer Redezeit ausgeschlagen und wir alle hätten sagen können: Wir sind dabei gewesen. Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Vielen Dank für den Tipp, Herr Präsident. Ich sehe, Sie sind fürsorglich. Bitte schön, Herr Kollege. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mir geht es eigentlich nicht um die Verlängerung Ihrer Redezeit. Aber das muss ich wohl in Kauf nehmen. (Heiterkeit) Sie reden ja so gerne über Tarifverträge. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das Land Berlin, in dem die PDS bzw. Linkspartei mitregiert, Tarifflucht betrieben hat, und stimmen Sie mir zu, dass hier auch öffentliche Aufgaben durch 1-Euro-Jobs erfüllt werden? Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Herr Kollege, ich habe schon viele Wahlkämpfe geführt. Es ist rührend, dass Sie jetzt versuchen, Wahlkampf zu führen. Ich möchte Sie aber darauf hinweisen, dass der Tarifvertrag im Land Berlin, unter den der Kollege Bsirske seine Unterschrift gesetzt hat, differenziert ausgestaltet ist und sogar dafür gesorgt hat, dass Solidarität innerhalb des öffentlichen Dienstes verwirklicht werden konnte. (Beifall bei der LINKEN) Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen, statt kleinkarierte Fragen zu stellen, die einfach falsch sind. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss: Die Bolkestein-Richtlinie, die sich zurzeit im Parlament in der Diskussion befindet sie ist ja noch nicht verabschiedet worden , wurde mittlerweile stark verwässert. Ich will mich gar nicht in die Diskussion darüber einmischen so viel Zeit steht mir auch gar nicht mehr zur Verfügung , wer sich wo durchgesetzt hat. Nachdem nun aber die Bereiche Sozialgesetzgebung und Verbraucherschutz herausgenommen worden sind, muss man schon genau hinsehen, was hier eigentlich passiert. Die Richtlinie stellt aber auf jeden Fall einen Grund dar, in Deutschland endlich einen Mindestlohn einzuführen. Sie wird nämlich nicht nur auf die Löhne Druck ausüben, die sich unterhalb der Schwelle bewegen das ist in Gesamteuropa mittlerweile akzeptiert , sondern auch auf die Löhne, die sich über den Mindestlöhnen bewegen. Das wird bei dieser Diskussion immer ausgeklammert. Deutschland befindet sich mittlerweile in einer Lohnabwärtsspirale. Es ist höchste Zeit, diese Spirale zu stoppen, wenn man überhaupt noch ein Herz für diejenigen hat, die den Euro mehrmals umdrehen müssen, weil sie nicht wissen, wie sie ihren täglichen Lebensunterhalt bezahlen sollen. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Kolb das Wort. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Schönen Dank, Herr Präsident. Herr Kollege Lafontaine, damit es sich nicht versehentlich in Ihren Köpfen festsetzt, will ich auf Folgendes hinweisen: Bei der Gebühren- und Honorarordnung das ist ein Thema, über das man sicherlich trefflich streiten kann handelt es sich, wie Sie zu Recht gesagt haben, um eine Preisregelung. Wir reden hier über den Umsatz beispielsweise einer Rechtsanwaltspraxis oder eines Architekturbüros. Ich weiß, dass die Linken ein Problem damit haben, zwischen Umsatz und Gewinn zu unterscheiden. (Lachen bei der LINKEN) Deshalb will ich noch einmal darauf eingehen. Von dem, was ein Rechtsanwalt erlöst, muss er noch die Miete für die Kanzlei und die Löhne und Gehälter der Rechtsanwalts- und Notargehilfin zahlen. Der Kollege Gysi kennt das. Was am Schluss verbleibt das hängt von vielen Faktoren ab, auch davon, wie viele Fälle ein Rechtsanwalt hat , stellt die Vergütung des Anwalts dar. Dass das ein gewisser Unterschied ist, sollte man zur Kenntnis nehmen. Einmal nachrichtlich zu den Honorar- und Gebührenordnungen: Die für Architekten sind seit Jahren nicht mehr angepasst worden, die für Anwälte vielleicht, weil die eine relativ gute Lobby im Deutschen Bundestag haben, Herr Kollege Gysi. Bei den Architekten ist das schwieriger. So üppig sind die Honorare jedenfalls nicht. Ich will noch etwas anderes ausdrücklich festhalten: Ich habe Ihre Anregung aufgenommen, erneut nachgerechnet das war eigentlich nicht erforderlich, weil Sie es hier gesagt haben und festgestellt: Die Linke will einen Mindestlohn von 8 Euro. Sie verweisen auf Frankreich. Das Problem ist nur, dass die Franzosen in der Regel einen Mindestlohn festlegen, diesen ins Schaufenster legen, ihn dann jedoch mit sehr vielen Ausnahmen aushöhlen, sodass er in der Praxis nicht greift. Wenn wir in Deutschland flächendeckend einen Mindestlohn von 8 Euro hätten, würde das einen Kahlschlag in vielen Bereichen hervorrufen. Es würden wahrscheinlich Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Bereichen entfallen, in denen die Löhne heute deutlich unter diesem Mindestlohn liegen. Deswegen kann man Ihrem Vorschlag nicht mit gutem Gewissen und Verstand folgen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zur Erwiderung, Herr Kollege Lafontaine. Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Ich verstehe, dass die FDP Schwierigkeiten hat, wenn man sie mit ihrer Widersprüchlichkeit konfrontiert. (Dirk Niebel (FDP): Wir haben keine Schwierigkeiten!) Ich gehe zunächst einmal auf Ihren Beitrag ein, indem Sie so tun, als ginge es nur um eine Preisfestsetzung. Das ist sachlich falsch. (Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Was? Kollege Gysi hat genickt!) Selbst wenn man für staatlich festgesetzte Preise ist, verehrter Herr Kollege, ist das für die FDP kein Ruhmesblatt, weil Sie ja in jedweder staatlicher Festlegung von Preisen ein Teufelswerkzeug sehen. Wieso haben Sie im Bereich der Selbstständigkeit keine Probleme mit staatlich festgesetzten Preisen? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Im Übrigen ist Ihr Hinweis schlicht und ergreifend sachlich falsch. Wir haben Gebühren und Honorare. Die Gebühren spiegeln wenn man so will die Preissteuerung wider. Honorare sind die Stundensätze. Bei Selbstständigen mit höheren Einkommen da kommen Sie nicht raus sind Sie für staatlich festgesetzte ordentliche Mindestlöhne, während Sie sie den Geringverdienern verwehren wollen. Das macht Ihre Unglaubwürdigkeit aus. (Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel (FDP): Sie handeln Ihre „Bild“-Zeitungshonorare doch auch frei aus!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun haben sich außer dem Präsidenten auch noch viele Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Lafontaine, an der Vermehrung Ihrer Redezeit wirklich tatkräftig beteiligt, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) was ich wegen gelegentlicher Beschwerden noch einmal ausdrücklich festhalten möchte. Ich weise im Übrigen aber schon jetzt darauf hin, dass ich weitere Kurzinterventionen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht mehr zulassen möchte, weil wir zu Beginn eine Vereinbarung über die Gesamtdebattenzeit getroffen haben. Nun erhält als nächste Rednerin die Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Mindestlöhne nur für Ärzte und Anwälte akzeptabel?
Rede
von
Oskar Lafontaine,