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Michael Leutert: »Multilaterale Entwicklungspolitik stärken - nicht kürzen!«

Rede von Michael Leutert,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben heute wieder so toll gesprochen; ich habe kurz überlegt, ob ich meine Redezeit abgebe,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Gute Idee!)

aber habe mich dann doch anders entschieden und gedacht: Auf eine Sache möchte ich noch mal verstärkt hinweisen.

Sie haben die Problemlagen schon ganz gut umrissen und angesprochen. Wir sprechen derzeit von fast 80 Millionen Flüchtlingen weltweit. 80 Millionen, das ist erst mal eine Zahl, die im Raum steht. Man muss sich vergegenwärtigen: Das sind fast so viele Menschen, so viele Schicksale, wie es in Deutschland Einwohnerinnen und Einwohner gibt. Da sind alle Altersklassen dabei: Männer, Frauen, Alte, Kranke, Kinder, Babys. Wir wissen ganz genau, warum diese Menschen fliehen. Sie fliehen vor Armut, vor Not, Kriegen, Vertreibungen, Naturkatastrophen, Perspektivlosigkeit.

(Thomas Seitz [AfD]: Helfen Sie mit den SED-Milliarden! – Gegenruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Und Sie mit Ihren Parteispenden!)

Wir wissen auch, von wo sie fliehen. Herr Minister – Sie hatten das auch schon angesprochen –, wir wissen leider auch, dass es wahrscheinlich in Zukunft noch schlimmer werden wird wegen der Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind – Stichwort „Klimawandel“. Der Klimawandel – wir haben das vorhin auch schon angesprochen – ist ein sicherheitsrelevanter Faktor beim Thema Verteidigung. Er wird nicht dazu führen, dass sich die Situation verbessert, vielmehr trägt er zur Destabilisierung von Staaten bei, das heißt noch mehr Flüchtlinge, noch mehr Ressourcenkämpfe. Wir wissen außerdem, dass diese Aufgaben nur global gelöst werden können. Und wir wissen, wenn wir die Probleme nicht lösen, werden wir die Auswirkungen hier bei uns direkt spüren. Noch schlimmer: Die derzeitigen Krisen wirken direkt bei uns. Covid-19 und die Klimakrise richten auch bei uns unmittelbar Schäden an.

Deshalb ist es eben nicht mehr so wie vor einigen Jahrzehnten, als über Entwicklungshilfe gesprochen wurde und damit folgendes Konzept gemeint war: Es gibt Geberländer und Nehmerländer; wir geben Geld und Unterstützung, damit die Nehmerländer ein gewisses Niveau erreichen. – Wir sind aber auch nicht mehr wirklich in der Zeit der Entwicklungszusammenarbeit, in der gleichberechtigte Partnerschaft existiert und in beiderseitigem Interesse gearbeitet wird. Ich glaube, wir sind mittlerweile an einem Punkt, der darüber hinausgeht, nämlich dass wir gleichzeitig Partner, Geber und Nehmer sind. Denn auch wir sind Nehmer, auch wir müssen uns verändern, auch wir müssen uns entwickeln, zum Beispiel bei den Lieferketten, den Wertschöpfungsketten – Sie haben es angesprochen –; sie müssen ökologisch und sozial sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Glückwunsch zu dem Hemd! Ich habe noch nie ein Hemd für 11,98 Euro gekauft, und das auch noch ökologisch und sozial; aber darüber können wir uns später noch mal unterhalten.

Ich glaube, eines zumindest ist klar geworden, und es liegt auf der Hand: Die Lösungen, die wir brauchen, können nur global und gesamtgesellschaftlich erarbeitet werden: im wirtschaftlichen Bereich, im landwirtschaftlichen Bereich, im Energiebereich, im Verbraucherbereich. Das kann das BMZ nicht alleine leisten, selbst wenn wir 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes dafür zur Verfügung stellen, und erst recht nicht, wenn wir international mit einer Situation konfrontiert sind, wo sich Supermächte wie die USA, China und Russland gewissen Wegen verweigern.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir die Instrumente, die wir haben, nämlich international funktionierende Strukturen, Organisationen nutzen und stärken. Mehr Optionen haben wir nämlich leider gerade nicht. Das Problem ist, dass die Mittel für gerade diese Strukturen im aktuell vorgelegten Haushaltsentwurf gekürzt werden sollen. Wir sehen im Haushaltsentwurf eine massive Prioritätenverschiebung, Umverteilung von multilateralen Projekten zu bilateralen Projekten. Ich glaube, das ist ein Fehler. Wir brauchen natürlich beides; aber die Lösung werden wir ohne multilaterale Projekte und die entsprechende Finanzierung nicht erreichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch ein letzter Punkt. Herr Minister, ich glaube, es gibt natürlich über Fraktionsgrenzen hinweg Freude darüber, dass wir in den letzten Jahren einen kräftigen Aufwuchs verzeichnen konnten, dass wir auch jetzt wieder knapp 1,5 Milliarden Euro mehr für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung haben;

(Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])

aber man muss ehrlichkeitshalber auch dazusagen: Wenn man in den Finanzplan schaut, dann kann einem nur schlecht werden, weil der Finanzplan für die nächsten Jahre ein Minus von 3 Milliarden Euro pro Jahr vorsieht. Das ist völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Michael Georg Link [FDP])

Ich glaube auch nicht, dass es umgesetzt wird. Spannend fand ich nur, dass gestern von der CDU-Fraktion hier schon betont wurde – der Wahlkampf hat begonnen! –: Mit dem Finanzplan haben wir überhaupt nichts zu tun; das muss eh alles neu verhandelt werden. – Egal wer die Koalition in der nächsten Legislatur bildet: Ich hoffe, es wird kräftig nachverhandelt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)