Zum Hauptinhalt springen

Michael Leutert: Deutsche Außenpolitik ist nicht mehr sichtbar

Rede von Michael Leutert,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte es gleich zu Anfang sagen: Wir haben ein fundamentales Problem; denn die deutsche Außenpolitik ist einfach nicht mehr sichtbar. Und Sie, Herr Minister, haben es als Leiter des Auswärtigen Amtes in letzter Zeit versäumt, Deutschland strategisch so zu positionieren, dass die Bundesrepublik handlungsfähig bleibt. Wir wissen alle – ich will das jetzt hier alles nicht weiter aufzählen; wir haben das oft genug gemacht –, dass sich die Welt seit Jahren in einem rasanten und dramatischen Wandel befindet, mit all den Auswirkungen, die bekannt sind: Machtverschiebungen, Wegbrechen von internationalen Gewissheiten.

Das macht das Geschäft sicherlich nicht einfacher, und es wird auch nicht einfacher dadurch, dass aufgrund der Globalisierung mittlerweile viele andere Bundesminister auf außenpolitischem Parkett gefragt sind, ob es der Finanzminister ist, wenn es um die Finanzkrise geht, der Bundesgesundheitsminister, wenn es um die Pandemie geht, die Verteidigungsministerin, der Entwicklungshilfeminister.

Aber umso wichtiger wäre es, dass Sie einen strategischen Handlungsrahmen, der natürlich unsere Interessen im Blick hat, definieren und dass dieser auf unseren Werten fußt, nämlich Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, damit sich alle anderen in dem Rahmen bewegen können und unsere Außenpolitik wieder sichtbar und als aus einem Guss gefertigt betrachtet wird. Aber davon ist nichts sichtbar.

Es wäre im Übrigen auch wichtig, dass Sie sich um die Themen kümmern, für die niemand anders zuständig ist oder auch niemand anders zuständig sein möchte. Da denke ich zum Beispiel an die katastrophale Lage in den griechischen Flüchtlingslagern. Ich frage Sie: Wie wollen wir eigentlich – wir nehmen im Auswärtigen Amt ja viel Geld in die Hand – nach Afrika gehen und dort dafür werben, dass Zustände geändert werden, dass humanitäre Standards eingehalten werden? Wie wollen wir den Menschen in unserem Land erklären, dass wir das tun, wenn wir es nicht einmal schaffen, unseren eigenen Laden in Ordnung zu bringen?

(Beifall bei der LINKEN)

Wir können auch über die dramatische Situation in den Flüchtlingslagern in Libyen sprechen. Sie ist schon vor vielen Jahren angesprochen worden. Wo sind Sie da? Was tun Sie da? Nichts. Seit Jahren berichten Diplomaten darüber, dass in diesen Lagern KZ-ähnliche Zustände herrschen. Deshalb hat das UN-Flüchtlingshilfswerk, finanziert durch die EU, ein Flüchtlingslager in Libyen aufgebaut. Dies wurde mittlerweile wieder geschlossen aufgrund der unsicheren Situation in Libyen. Trotzdem werden Flüchtlinge, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, nach Libyen zurückgeschickt, mithilfe von EU-Behörden. Was tun Sie dort? Nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Oder: Sprechen wir über die illegalen Pushbacks, die von griechischen Behörden zusammen mit Frontex in der letzten Zeit in den Medien diskutiert worden sind. Wo sind Sie da? Was machen Sie dagegen? Selbst Kinder und Schwangere werden in Schlauchboote verfrachtet und nachts auf das offene Meer hinausgeschleppt. Warum gibt es darüber keine Diskussion? Warum gibt es keine Diskussion über Sanktionen gegen Griechenland? Warum gibt es keinen Sondergipfel, um diese Situation zu besprechen? Im Übrigen ist das auch ein Verstoß gegen Rechtsstaatsprinzipien. Wir diskutieren gerade auf EU-Ebene über die Rechtsstaatlichkeit. Herr Maas, ich kann Ihnen nur sagen, wenn ich Ihre Aktivitäten anschaue: Wir brauchen von Ihnen nicht mehr Fotos auf Instagram, wir brauchen Aktivität von Ihnen in den genannten Punkten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Einzige, was derzeit passiert, kann man am Haushalt, der vorliegt, ablesen. Der Haushalt des Jahres 2017, als die neue Koalition an den Start ging, betrug 5,2 Milliarden Euro. Im nächsten Jahr soll er 6,3 Milliarden Euro betragen, ungefähr 1 Milliarde Euro mehr als in diesem Jahr. Diese Milliarde fließt fast eins zu eins in die humanitäre Hilfe. Man kann sich natürlich darüber freuen, dass wir mehr Geld für humanitäre Hilfe ausgeben, aber besser wäre es doch, wir bräuchten die Gelder dafür überhaupt nicht. Was wir nämlich machen, ist: Wir rennen den Entwicklungsländern hinterher, spielen Feuerwehr, und letztendlich kaufen wir uns nur von der Verantwortung frei.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrter Herr Minister, es tut mir leid, aber Ihre Bilanz lässt sich nur so zusammenfassen: Sie sind als Ziehsohn Oskar Lafontaines gestartet und enden nun als Sorgenkind der deutschen Außenpolitik. Aber ich kann Ihnen auch sagen: Sie haben noch ein Jahr Zeit, dies zu ändern. Tun Sie also etwas.

(Beifall bei der LINKEN)