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Mehr Gerechtigkeit für Opfer der SED-Diktatur!

Rede von Halina Wawzyniak,

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung will den Betrag der SED-Opferrente erhöhen. Das ist richtig, das ist gut. Wir werden dem zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Aber wir wollen mehr. Deswegen haben wir einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist nicht neu: In der vergangenen Legislaturperiode haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt, und das, was in diesem Entschließungsantrag stand, setzen wir jetzt in Gesetzesform um.
Was ist dieses Mehr? Wir wollen, dass diejenigen, die wegen asozialen Verhaltens im Zusammenhang mit den Weltfestspielen der Jugend und Studenten verurteilt wurden, ebenfalls anspruchsberechtigt sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen, dass diejenigen, die von Zersetzungsmaßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit betroffen waren und deren Lebensführung durch diese Maßnahmen erheblich beeinträchtigt wurde mit denjenigen gleichgestellt werden, gegen die Urteile gesprochen wurden, die mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sind; auch sie sollen anspruchsberechtigt sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen, dass der Anspruch ab dem ersten Tag der Haft gilt und nicht erst nach 180 Tagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen, dass die Leistungen unabhängig vom Einkommen gewährt werden, als Anerkennung und Würdigung des Einsatzes für Freiheit und Bürgerrechte in der SED-Diktatur. Wir finden es nicht akzeptabel, dass Menschen, die ein Einkommen haben, das mehr als 1 173 Euro beträgt, von diesen Leistungen ausgeschlossen sind. Die Leistungen müssen unabhängig vom Einkommen gewährt werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen, dass es keine Begrenzung der Frist zur Antragstellung gibt. Wir wollen, dass im Zweifelsfall eine Kausalität zwischen Haft und Gesundheitsschädigung als gegeben angesehen wird und es nicht den Betroffenen aufgebürdet wird, diese im Detail nachzuweisen.


(Beifall bei der LINKEN)


In einer Anhörung im Ausschuss für Kultur und Medien am 5. November - da war unser Gesetzentwurf schon im innerfraktionellen Verfahren - sind genau diese Forderungen von der Union der Opferverbände aufgestellt worden. Ich sage Ihnen: Es gibt keinen Grund, diese Erweiterung abzulehnen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben in den vergangenen Jahren unsere Gesetzentwürfe immer wieder mit dem Argument abgelehnt, dass wir, juristisch gesehen, die Nachfolgepartei der SED sind.


(Beifall bei der CDU/CSU - Arnold Vaatz (CDU/CSU): Das ist auch so! - Dr. André Hahn (DIE LINKE): Es geht doch um die Betroffenen!)


Deswegen mache ich einen ganz einfachen Vorschlag: Schreiben Sie auf unseren Gesetzentwurf „Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen“, und wir stimmen trotzdem zu.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie etwas tun wollen, dann ersetzen Sie einfach die einreichende Fraktion. Wir werden dem zustimmen.
Ich sage Ihnen aber auch: Keine andere Partei in der Bundesrepublik hat sich so intensiv mit der eigenen Geschichte beschäftigt wie unsere Partei,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


angefangen mit dem Referat über den Bruch mit dem Stalinismus als System, mit der Entschuldigung bei den Bürgerinnen und Bürgern der DDR im Dezember 1989.


Vizepräsident Johannes Singhammer:
Frau Kollegin Wawzyniak, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Vaatz?


Halina Wawzyniak (DIE LINKE):
Selbstverständlich. Ich wäre beleidigt, würde keine Zwischenfrage kommen.


Arnold Vaatz (CDU/CSU):
Frau Wawzyniak, ich kann Ihnen ein solches Beleidigungserlebnis ersparen. - Ich habe mehrere Fragen. Erstens. Sie sind doch sicher mit mir einer Meinung, dass es überhaupt keiner Opferpensionen bedürfte, wenn es nicht das Unterdrückungssystem der SED gegeben hätte.
Wenn dem so ist, dass Sie damit übereinstimmen, dann frage ich Sie zweitens, ob Sie sich vorstellen können, dass die Erben der SED einen eingetragenen Verein gründen, in den sie jeden Monat 5 Prozent ihres Einkommens einzahlen, um all die noch vorhandenen Mängel, die Sie gerade anführen, zu begleichen.
(Veronika Bellmann (CDU/CSU): Opferfonds!)
Meine dritte Frage. Sie sagen, Sie hätten die intensivste Aufarbeitung von allen Parteien überhaupt betrieben. Wie stehen Sie dazu, dass Sie alles, was Sie hinterlassen haben, in die Haftung der Gemeinschaft schieben wollen, aber keinerlei Bereitschaft zeigen, auch nur einen Pfennig persönliche Haftung für das von Ihnen angerichtete Unglück zu übernehmen? Ganz im Gegenteil: Sie feilschen um jeden einzelnen Pfennig gegenüber der Gemeinschaft, wenn es beispielsweise um die Renten von ehemaligen Stasileuten geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Halina Wawzyniak (DIE LINKE):
Frage eins. Sie haben recht, wir müssten darüber nicht reden, hätte es die SED-Diktatur nicht gegeben.


(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt!)


Frage zwei. Wir können gerne einen Verein gründen. Ich bin auch gerne dazu bereit, Gründungsmitglied zu werden und persönlich Geld zur Verfügung zu stellen.
Frage drei. Was die Kosten angeht: Ihnen ist sicherlich bekannt, dass im Jahr 1990 circa 4 Milliarden DDR-Mark vom Vermögen der SED in den Staatshaushalt der DDR überführt worden sind. Ihnen ist sicherlich bekannt, dass im Jahr 1995 ein rechtsgültiger Vergleich geschlossen worden ist, in dem wir auf das Vermögen, das nicht rechtsstaatlich erworben wurde, verzichtet haben.


(Veronika Bellmann (CDU/CSU): Den Rest haben Sie versteckt!)


Ihnen ist sicherlich bekannt, dass es eine Blockpartei CDU gab, die auch rechtsstaatlich nicht gerechtfertigtes Vermögen besessen hat.


(Dr. André Hahn (DIE LINKE): Und behalten hat!)


Sie können sich wieder setzen; denn ich würde gerne in meiner Rede fortfahren, wenn das okay ist. - Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen aber auch: Wir haben Schlussfolgerungen aus unserer Geschichte gezogen. Soziale Gerechtigkeit und Freiheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Keine von beiden hat, abstrakt gesehen, einen höheren Wert; das eine ist ohne das andere nichts, aber auch gar nichts wert.
Wir haben Ihnen vor dem Hintergrund dieser Geschichte diesen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich habe Ihnen jetzt zwei Wege aufgezeigt, wie Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen können und wie statt Worten tatsächlich auch Taten folgen können.
Variante 1: Sie stimmen unserem Gesetzentwurf zu. Variante 2: Sie schreiben einfach „CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke“ obendrüber, wobei Sie „Linke“ auch weglassen können; wir stimmen trotzdem zu.
Ich will Ihnen zum Schluss noch etwas sagen. Dinge, die geschehen sind, können wir nicht ungeschehen machen. Ich selbst war zur Wendezeit 16 Jahre alt. Ich habe 25 Jahre meines Lebens damit verbracht, mich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte hat dazu geführt, dass wir genau diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Wir können es nicht ungeschehen machen, aber wir können dafür sorgen, dass den Opfern der SED-Diktatur mehr Gerechtigkeit widerfährt.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)