Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir können feststellen das haben auch die Vorredner mehr oder weniger bestätigt , dass die Lissabon-Strategie gescheitert ist. Vom wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum können wir, glaube ich, nicht reden. Das Ziel von 3 Prozent Wachstum, das ursprünglich verfolgt wurde, wurde nur in zwei von den zehn Jahren knapp erreicht. 2009 schrumpfte die Wirtschaft um 4 Prozent, wie wir wissen.
Die Beschäftigungsquote ist zwar um 4 Prozentpunkte gestiegen, die Arbeitslosigkeit liegt aber bei 9,5 Prozent, und das ist das Traurige daran die Qualität der Arbeitsplätze lässt sich an der stetigen Zunahme der Zahl der Armutslöhner ablesen. Bereits vor der Krise waren es 8 Prozent der Erwerbstätigen in Europa.
Ein größerer sozialer Zusammenhalt das hat sogar der Kollege von der Union gesagt ist, glaube ich, nicht vorhanden. Wenn Sie Europa als Vorreiter bezeichnen, dann sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass 80 Millionen Menschen in Europa und damit fast 20 Prozent von Armut bedroht sind. Das muss bekämpft werden, aber nicht, indem man darauf verweist, dass es in anderen Kontinenten der Welt noch schlimmer ist.
Die soziale Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Bei den Themen Bildung, Forschung und Entwicklung müssen wir feststellen, dass die Investitionen in dem Bereich weit hinter Japan und den USA liegen. Auch hier sind die Ziele deutlich verfehlt worden.
Ursache für diese völlige Verfehlung der Ziele ist aber nicht die Wirtschafts- und Finanzkrise, wie es manche darstellen wollen. Schon zuvor hatte die EU miserable Beschäftigungszahlen und hohe Armutsrisiken.
Ursache für diese völlige Verfehlung der Ziele ist auch nicht, dass die Lissabon-Strategie nicht umgesetzt oder ambitioniert genug erarbeitet wurde, wie die Kommission und auch Sie nicht müde werden, zu behaupten. Ursache für die völlige Verfehlung der Ziele ist, dass die Strategie umgesetzt wurde.
Die Arbeitsmärkte wurden flexibilisiert und die Sozialsysteme, wie man so schön sagt, modernisiert, in Deutschland unter den schönen Namen Agenda 2010 und Hartz IV. Das war die nationale Umsetzung der Lissabon-Strategie.
Insofern ist das, was Sie in Ihrem Antrag schreiben, liebe Frau Högl, vielleicht auch ein bisschen Vergangenheitsbewältigung. Denn dass wir in Europa diese Ziele verfehlt haben, war auch dem geschuldet, dass man in Deutschland Vorreiter für Sozialabbau, Dumpinglöhne und Steuerdumping auf breiter Flur war. Sie haben damit in Europa ein schlechtes Zeichen gesetzt. Denn das, was Sie heute selbst darlegen, ist Ergebnis Ihrer eigenen Politik unter Rot-Grün oder danach unter Schwarz-Rot.
(Beifall bei der LINKEN)
Gemeinsam mit einem weiteren Kernstück der Strategie, der Liberalisierung der Finanzmärkte, hat dies wesentlich dazu beigetragen, den Boden für die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 30er-Jahren zu bereiten. Hier muss man noch einmal deutlich sagen: Europa und Deutschland sind nicht Opfer der Finanzkrise, sondern aufgrund ihrer Politik Mitverursacher der Finanzkrise.
Eine Strategie, mit der man genau das Gegenteil dessen erreicht hat, was man sich davon versprochen hat, muss grundlegend überarbeitet werden. Eigentlich brauchen wir jetzt keine Neuauflage „Europa 2020“, sondern mehr Zeit, um zu analysieren. Auch die Vorredner haben deutlich gemacht, dass man diesen Weg nicht weitergehen kann. Denn steigende Wettbewerbsfähigkeit führt nicht automatisch zu Nachhaltigkeit, sozialem Fortschritt und guter Arbeit.
Im Gegenteil, oftmals werden genau diese auf dem Altar der Wettbewerbsfähigkeit geopfert. Das Gleiche gilt für das Wachstumsziel. Wachstum, das auf Lohndumping und Sozialabbau beruht, verschlechtert die Lebensqualität der Mehrheit der Menschen und verringert den sozialen Zusammenhalt in der Europäischen Union. Diese Dimensionen sind nicht gleichrangig. Dies ist schon in der Konstruktion der EU, in deren Zentrum der Binnenmarkt steht, so angelegt.
Jetzt zu dem Thema, das Sie bereits angesprochen haben: zur sozialen Fortschrittsklausel. Der Europäische Gerichtshof hat deutlich gemacht, dass Binnenmarktfreiheiten höher zu bewerten sind als soziale Grundrechte. Für einen Ausgleich kann man nur sorgen, wenn man bei den Vertragsveränderungen auch über den sozialen Fortschritt diskutiert. Genau darauf zielt unser Antrag. Wenn es um den EU-Beitritt von Island geht, muss dieser Aspekt in den Verhandlungen thematisiert werden. Ansonsten wird dieses Ziel nie erreichbar sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Zum Schluss. Ich denke, ein soziales Europa ist nicht mit den Zielen vereinbar, für die alle anderen vier Fraktionen in diesem Hause im letzten Jahrzehnt leider standen. Sie sind Mitverursacher des Europas, das wir heute haben, das immer mehr auseinanderfällt und das große Probleme hat. Deshalb kann ich den anderen vier Fraktionen in den weiteren Debatten nur zurufen: Europa ist kein Selbstbedienungsladen für die Wirtschaft. Ein Europa für die Menschen gelingt nur gemeinsam.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)

Mehr als schöne Worte: Ein soziales Europa braucht eine soziale Fortschrittsklausel
Rede
von
Alexander Ulrich,