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Michael Leutert: Ministerin Giffey lässt die Zivilgesellschaft im Stich

Rede von Michael Leutert,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Alois, damit du noch ein bisschen verlegener wirst: Auch ein Linker möchte sich bedanken und dich loben.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Zusammenarbeit war immer sehr fair, sehr kollegial. Mir hat es Spaß gemacht.

(Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Wir werden das mal nacharbeiten!)

Für deine neue Aufgabe wünsche ich dir viel Glück und viel Kraft.

Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, war es das jetzt mit den lieben Worten. Frau Ministerin, im Bereich „Demokratieförderung, Extremismusbekämpfung“ ist ihr Haushalt eine Katastrophe, ein Totalausfall.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Leider, leider! – Martin Reichardt [AfD]: Stimmt! Der Linksextremismus wird gar nicht bekämpft!)

Das Programm „Demokratie leben!“, das sich mit Extremismusbekämpfung beschäftigt, das gegen Menschenfeindlichkeit vorgehen soll, machen Sie kaputt, und zwar in einer Zeit, wo wir in Ostdeutschland drei Wahlen hatten, wo Nazis in Parlamente eingezogen sind, in einer Zeit, wo wir in den Kommunen in Ostdeutschland ein Klima haben, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die AfD jedes Projekt, das mehr Toleranz und Vielfalt in der Öffentlichkeit fördert, angreift. In dieser Zeit müssen wir froh sein, dass es in Kommunen, in kleinen Städten eine Handvoll Menschen gibt, die sich noch aktiv einsetzen.

(Martin Reichardt [AfD]: Eine Handvoll von Ihren Linksextremisten, die Häuser beschmieren! Ja, die kennen wir hinreichend!)

Wir müssen froh sein, dass sie sich nicht ins Private zurückziehen, sondern etwas für den Zusammenhalt in der Gesellschaft tun.

Wir hatten im Übrigen in Sachsen erst vor ein paar Tagen die Situation, dass eine SPD-Bürgermeisterin zurückgetreten ist, die sich für Vielfalt eingesetzt hat, die gegen den rassistischen Mob vorgegangen ist, weil sie die Hetze und die Drohungen nicht mehr ausgehalten hat. In dieser Zeit kommen Sie und sagen: Ab jetzt seid ihr auf euch allein gestellt. Wir können euch nicht mehr helfen. – Das halte ich für eine Katastrophe.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie stellen sich hierhin und feiern sich: Es gibt wieder 8 Millionen Euro obendrauf. – Diesen Betrag hat doch Ihr Genosse Finanzminister vorher gestrichen. Dass die 8 Millionen Euro wieder drauf sind, ist nicht Ihr Verdienst; das ist der Verdienst der Zivilgesellschaft, die dagegen angegangen ist, dass gestrichen wird.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sagen, Sie könnten nicht ohne den Finanzminister mehr Geld mobilisieren. Ich verstehe es nicht: In der Bereinigungssitzung gab es 45 Millionen Euro neues Projektgeld – cash. Es wurde für alles Mögliche eingesetzt, aber nicht für „Demokratie leben!“, kein einziger Cent. Wir bezahlen jetzt Onlinepaarberatung; das machen wir.

Sie sagen: Es sind Modellprojekte; die können nicht auf Dauer gefördert werden. – Natürlich können sie auf Dauer gefördert werden:

(Martin Reichardt [AfD]: Na, die ganzen Subkulturen müssen erhalten werden!)

Erstens. Man kann das Instrument ändern; dann sind es eben keine Modellprojekte mehr.

Zweitens. Wo steht denn, dass Modellprojekte nur vier Jahre laufen dürfen? Warum laufen Modellprojekte nicht acht oder zehn Jahre?

(Beifall bei der LINKEN)

Die Mehrgenerationenhäuser finde ich super; ich bin dafür, dass es sie gibt. Sie gibt es bereits seit 2006. Der Bundesrechnungshof hat da das gleiche Problem angesprochen, und diese Häuser werden weiterhin gefördert. Für sie gibt es im Haushalt sogar noch etwas obendrauf. Es geht also.

Wenn Sie wenigstens in Ihrem Programm konsequent wären und sagen würden: „Okay, ‚Modellprojekteʼ heißt: Es ist was Neues, es ist was Innovatives, etwas, was nur von kurzer Dauer ist“, dann würde ich ja sagen: Okay. – Aber so ist es eben nicht. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele:

Es gibt die Gedenkstätte Hohenschönhausen. Die Gedenkstätte Hohenschönhausen ist gefördert worden. Ich bewerte jetzt nicht die Inhalte der dortigen Projekte. Ich sage: Hier geht es nur um das Strukturelle. Gefördert worden ist zum Beispiel „Linke Militanz in Geschichte und Gegenwart. Aufklärung gefährdeter Jugendlicher über Linksextremismus und Gewalt“. Das ist im Übrigen ein Seminarangebot; das kann man auf der Homepage nachlesen. Wer teilnehmen möchte, muss sich anmelden. Wo bei diesem Seminarangebot das innovative Neue ist, kann ich nicht verstehen. Ich war früher in der Jugendarbeit. Das gehört zum Standardrepertoire in der Jugendarbeit.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Gedenkstätte Hohenschönhausen wird mit dem nächsten Haushalt gefördert für Angebote wie: Linken Extremismus überzeugend kontern können – Schulungen im Umgang mit gefährdeten Jugendlichen. Ist das keine Fortsetzung? Zuvor gab es ein Modellprojekt „Präventive Seminararbeit mit Jugendlichen gegen Linksextremismus“. Man führt dort noch so etwas durch. Es werden also zwei solcher Modellprojekte gefördert.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ist ja erstaunlich!)

Etwas anderes. Es gibt das Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland. Auch dazu sage ich: Alles richtig; kann man alles machen. – Gefördert wird ein Projekt dieser Gemeinden, das „Kamil“ heißt. In 16 Moscheegemeinden wird eine mehr oder weniger akzeptierende Jugendsozialarbeit mit einem Bildungsauftrag gemacht. Auch dazu sage ich: Eigentlich ist Jugendsozialarbeit – dieser Begriff steht sogar auf der Homepage – eine klassisch kommunale Aufgabe. Dort hat man sich etwas ganz Neues einfallen lassen. Das neue Projekt heißt „Kamil 2.0“.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)

Ist das keine Fortsetzung? Ist das keine institutionelle Förderung? – Bei all den anderen Projekten wird gestrichen.

Letzter Punkt. Dafür können Sie nichts; aber ich will das hier mit erwähnen, damit das Gesamtbild klar wird, damit klar wird, wie das bei den Menschen, die sich engagieren, jetzt ankommt.

(Martin Reichardt [AfD]: Die immer die Fenster einschmeißen in unseren Wahlkreisbüros, oder was meinen Sie damit?)

Da lasen wir in der Presse vor Kurzem, dass der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entzogen wird. In Berlin ist der Finanzminister SPD-Mitglied, im Bund ist der Finanzminister SPD-Mitglied. Ich muss wirklich fragen: Auf welcher Seite der Barrikade steht denn der Finanzminister hier?

(Beifall bei der LINKEN)

Die SPD braucht sich nicht zu wundern, wenn sie keinen Fuß mehr auf den Boden bekommt. Ich arbeite vor Ort mit vielen Mitgliedern der SPD-Basis zusammen, -

– und die müssen für diesen ganzen Scheiß immer geradestehen; die tun mir wirklich leid.

Sie hätten ja wenigstens im Haushaltsausschuss dem Maßgabebeschluss zustimmen können.

Sie haben heute noch eine Chance. Sie – –

(Beifall bei der LINKEN – Das Mikrofon wird abgeschaltet)